Nachdenken über Freundschaft

Selbst der Tyrann sehnt sich danach

05:00 Minuten
Die Ausstellung "Likeyou! Freundschaft digital & analog" im Berliner Museum für Kommunikation.
Die Ausstellung "Like you!" im Berliner Museum für Kommunikation beschäftigt sich mit dem Thema Freundschaft. © Photodisc/Museum für Kommunikation Berlin
Frank Bösch im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 27.09.2019
Audio herunterladen
Bei Facebook findet der Historiker Frank Bösch den Freunde-Begriff eher unpassend und setzt auf echte Freunde. Eine Berliner Ausstellung widmet sich gerade diesem Thema, das historische und politische Dimensionen hat.
Dem Potsdamer Historiker Frank Bösch reichen seine analogen Freunde, er ist nicht auf Facebook oder Instagram unterwegs. "Die Frage ist ohnehin, ist dieser Begriff der Freundschaft bei Facebook etwas, was überhaupt adäquat ist", sagt unser Studiogast. "Hier geht es eher um Kommunikationspartner, Unterstützer, Netzwerker oder ähnliches, aber der Freunde-Begriff ist hier eigentlich eher unpassend."
Frank Bösch, Direktor des Zentrums für zeithistorischen Forschung (ZZF)  in Potsdam (Brandenburg) in seinem Arbeitszimmer.
Frank Bösch, Direktor des Zentrums für zeithistorische Forschung (ZZF), © Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/picture-alliance
Im Berliner Museum für Kommunikation widmet sich gerade die Ausstellung "Like you! Freundschaft digital und analog" diesem Thema und fragt Besucherinnen und Besucher nach ihren Vorstellungen und Erfahrungen mit Freundschaft. Bösch war zwar noch nicht in der Ausstellung, hat aber bereits erkundet, dass der deutsche Mann im Durchschnitt 5,5 Freunde hat – und Frauen angeblich sogar einen mehr.

Blick in die Geschichte

Das Konzept der Freundschaft sei auch historisch sehr interessant, sagte Bösch. Schon in der Antike hätten Menschen darüber reflektiert. Freundschaft habe historische Phasen erlebt und sich im Laufe der Zeit verändert. "Es ist vor allem ein Konzept, das aus dem späten 18. Jahrhundert kommt, aus der Romantik heraus und aus der Entstehung des Bürgertums." Freundschaft sei eine selbst gewählte soziale Beziehung, die eben nicht durch Familie, Stand oder Zunft vorgegeben sei. "Es ist eine Form der Selbstorganisation und Vernetzung, die auf Vertrauen basiert." Die Ballade "Die Bürgschaft" des Dichters Friedrich Schiller sei dafür charakteristisch. Selbst der Tyrann sehne sich danach, echte Freunde zu haben – "keine Facebook-Like-Freunde".

Politische Freundschaften

Der Historiker erinnerte auch an die politische Rolle von Freundschaften. "Es ermöglicht, Dinge durch enge emotionale Beziehung schneller, leichter abzuwickeln und vielleicht auch glücklicher abzuwickeln." Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) habe als jemand gegolten, dem es gut gelungen sei, enge, persönliche Beziehungen aufzubauen und über eine gewisse Zeit Freundschaften zu pflegen. In dem Moment, als er dann alte politische Freunde, wie Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf fallengelassen habe, habe die folgende Demontage und spätere Verbitterung von Kohl begonnen.
(gem)

Der Historiker Frank Bösch, geboren 1969 in Lübeck, ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der dortigen Universität. Er hat unter anderem das Standardwerk "Die Adenauer-CDU" verfasst, zuletzt erschien sein Buch "Zeitenwende 1979".

Hören Sie hier die gesamte Studio 9-Sendung mit Frank Bösch:
Audio Player

Mehr zum Thema