Nachfolger verzweifelt gesucht

Handwerksbetrieben droht das Aus

Rainer Tauchmann und sein Nachfolger Andreas Klaue in der Werkstatt
Rainer Tauchmann und sein Nachfolger Andreas Klaue in der Werkstatt © Birgit Kolkmann
Von Vanja Budde und Birgit Kolkmann  · 29.03.2017
Viele Handwerksbetriebe sind über kurz oder lang von der Schließung bedroht. Der Generationenwechsel funktioniert nicht mehr - und die Inhaber finden keinen Nachfolger. Das gilt besonders für viele Betriebe in den neuen Bundesländern, etwa in Brandenburg.
"Hier ist die ganze Produktion: mit Brötchen, Kuchenproduktion und hier sind die Aromabrötchen drin, in der Kühlung."
Die Bäckerei Merschank in der Kreisstadt Forst in der Lausitz hat vergangenes Jahr 105-jähriges Betriebsjubiläum gefeiert. Inhaber Klaus Merschank ist stolz auf das Erreichte.
"Das war früher die kleine Backstube."
Zu DDR-Zeiten war das hier der bescheidene Bäckerladen seines Vaters, erzählt Klaus Merschank. Nach dem Fall der Mauer mühsam renoviert und erweitert, in Eigenarbeit: nach dem Backen ging es auf die Baustelle. Vater und Sohn Merschank haben geschuftet bis zum Umfallen.
"Tag und Nacht, Tag und Nacht. Und denn zum Schluss hat man noch am Mischer gestanden und hat gebaut hier."

Eine Erfolgsgeschichte

Heute führt Klaus Merschank ein mittelständisches Unternehmen: Elf Filialen, 3,5 Millionen Euro Umsatz und fast 100 Mitarbeiter. Allein in den letzten Umbau hat er knapp eine Million Euro investiert.
"Das war 2000 ungefähr, da stand mir das Wasser bis zum Hals."
Noch macht ihm die Arbeit Spaß, doch der Bäckermeister ist 67 Jahre alt. Diesen Sommer möchte er aufhören. Klaus Merschank paddelt gern und besitzt zwei Segelboote.
"Wenn‘s am schönsten ist, soll man aufhören (lacht). Man möchte ganz einfach noch das Leben genießen. Und das heißt, wenn man Leben genießen will, muss man auch was abgeben. Und das Abgeben muss man anfangen damit, dran zu arbeiten. Wenn man jetzt nicht dran arbeitet, dann ist es zu spät. In der heutigen Zeit ist es auch sehr schwierig, einen Nachfolger zu finden."
Klaus Merschank hat keine Kinder. Für die Suche nach einem Nachfolger hat der Bäckermeister sich darum an die Handwerkskammer im 30 Kilometer entfernten Cottbus gewandt.
"Die machen das. Bereiten alles vor. Dann werden wir sehen, wer sich meldet, und die suchen auch die Partner mit aus. Die begleiten mich bis zur Übergabe und ich glaube, das ist der richtige Weg, als wenn man so einen krummen Weg geht, damit man sich hinterher nicht auf dem Gericht rumtreibt."

Gründer der Wendezeit kommen ins Rentenalter

Manja Bonín ist in der Handwerkskammer Cottbus die Projektleiterin Unternehmensnachfolge. Viele Gründer der Wendezeit sind wie Klaus Merschank mittlerweile über 60. Allein hier in Südbrandenburg wird für 2 300 Betriebe ein Nachfolger gesucht.
"Wir haben hier insgesamt zehn Kollegen, die sich mittlerweile zu fast 95 Prozent nur noch mit den Unternehmensnachfolgen beschäftigen, ein Riesenthema! Wir helfen den Unternehmen, Werte festzustellen. Wir bewerten mit denen gemeinsam die Unternehmenserträge, die Immobilien und die Geschäftsausstattung."
Ein aufwändiges Unterfangen, das durchaus ein halbes bis Dreivierteljahr dauern kann. Und das viel Fingerspitzengefühl erfordert.
"Ich habe sehr viel Respekt vor den Unternehmern, die sich da ja wirklich jahrelang etwas aufgebaut haben. Das ist auch eine Eigenschaft eines Unternehmers, dass er wirklich seine eigenen Gedanken und Vorstellungen hat. Und das ist auch gut so und nur so konnte er ja auch Unternehmer sein. Es braucht hier und da ein wenig Zeit, einen gewissen Reifeprozess, das ist auch in Ordnung so, bevor man so weit ist, dass realistische Dinge angenommen werden."

