Nachfolgeprozesse der Amerikaner

Von Axel Doßmann · 16.11.2005
Vor 60 Jahren, am 20. November 1945, begann der Hauptkriegsverbrecherprozess der Alliierten in Nürnberg. Dieser Prozess bildete den Auftakt für zwölf weitere Verfahren, in denen die Amerikaner Verantwortliche aus allen gesellschaftlichen Bereichen zur Rechenschaft zogen. In ihnen wurde das ganze Ausmaß der NS-Verbrechen aufgedeckt. Die Verfahren hatten aber auch ihre Schwächen.
"Each defendant will rise when his name is called and answer the questions asked him by the tribunal and speak directly into the microphone."

Die Aufforderung des Richters, alle Fragen des Gerichts klar und deutlich zu beantworten, hörten nach dem Hauptkriegsverbrecherprozess noch über 170 Angeklagte in den insgesamt zwölf Nachfolgeprozessen, die von den Amerikanern in Nürnberg durchgeführt wurden.

"Defendant Ernst von Weizsäcker, have you a counsel? - Bitte wiederholen Sie - Have you a counsel to represent you? - Ja - Has the indictment in the German language been served upon you at least 30 days ago? - Ja."

Im letzten der Nürnberger Prozesse stand neben anderen Ministerialbeamten Ernst von Weizsäcker vor Gericht, bis 1943 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, danach Botschafter im Vatikan. Er hatte unter anderem 1942 die Deportation von 6000 Juden aus Frankreich nach Auschwitz genehmigt.
"How do you plead to this indictment: guilty or not guilty? - Bitte wiederholen Sie, Sie sprechen zu schnell, das kann man nicht verstehen. - Pardon me. How do you plead to this indictment: guilty or not guilty? - Ich erkläre mich für nicht schuldig."

Richard von Weizsäcker, der Sohn und spätere Bundespräsident, hatte als 28-Jähriger seinen Vater in Nürnberg mit verteidigt.

"Es gab halt zwei Hauptanklagepunkte. Und das eine war die so genannte Führung von Angriffskriegen, und das andere waren die Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bei letzterem ging es vor allem um die Frage der Mitwirkung der Dienststellen des Auswärtigen Amtes an der Deportation von Juden. Bei ersterem, und das war ja der Haupttätigkeitsbereich von meinem Vater, die angebliche Beteiligung oder, wie die Anklage meinte, sogar die begeisterte Beteiligung an der Vorbereitung von Angriffskriegen, das war nun das absolut groteske genaue Gegenteil von dem, was er gemacht hat."

Ernst von Weizsäcker war kein fanatischer Nazi, hatte aber als Rad im Getriebe der bürokratischen Judenvernichtung funktioniert. Trotzdem ist sein Fall ein Beispiel dafür, dass die Anklage in den Nürnberger Prozessen nicht immer sehr präzis war, dass sie komplizierte Sachverhalte übersah und relativ beliebige Einzelfälle herausgriff. Andere maßgebliche Täter, namentlich durchaus bekannt, wurden gar nicht angeklagt – selbst bei den Verfahren, in denen um die Verbrechen der SS ging. Immerhin drei der zwölf Nachfolgeprozesse galten der SS: Angehörige der wichtigsten SS-Behörden wurden für das mörderische Treiben in den besetzten Gebieten zur Verantwortung gezogen. 17 Todesurteile und zum Teil langjährige Haftstrafen wurden gegen sie verhängt. Einer von ihnen war Oswald Pohl, Chef des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes. Im September 1942 hatte er Heinrich Himmler davon in Kenntnis gesetzt, wie der Arbeitskräftemangel in der deutschen Rüstungsindustrie behoben werden sollte:

"Die für diesen Zweck notwendigen Arbeitskräfte werden wir in erster Linie in Auschwitz aus der Ostwanderung abschöpfen, damit unsere bestehenden betrieblichen Einrichtungen durch einen dauernden Wechsel der Arbeitskräfte in ihrer Leistung und in ihrem Aufbau nicht gestört werden. Die für die Ostwanderung bestimmten arbeitsfähigen Juden werden also ihre Reise unterbrechen und Rüstungsarbeiten leisten müssen."

Das Todesurteil gegen Oswald Pohl wurde 1951 vollstreckt. Die drei anderen zum Tode Verurteilten aus seinem Amt waren jedoch bis 1954 alle wieder auf freiem Fuß.

Das lag nicht zuletzt am zunehmenden Druck, der in der Bundesrepublik auf die Amerikaner ausgeübt wurde. Besonders bei den Militärs. So verhängte das Nürnberger Gericht im Prozess gegen hohe Offiziere der Wehrmacht zum Teil langjährige Haftstrafen. Aber die Rolle der Wehrmacht war ein Politikum in der deutschen Öffentlichkeit und selbst hohe Politiker setzten sich für die Freilassung der verurteilten Militärs ein. Bundeskanzler Konrad Adenauer sprach im April 1951 im Bundestag aus, worauf die deutschen Wähler seit dem Ende des Krieges bestanden:

"Meine Damen und Herren, der Prozentsatz derjenigen, die wirklich schuldig sind, ist so außerordentlich gering und so außerordentlich klein, dass, das möchte ich auch ausdrücklich sagen, damit der Ehre der früheren deutschen Wehrmacht kein Abbruch geschieht."

1946 hatten die Nachfolgeprozesse begonnen. Bereits 1947 bekamen die amerikanischen Ankläger in Nürnberg die Anweisung, nach 12 Verfahren Schluss zu machen mit ihrer juristischen Aufarbeitung der Vergangenheit. So endete der letzte der Nürnberger Prozesse im April 1949 - einen Monat, bevor in Bonn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet wurde. Nun begann Kampf um die vorzeitige Freilassung der Verurteilten.