Nachgereichte Liebeserklärung eines verlassenen Verlegers

05.06.2012
Mit "Der Nazi und der Friseur" ist der Autor Edgar Hilsenrath weltbekannt geworden. Das Buch seines Ex-Verlegers schildert die extrem schwierigen Seiten des Schriftstellers - nicht nur aus Sicht von Volker Dittrich, sondern auch aus der Perspektive des Bruders Manfred Hilsenrath.
Auf die Gattungsbezeichnung "Biografie" hat Volker Dittrich wohlweislich verzichtet. Es wäre auch nicht gut, wenn ein Verleger - oder, wie in diesem Fall, der ehemalige Verleger - über seinen Autor schreibt. Im Dittrich Verlag ist die zehnbändige Werkausgabe Edgar Hilsenraths erschienen, ein Werk, das trotz internationaler Erfolge wie "Der Nazi und der Friseur" in Deutschland immer noch viel zu wenig bekannt ist.

Das hat damit zu tun, dass Hilsenraths Romane über Deportation, Holocaust und jüdische Schicksale während der NS-Zeit mit ihrem galligen, bösen Blick auch auf die Juden selbst zu riskant erschienen, um preiswürdig zu sein: Der Holocaust durfte nicht satirisch behandelt werden. Zudem blieb Hilsenrath, der erst Mitte der 70er aus dem amerikanischen Exil zurückkehrte, ein literarischer Einzelgänger, der, wie Dittrichs Buch über ihn und seinen Bruder Manfred erkennen lässt, im persönlichen Umgang alles andere als einfach ist. Seine Bücher verkauften sich so schlecht, dass der Piper Verlag schließlich keinen Wert mehr auf die Rechte legte, und Volker Dittrich 2003 mit seinem Kleinverlag einsprang.

Dittrichs Materialien für eine wohl noch zu schreibende Hilsenrath-Biographie bestehen aus drei verschiedene Textebenen. Neben seinen eigenen, munteren Erzählungen von der ersten Begegnung und gemeinsamen Lesereisen stehen die Erinnerungen des 1929, drei Jahre nach Edgar geborenen Bruders Manfred, der in den USA zu einem in der Weltraumforschung tätigen Ingenieur geworden ist. Dittrich hat ihn in Arkansas besucht und ein langes Interview mit ihm geführt, das nun, als O-Ton Erzählung, den wichtigsten Teil des Buches liefert.

Manfred erweist sich als großartiger Erzähler, der die Kindheitsjahre in Halle an der Saale, die Emigration nach Rumänien, die Deportation ins Ghetto, die Flucht zum Vater nach Lyon und schließlich die Übersiedlung in die USA eindrucksvoll schildert. Er verheimlicht auch nicht, dass Edgar immer schon recht eigensinnig war. Ein netter Bruder ist er nicht gewesen. Aber man musste ihn mögen, weil er der Edgar war.

Dagegen oder daneben stellt Dittrich Auszüge aus Hilsenraths Romanen, die sich mit der Familiengeschichte befassen. Dieses sehr mechanische Verfahren ist nicht unproblematisch, weil das Literarische damit allzu sehr auf die biographische Herkunft reduziert wird, während die der "Oral History" zuzurechnenden Erinnerungen Manfreds in dieser Anordnung unweigerlich den hinter dem Literarischen aufzuspürenden biographischen Subtext liefern.

Dabei wäre diesen Erinnerungen ebenso wie den literarischen Überhöhungen zu misstrauen. Dass das Verhältnis der Brüder nicht unproblematisch war, ist den "zwei Seiten der Erinnerung" - so der sprechende Titel - durchaus anzumerken.

Das letzte, traurige Kapitel ist nur angedeutet. Nach dem Tod seiner ersten Frau und seiner Wiederverheiratung vor ein paar Jahren, brach Edgar Hilsenrath, wohl auf Druck der neuen Familie, nach und nach alle bestehenden Kontakte zu Freunden und auch zu seinem Bruder ab. Dass auch Volker Dittrich schließlich die Rechte an Hilsenraths Werk verlor, ist nicht mehr Gegenstand dieses Buches, das nicht zuletzt als nachgereichte Liebeserklärung eines verlassenen Verlegers an seinen verlorenen Autor zu verstehen ist.

Besprochen von Jörg Magenau

Volker Dittrich: Zwei Seiten der Erinnerung
Die Brüder Edgar und Manfred Hilsenrath
Dittrich Verlag, Berlin 2012
254 Seiten, 17,80 Euro

Links auf dradio.de:

Wirbel um Rechte an Edgar Hilsenraths Werk - Literaturredakteur Martin Sander über die Hintergründe (Deutschlandfunk, Kultur heute)

Zwei Seiten der Erinnerung - Die Brüder Edgar und Manfred Hilsenrath (Deutschlandfunk, Das Feature)

"Ich war der Fremde" - Eine Lange Nacht über den Schriftsteller Edgar Hilsenrath (Deutschlandradio Kultur)
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