Die Kohle muss stimmen

Dass die Gründer aus ihrem Unternehmen möglichst viel herausholen wollen, ist verständlich. Doch manche Preisvorstellungen sind zunächst überzogen. Da gilt es, mit den potenziellen Nachfolgern Kompromisse zu schließen. Wie viel er genau für seine gut etablierte Bäckerei haben möchte, verrät Klaus Merschank in Forst nicht. Doch klar ist: Damit die Rente stimmt, will er einen möglichst guten Verkaufspreis für sein Lebenswerk erzielen.
"Es muss im Ganzen übereinstimmen, dass nicht einer übern Tisch gezogen wird. Was man gerne haben möchte, kriegt man sowieso nicht. Man muss einen goldenen Mittelweg finden."
Wie er sich seinen Nachfolger wünscht? Einen, der langfristig einsteigt, mit Lust und Liebe gute Brote bäckt – und der den Namen Merschank beibehält. Er habe immer versucht, am Puls der Zeit und der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein, sagt der Unternehmer.
"In der heutigen Zeit muss man zusehen, dass man einen guten Nachfolger findet, der genauso Impulse hat und Interesse und motiviert ist vor allen Dingen. Nicht stehen bleibt, sondern nach vorne guckt. Der das vervollständigt, was wir angefangen haben."
In der Handwerkskammer Cottbus ist Manja Bonín froh, wenn die Gründer von einst sich wie Klaus Merschank rechtzeitig mit dem Gedanken anfreunden, den Betrieb in jüngere Hände zu übergeben.
"Also wirklich sich das ins Bewusstsein und in das Tagesgeschäft zu rufen als anzugehende Aufgabe. Das verdrängen viele Unternehmer, das muss man schon so sagen."

Die Kinder der Gründer

Vor vier, fünf Jahren wurden noch etwa 70 Prozent der Betriebe innerhalb der Familien übergeben, mittlerweile sind es nur noch 40 Prozent. Viele Kinder der Gründer wollen ihr Leben im abgelegenen Süden Brandenburgs verbringen. Und selbst, wenn die nächste Generation eine Übernahme nicht ausschlösse, wolle sie oft erst einmal etwas von der Welt außerhalb Brandenburgs sehen, erzählt Manja Bonín. Sie plädiert für offene Worte in den Unternehmerfamilien, und das beizeiten.
"Dann kann man rechtzeitig mit der Suche nach einem anderen Nachfolger beginnen, vielleicht auch innerhalb der Mitarbeiterschaft, dort auch Mitarbeiter qualifizieren, dass sie in der Lage sind, die Führung zu übernehmen usw. Weil, nichts ist schlimmer, als unausgesprochene Worte in der Familie, also dass Kinder sich in Anführungsstrichen unter Druck gesetzt fühlen, man muss das Erbe antreten – und dann eigentlich dazu gar nicht emotional bereit sind. Das haben wir sehr, sehr viel und sehr oft, dass die Kinder dann erst kurz vor Schluss sagen: Ich will doch nicht. Das ist das Schlimmste, was man einem Unternehmen antun kann, dass der Inhaber dann wirklich schon 64 ist und dann erst wieder suchen muss."
Im Hinterzimmer von Moden Wilke in Lieberose am Markt schnurrt die Nähmaschine. In der Boutique mit guten deutschen Modelabels im Angebot ändert Schneiderin Anke Horn eine Hose. Die Kunden wissen: Was nicht passt, wird passend gemacht. Der Änderungs-Service war von Anbeginn Bestandteil der Geschäftsidee, erzählt Gründerin Marianne Wilke, eine attraktive 62-Jährige mit schulterlangem schwarzem Haar.
Im Hinterzimmer von Moden Wilke in Lieberose schnurrt eine Nähmaschine.
Änderungen sind bei Moden Wilke kein Problem.© Birgit Kolkmann
"Zunehmend kommen mehr Berliner, die hier ganz günstig Häuser kaufen, weil wir nicht mehr am Speckgürtel sind, und die genießen dann, samstags hier in Ruhe einzukaufen. Und ein großes Plus ist eben, dass Frau Horn die Kleidung auch proportional zu den Figuren das alles schneidert, so dass jeder hier schöner rausgeht, als er eigentlich ist!"
Lieberose im Oberspreewald ist ein 1.500-Seelen-Ort nur 30 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt – die nächsten Städte: Guben, Eisenhüttenstadt, Frankfurt/Oder. An diesem Nachmittag mitten in der Woche ist es still im Ort rund um die imposante Ruine der mittelalterlichen Hallenkirche am Markt. Doch gleich nebenan bei Moden Wilke geben sich Kundinnen die Klinke in die Hand.
"Ich kaufe eigentlich nicht gerne ein, aber hier kaufe ich gerne ein, weil man hier super behandelt wird, superfreundlich, Wahrscheinlich auch dadurch, dass ich sehr lange hier Kundin bin, weiß Marianne und weiß auch Melanie, was ich wünsche, und das wird mir dann gezeigt und vorgelegt. Ganz wichtig ist für mich, weil ich nicht sehr groß bin, dass diese Kleidung dann auf mich zurechtgestutzt wird quasi und das finde ich toll!"

