Nachdenken über die Zeit

Der Fluss des Lebens lässt sich nicht aufhalten

08:27 Minuten
Die Zeituhr, Teil der Kunstuhr am historischen Rathaus in Heilbronn.
Nur eine Uhr kann angehalten werden - die Zeit nicht. © picture-alliance/imagebroker
Christoph Quarch im Gespräch mit Julius Stucke  · 28.04.2020
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Die Zeit kann niemand beherrschen, sagt der Philosoph und Theologe Christoph Quarch. Vielmehr sei sie ein Angebot an uns. Gerade in Krisenzeiten komme es darauf an, achtsam zu sein - um nicht die Chance auf Veränderung aus der Hand zu geben.
Gerade in der Coronakrise möchte man manchmal die "Zeit anhalten" oder "alles auf Anfang" stellen. "Die Zeit ist nicht ein Schicksal, das über uns kommt, sondern eher ein Angebot, das uns unterbreitet wird", sagt der Philosoph und Theologe Christoph Quarch. Es gehe darum, im Gespräch mit der Zeit zu sein und zu schauen, was sie uns zu sagen habe - und dann die passenden Antworten darauf zu finden.

Die Zeit lässt sich nicht anhalten

Quarch erinnert an den verstorbenen Liedermacher Georg Danzer und dessen Geschichte von einem Mann, der die Zeit anhalten wollte. Sie lautet so:
"Es war einmal ein Mann, der wollte die Zeit anhalten. So ging er hinaus auf einen Hügel vor der Stadt und rief 'Zeit, steh' still.' Da kam ein Reiter des Weges und sprach: 'Wenn dies Dein Wunsch ist, so sei er Dir erfüllt.' Der Reiter nahm seinen Degen und stach dem Mann in die Brust. Zu dem Toten sagte er dann: 'Es gibt nur eine Zeit. Deine Zeit. Und ihr Wesen ist Wandlung. Wer die Veränderung nicht will, will auch nicht das Leben.' Dann ritt er weiter."
Christoph Quarch, deutscher Philosoph, Theologe und Publizist. 
Der Philosoph und Theologe Christoph Quarch empfiehlt, mit der Zeit zu gehen.© picture-alliance/dpa/Erwin Elsner
Verschiedene Völker und Kulturen hätten unterschiedliche Kalender entwickelt, so Quarch. Die Griechen nannten die messbare, von Menschen gemachte Zeit "Chronos" und hätten diese von der natürlichen Zeit unterschieden. Während der Wandel des Lebens oder der Jahreszeiten eher zyklisch verlaufe, sei "Chronos" eher etwas Lineares.
Es liege an uns selbst, mit der Zeit zu gehen und zu schauen, was die Zeit anbiete, sagt der Philosoph. "Da können wir nicht einfach so tun, als könnten wir diesen Fluss der Dinge, diesen Fluss des Lebens, wie der Philosoph Heraklit das nannte, einfach aufhalten." Das wäre, als würde man einen Staudamm bauen, der dann von der Zeit davon gerissen werde.

Der große Fluss des Lebens

Es komme vor allem in Krisenzeiten darauf an, achtsam und aufmerksam zu sein, welches Angebot die jetzige Situation einem mache:
"Jetzt einfach so zu tun, als hätten wir diesen Augenblick gar nicht, als wollten wir den überspringen, heißt die Chance auf Veränderung und Transformation aus der Hand zu geben – das ist auch nicht klug."
Die Ideen von Zeitmaschinen, einer Manipulation oder Beherrschung der Zeit, stamme eher aus einem technischen Verständnis, sagt Quarch. So könne man Zeitmessgeräte oder Stundenuhren tatsächlich anhalten. Deshalb könne man auf die Idee kommen, dass man das mit "Chronos", der real fließenden Zeit, auch machen könne.
Das sei aber eine Illusion: "Der große Fluss des Lebens, der geht eben weiter", so Quarch. Allerdings gebe es durchaus das Gefühl, die Zeit stehe still, weil man beispielsweise zeitvergessen in einer Tätigkeit aufgehe. Das sei eine reale Erfahrung, die sehr sinnstiftend sein könne. "Aber das ist eben doch etwas anderes als die Idee, die Zeit manipulieren und beherrschen zu können."
(gem)
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