Gelungene Staffelübergabe

Marianne Wilke und Melanie Schulze sind als Beraterinnen ihrer Kunden schon lange ein Team, genau genommen: von Anfang an, seit der Eröffnung im April 1997 – also vor 20 Jahren.
"Frau Schulze war meine Schülerin, im Kunstunterricht. Und sie wollte dann eine Schneiderausbildung beginnen und dann habe ich ihr gesagt, dass wir einmal eine Boutique eröffnen werden und das war Mitte der 80er Jahre."
Ursprünglich hat Marianne Wilke eine Maurerausbildung gemacht. Dann war sie Kunsterzieherin in Berlin und Lieberose.
"Und mein Ziel war es schon immer – weil ich auch genäht habe seit meiner Kindheit – ich wollt’ immer meine eigene Boutique haben, was in der DDR-Zeit ja nicht möglich war."
Nach der Wende aber: Die zupackende Marianne Wilke fackelt nicht lange, geht in den Westen, nach Nordrhein-Westfalen, Ausbildung zur Schneiderin, Meister gemacht – und dann konnte es losgehen: das Handwerkliche mit dem Kreativen verbinden, das Nützliche mit dem Schönen.
Die Boutique am Lieberoser Markt fällt sofort ins Auge: Dunkle Sprossenfenster im hellen Haus, Markise, Modepuppen und Angebotsständer schon vor der Tür. Innen schlicht elegant und doch gemütlich: Eichenstab-Parkett, Holzablagen an den Wänden, darunter Kleiderstangen, ein kleiner Tresen, zwei Umkleidekabinen – das Mode-Angebot ebenso: schlicht, elegant, gedeckte Farben, modische Tupfer, auch dezente Dessous.
Dass Melanie Schulze, die schlanke, unprätentiöse Mittvierzigerin mit dem Wuschelkopf und den lachenden Augen, Anfang des Jahres das Geschäft übernommen hat, ergab sich aus der langjährigen erfolgreichen Zusammenarbeit.

Eín starkes Team

"Wir verstehen uns sehr gut, Frau Wilke hat mir sehr viel beigebracht, muss ich sagen, dass ich mir jetzt auch zugetraut habe, das Geschäft zu übernehmen. Vorher wäre es nicht so gewesen, ich war sehr zurückhaltend und schüchtern und Frau Wilke hat mich in den 20 Jahren sehr gestärkt in der Arbeit – ich habe sehr viel von ihr gelernt und sie unterstützt mich weiterhin beim Einkauf, was mir auch wichtig ist."
"Ich bin ja mehr so’n Kreativer und Du bist mehr die Rechnerin, 'ne? Und Melanie – sie behält die Zahlen im Kopf, und das ist ja och ganz wichtig. Ich hab’ ihr schon mal gesagt: Wenn das mal hier nicht mehr läuft, aus welchen Gründen auch immer – inneren oder äußeren – dann sofort die Notbremse ziehen, Plan B rausholen, was anderes machen und: Weitermachen!"
Die Boutique lebt ganz klar von ihrer Stammkundschaft, denn brechend voll ist der Laden nicht. Aber trotz Stammkundschaft und guter Umsätze – ein Zuckerschlecken ist das Geschäft mit der Mode im Oberspreewald trotzdem nicht, sagt Marianne Wilke:
"Der Laden war mehrmals schon so knapp dran, dass ich dachte, ich schaff’ es nicht, ne. Und nicht, wie ein Kunde jetzt sagte: ‚Ach, Sie gehen in Rente, haben den Sack wohl voll‘, so ist es nich’. Es ist immer schwierig, immer Druck mit dem Geld."
Aber der Grund aufzuhören, ist für Marianne Wilke nicht der Druck im Geschäft – sie will sich ihren Enkeln widmen, Polnisch lernen, weil die Kinder zweisprachig aufwachsen – und ihnen das Handarbeiten beibringen. Wilkes Sohn und Schwiegertochter sind beruflich ganz anders orientiert und hatten kein ernsthaftes Interesse an einer Übernahme - so kam Melanie Schulze zum Zuge. Sie hat einen Kredit aufgenommen, das Grundstück und Inventar erworben und führt jetzt als neue Inhaberin die Boutique mit einer Angestellten weiter. Sie siezt ihre alte Chefin übrigens immer noch, während diese sie duzt, trotz ihrer 45 Jahre. Die Firmengründerin wird ihrer Nachfolgerin auch in Zukunft helfen – so wie an diesem Tag.
"Wir verkaufen ja auch keine Brötchen, sondern wenn jetzt eine Kundin kommt, die für 1 000 oder noch mehr Euro kauft, dann reicht das schon."
"Das ist eigentlich kein Risiko. Und mir macht die Arbeit Spaß, ich hätte mir ‚ne neue Arbeit suchen müssen. Das ganze Umfeld, die ganzen Kunden, die ganze Arbeit, das kenne ich schon seit mehreren Jahren und ich hab’ gedacht: Das packst Du an! Das ist ne Investition hier, das Geschäft, so habe ich das gesehen, das ist für mich mal meine Rente."
Marianne Wilke (r.) und Melanie Schulze sind seit der Eröffnung im Jahr 1997 ein Team.
Melanie Schulze (l.) hat die Boutique am Lieberoser Markt von Marianne Wilke übernommen.© Birgit Kolkmann

Handwerkskammer sucht verzweifelt Nachfolger

Solche Nachfolger wie Melanie Schulze, die sich mutig ins Unternehmertum werfen, die sucht Manja Bonín von der Handwerkskammer händeringend. Doch anders als in den Nachwendezeiten ist der Arbeitsmarkt auch im südlichen Brandenburg derzeit sehr entspannt.
"Es gibt schon sehr viele Fachkräfte, die durchaus Selbstständigkeit als eine Variante für sich sehen, aber vielleicht den Schritt nicht wagen, weil sie halt aktuell in einer guten, relativ sicheren Position in einem Angestelltenverhältnis sind."
In Lieberose ist es nun gegen 14 Uhr und die beiden Damen von Wilke Moden haben voll zu tun. Es gibt Angebote, Schnäppchen aus der letzten Saison, die jetzt unter Einkaufspreis rausgehen – aber auch die neue Frühjahrskollektion zum regulären Preis – keine Billigware. Eine Stammkundin steht gerade in der Umkleide und hat eine schicke schwarze Stretchhose anprobiert.
"Ich gehe volltags arbeiten, mein Mann auch, die Kinder sind groß und ich denke, ich kaufe mir dann das, was ich mir leisten kann und weil es mir Spaß macht, ja!"
Eine ältere Dame ist gekommen, mit einem Lieblingsstück aus ihrem Kleiderschrank, einer geblümten Bluse mit Top, zwanzig Jahre alt, leider verschlissen.
"Das hab’ ich mal vor vielen Jahren gekauft – was ist passiert? Was ist passiert? es ist alt, abgetragen – lacht."
Melanie Schulze, die Zurückhaltende, ist als Schneiderin in ihrem Element, Marianne Wilke, die Impulsive, begeistert sich ebenfalls für Stoff und Farben:
"Einsetzen mit passendem Stoff, alles ordentlich nachnähen, aber hier sag mal Melanie, besorgen wir erst mal Stoff, da werden wir Stoff besorgen in der passenden Farbe, einsetzen, dass das erneuert wird mit Wiener Naht, einsetzen, und abgekettelt, wo es aufgegangen ist."

Hier gilt der Slogan: Kunden sind Freunde

Änderungsschneiderin Anke Horn, die Stille, erzeugt im Hintergrund mächtig Dampf, die alte Bluse wird sie wieder schick machen. Die drei Frauen mit ihren unterschiedlichen Temperamenten ergänzen sich – und jede hat ihre Lieblingskundinnen – und die Kundinnen ihre Lieblingsberaterinnen.
"Frau Wilke war für mich immer die Frau, die sich um den Einkauf primär gekümmert hat und die ganz genau wusste, was ihre Kunden wollten. Die Melanie Schulze ist jemand, der es ausgezeichnet verstanden hat, die Ware an den Mann zu bringen."
Was macht Melanie Schulze besonders glücklich?
"Die Kunden bedienen, die Kunden zufriedenstellen, wie sie glücklich rausgehen mit der Garderobe. Und man kennt jetzt die Kunden auch alle schon, familiär ist das schon, weil wir die über Jahre kennen und das macht mich glücklich, die Kunden zufriedenzustellen."
"Der Kunde ist König. Aber mein Slogan ist: Die Kunden sind unsere Freunde und unsere Freunde sind unsere Kunden."

"Hier werden Sie geholfen"

"Der Herr Haupt hat ein Problem mit seinem alten Caddy, er hat so wat nicht mehr, hmmm!"
Beim Reifenhandel Tauchmann in Zeuthen – fast schon in Rufweite zum Flughafen Schönefeld. Ein Kunde hat ein Problem und Andreas Klaue lässt seine Kontakte spielen.
"Dann rufen Se da an und die wollen ja nur die Fahrgestellnummer haben und dann kriegen Se det, super, dann machen wir det."
Die Quelle für das gesuchte Ersatzteil ist der alte Arbeitsplatz vom neuen Chef: Andreas Klaue hat im VW-Zentrum Marzahn gearbeitet, war als Kfz-Meister schon in leitender Stellung – da gab ihm jemand einen Tipp:
"Ein sehr guter Freund von mir hat mir das sozusagen vermittelt und hat mir gesagt: Hey du, pass’ auf Andi, du hast 'n Meister gemacht, du sollst ihn nicht umsonst gemacht haben, ich hab’ da ne klasse Idee, 'n guten, coolen Laden!‘ Und ja, den hab’ ich mir angeguckt, den kannte ich vom Namen auch schon, weil ich ja von hier draußen komme und hat mich sofort überzeugt eigentlich. Weil ich mir gesagt hab’, das is’ es eigentlich: Kein gläsernes Autohaus, schöner fachlicher, schöner handwerklicher Betrieb, ja: super!"
Der coole Laden war bis zum Jahreswechsel 52 Jahre lang im Besitz der Familie Tauchmann. Rainer Tauchmann hatte von seinem Vater übernommen – das Geschäft gehalten, ausgebaut, direkt an der Hauptstraße, fußläufig zum Bahnhof, das Einkaufszentrum nebenan – wer durch Zeuthen fährt, kommt vorbei – und das sind viele und viele sind Kunden.
"Also: 30 000 sind bei uns im System drin – ob se alle noch aktiv sind? Aber ich denke mal, so um die 27.000 sind aktiv. Ich hab’ sie alle schon gesehen und mit sehr vielen gesprochen – ja! War ne sehr schöne Zeit!"
Rainer Tauchmann spricht über Vergangenes, dabei steht er noch mittendrin in der Firma, geht voll auf in dem, was er aufgebaut hat: eine Werkstatt mit vielen Bereichen - Reifenmontage natürlich zu allererst, ein echtes Saisongeschäft von "O" bis "O": zu Ostern und im Oktober werden die Reifen gewechselt, da ist ein Laden wie seiner gefragt.

Gehen - bevor es zu spät ist

So phantastisch wie seine Maschinen liefen die Geschäfte aber nicht immer. Rainer Tauchmann zeigt seinen Betrieb, welche Räder da montiert werden können – bis hin zu den ganz großen von den LKW und den Zugfahrzeugen für die Flugzeuge nebenan in Schönefeld. Das geht nicht von Hand, da braucht es Maschinen und die kosten Geld. So hat er immer investiert, war immer verschuldet – das hat ihn auch krank gemacht – dieser Druck – und jetzt, mit 63einhalb, hört er auf. Sein Sohn lebt weit weg im Westen und hat kein Interesse, darum musste ein Nachfolger von außen gesucht werden:
"Und habe rechtzeitig dann die Reißleine gezogen. Der Betrieb soll ja weiterlaufen und wat hätte et für’n Sinn gehabt, wenn ich den durch schlechte Gesundheit ruiniere."
30.000 Kunden, Zehn-Mann-Betrieb, Saisongeschäft und Konkurrenz aus dem Internet – Reifen billiger, am billigsten – das kann auch einen gestandenen Mann wie Rainer Tauchmann ins Wanken bringen. Die Nerven hat er nicht mehr und man merkt schnell, dass sein Herz für die Technik schlägt, für das gute, zuverlässige Handwerk, doch der harte Konkurrenzkampf ist ihm zu viel.
"Qualität und nicht gierig sein – man sollte den Kunden immer ins Auge gucken können. Dat hat sich bewährt auf jeden Fall. Nicht einfach so abkassieren auf Nimmerwiedersehen – nein, funktioniert nich!"
Andreas Klaue gehört mit 33 Jahren zur nächsten Generation: Er sieht das Internet nicht als Bedrohung. Billige Reifen aus dem Netz? In Bayern haben sich die Reifenhändler verabredet: Die montieren wir nicht! Anders der junge Unternehmer aus Zeuthen:
"Online-Geschäft, das gehört nun mal mit dazu. Allerdings kann der Kunde den Reifen nicht im Online montieren lassen, er muss trotzdem hierher kommen. Und ich sag auch meinen Kundendienstberatern und Verkäufern: Schick’ die nicht weg, wir reden mit denen und dass sie sich vielleicht in Zukunft auch für uns entscheiden."
Man merkt sehr deutlich: Rainer Tauchmann, in robuster Funktionsklamotte mit Arbeitshose, Sweatshirt und Sicherheitsschuhen, mag da nicht so mitmischen. Aber er blüht auf, wenn er von den unterschiedlichen Montagegeräten und seinem modernen Hochlager für die Winter- oder Sommerreifen der Kunden erzählt – darauf ist er stolz, das sind klare Sachen. Das Gerangel um die Firmenübernahme, Versuche langjähriger Mitarbeiter, die Firma quasi selbstverständlich zu übernehmen, obwohl sie kein Herzblut mitbrachten, das hat ihn angestrengt. Doch dann kam Andreas Klaue.
"Wir sind – meine Frau und ich – superglücklich, dass wir ihn gefunden haben."

Firmenphilosophie wahren - Neues wagen

Er, das ist ein sportlicher Mann mit dunkelblondem, feinen Haar und hoher Stirn. Andreas Klaue ist sehr reflektiert, er sagt öfter, er habe sich im Netz "belesen" – er will wissen und nicht nur reden – und auch er merkt jetzt: so ganz ohne ist das Unternehmerleben nicht.
"Man muss ehrlicherweise sagen: a) sind die Nächte kürzer geworden, ja, auch wenn man zeitig ins Bett kommt, man braucht keinen Wecker, um wach zu werden, da wacht man auf und hat schon so viele Gedanken, was man am Tag noch machen muss. Man denkt, man hat zu wenig gearbeitet, man muss noch mehr tun, das ist nicht einfach. Und natürlich, man darf auch nicht vergessen, die Familie ist da und ohne dem würde es auch keinen Sinn machen, wenn die jetzt nicht mehr da wäre. Arbeit ist nicht alles ja, die Familie gehört schon mit dazu, dass ich nicht in zwei oder drei Jahren völlig augepowert bin und in der Klinik liege, darauf hätte ich überhaupt keine Lust."
Er hat ein kleines Kind – das möchte er nach dem Interview gerne aus der Kita abholen. Und ein bisschen Sport machen, Laufen, sein Ausgleich - er kommt nicht mehr so oft dazu wie früher. Unter seiner Ägide soll der Betrieb noch mehr Service, dem Kunden das Rundum-Sorglos-Paket anbieten: Reifen plus Scheibenwischer, Bremsen und das alles auf den Punkt, wie schon bei Tauchmanns:
"Es ist Preis-Leistung: ganz einfach: Erst mal sind wir zuverlässig. wenn um 10.00 Uhr der Termin ist, ist der um zehn Uhr auch dran. Und dann dauert’s maximal eine halbe Stunde und dann hat er für’n ganz Schmalen ne ordentliche Achsvermessung mit Garantie und er kann dann, wenn irgendwat is, auch reklamieren."
Das ist die Firmenphilosophie. An der hängt Rainer Tauchmann. Das macht ihn aus. Und das mal 30.000 kann auch kaputt machen. Es hat ihn an den Rand der Krankheit gebracht. Aber das Loslassen fällt trotzdem schwer, er kann es nicht alleine schaffen.
"Ja, das ist ne Trauerbewältigung. Das ist sehr schwierig. Wenn einer sagt, das geht mir irgendwie vorbei, dann ist er nicht dabei gewesen. Ich habe Unterstützung. Erstens meine Frau und zweites noch 'ne Ärztin."

Nicht zum Schnäpppchenpreis

Hilfe brauchte Andreas Klaue auch, aber andere, finanzielle. Seine Großeltern halfen beim Eigenkapital, auch der Schwiegervater bot Hilfe an – aber Klaue wollte es dann selber schaffen – mit der Bank. Die aber geben zwar schnell Geld für Eigenheime, nicht aber für so eine Übernahme.
"Dasselbe Geld für ne Firma zu bekommen, was jetzt meiner Meinung nach auch nicht überteuert ist, das war wahnsinnig schwer, da muss man schon echt die Hosen runterlassen und da muss ich auch die nächsten Jahre richtig für bezahlen, das ist leider so."
Gute Unternehmen gibt es nicht als Schnäppchen, meint Beraterin Manja Bonín von der Handwerkskammer Cottbus dazu, die auch Tauchmann und Klaue bei der Übernahme begleitet hat. Man dürfe sich nicht abschrecken lassen, wenn ein Unternehmen 50.000 oder 800.000 Euro koste.
"In der Regel ist es so, dass die Kaufpreise innerhalb von fünf bis acht Jahren zurückzahlbar sein müssen aus dem laufenden Ertrag des Unternehmens. Das ist schon mal eine Maßgabe, die wir haben, die auch hier die Banken und Bürgschaftsbanken haben. Also wir schauen da schon sehr genau."

Schlüssel zum Wohlstand?

Die Bürgschaftsbank: wie auch bei Melanie Schulze in Lieberose verlangte die Hausbank noch diese zusätzliche Absicherung für den Fall der Pleite. Und das ist für die Neuunternehmer richtig teuer: zwischen ein und zwei einhalb Prozent der Kreditsumme kommen obendrauf, Gebühren werden sogar vor Vertragsabschluss fällig,
"Ich selber bin jetzt schon über die zehntausend drüber, ohne dass ich einen Kreditvertrag unterschrieben habe, das muss man mal so sagen – hätte ich die Firma nicht bekommen, wäre ich die Summe auch los gewesen."
Insgesamt werden so in den nächsten zehn Jahren rund 60.000 Euro nur für die landeseigene Bürgschaftsbank fällig – ein teurer Posten auch für ein Unternehmen, das gesund ist und zukunftssicher. Doch Andreas Klaue hat die Firma zu einem guten Zeitpunkt übernommen.
"Wir haben eine Konjunktur, die war noch nie besser, gerade im Handwerk. Wir haben ja gerade im Bereich Bau oder auch Metallbau Auftragsvorläufe zwischen acht bis elf Wochen. Es wird tatsächlich so sein, dass das Handwerk hier bei uns in Brandenburg in absehbarer Zeit wieder richtig goldenen Boden haben wird."
Rainer Tauchmann richtet die PKW-Montagemaschine ein – da werden die Reifen komplett montiert, fix und fertig – worauf man sich verlassen kann und muss, denn bei Reifen geht es um Leben und Tod.
"Rein statistisch, so wie ich informiert bin, sind bei 40 Prozent aller tödlichen Unfälle Reifen im Spiel – leider – muss nicht sein!"
Genug Arbeit wird es für die Reifenspezialisten auch in Zukunft geben – egal ob Verbrenner, Elektro oder autonom:
"Ja, Reifen werden trotzdem dran sein, davon gehen wir mal aus, fliegen werden die Fahrzeuge wohl nicht in den nächsten 30 Jahren!"
In zehn Jahren will er seine Kredite abgezahlt haben – Andreas Klaue gibt Gas. Er hat einen harten Job, so wie Rainer Tauchmann – reich wurde der dabei nicht –warum er es trotzdem gemacht hat?
"Man muss glücklich sein, wenn man sowat macht. Nicht nur: Ich will jetzt Geld verdienen mit allen Mitteln – et geht nich um dat Geld. Man will irgendwat hinterlassen auf diesem Planeten!"
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