Nepal nach Regierungswechsel

Hoffnung auf Neuanfang

Eine Bergsteigerin steht auf der Spitze des Berges Kyanjin Ri in Nepal.
Gutes Geschäft mit den Gipfeln: Der Tourismus ist einer der größten Wirtschaftssektoren Nepals. © Robert Harding / dpa
Von Nicole Graaf und Emre Çaylak · 23.08.2018
Korruption, Erdbeben und Bürgerkrieg - Nepal kommt seit Jahrzehnten nicht von der Stelle. Wer jung und gebildet ist, geht ins Ausland. Denn qualifizierte Jobs sind rar. Seit Februar ist eine neue Regierung im Amt. Grund für Optimismus?
Die Straßen von Kathmandu sind vollgestopft wie immer: eine schier endlose Blechlawine aus schweren bunten Lastwagen, weißen Taxen, dreirädrigen Tempos, Motorrädern und Privatautos quält sich über die Ringstraße, die die Stadt umgibt. Busse, die wegen der vielen Schlaglöcher kaum schneller vorankommen als ein Fahrradfahrer, dazu die Abgase und der Staub der unbefestigten Seitenstraßen. Nepals Straßen könnten symbolisch stehen für die Lage der Nation.
Bhaktapur ist neben Kathmandu und Lalitpur  die dritte und kleinste der Königsstädte des Kathmandutals in Nepal.
Bhaktapur ist neben Kathmandu und Lalitpur die dritte und kleinste der Königsstädte des Kathmandutals in Nepal.© Deutschlandradio / Emre Çaylak
Die vielen Krisen der letzten zwei Jahrzehnte haben das kleine Himalaya-Land nicht von der Stelle kommen lassen. Erst der Sturz des Königs, dann der zehn Jahre währende Bürgerkrieg, angezettelt von maoistischen Rebellen, das Erdbeben von 2015 und eine Blockade der Grenze zu Indien, von dessen Warenstrom Nepal abhängig ist. Der Journalist Vishwas Baral arbeitet für die "Annapurna Times", eine der größten Tageszeitungen Nepals. Er hat die politischen Entwicklungen eng mitverfolgt und kommentiert.
"In den letzten 20 Jahren hatten wir ständige Regierungswechsel. Im Durchschnitt hat keine Regierung länger als neun Monate überlebt. Bevor eine Regierung die Chance hatte, ihre Pläne umzusetzen, wurde sie schon wieder von einer neuen Regierung abgelöst. Jede Regierung hat wieder neue Prioritäten. Sie führt die Pläne der Vorgängerregierung nie fort und stellt die Mitglieder der anderen Parteien kalt. Anstatt sich darum zu kümmern, dass das Land als Ganzes vorankommt, haben sie erst einmal jene, die der eigenen Partei nahestanden mit Aufträgen und Ämtern versorgt. Die letzten 20 bis 25 Jahre waren von einer großen Instabilität geprägt und das hat sich direkt auf die Entwicklung ausgewirkt. Während unsere Nachbarn Indien und China beständig mit acht, neun oder zehn Prozent wuchsen, brachten wir es nur auf drei oder vier Prozent."

Die Zeichen stehen auf Veränderung

Jetzt stehen die Zeichen jedoch auf Veränderung. Im Februar haben die Nepalis eine neue Regierung gewählt. Seitdem regiert eine Koalition aus zwei stark links ausgerichteten Parteien. Sie hält etwa zwei Drittel der Sitze im Parlament, die erste stabile Mehrheit seit Jahren. Aber was noch wichtiger ist: Die neue Verfassung, um die die vielen Parteien und Splitterparteien nach Ende des Bürgerkriegs zehn Jahre lang gerungen hatten, ist auch endlich in Kraft. Nepal ist jetzt ein föderaler Staat, die Regierung bestimmt nicht mehr zentral von Kathmandu aus, die Bundesstaaten haben ihre eigene Entscheidungsmacht.
Im Vielvölkerstaat hatte sich daran vor drei Jahren ein heftiger Konflikt entzündet. Die ethnische Gruppe der Madhesi, die das Flachland im Süden an der Grenze zu Indien bewohnt, war strikt gegen die geplante Neuaufteilung, denn sie wollte einen eigenen Bundesstaat. Es kam zu heftigen Ausschreitungen und am Ende blockierte Indien, das auf Seiten der Madhesi stand, monatelang die Grenze zu Nepal. Kochgas, Benzin, Medikamente und alles andere, was aus Indien importiert werden muss, wurde knapp. Dass es mit der Neuaufteilung der Bundesstaaten und größerer Unabhängigkeit von der Hauptstadt Kathmandu nun geklappt hat, sei ein großer Schritt sagt Baral.

"Einiges, was uns optimistisch stimmen darf"

"Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Landes wurden Macht und Ressourcen dezentralisiert, weg von Kathmandu als Zentrum. Das wird dazu führen, dass neue Städte in anderen Bundesstaaten entstehen. Das hat sehr viel Potenzial. Da gibt es also Einiges, was uns optimisch stimmen darf."
Die neue Regierung hat bereits erste Erfolge vorzuweisen, die sich konkret auf die Bevölkerung auswirken.
Asmila Chaba und Sajan Napit haben sich nach dem Studium schwergetan, in Kathmandu einen Job zu finden.
Asmila Chaba und Sajan Napit haben sich nach dem Studium schwergetan, in Kathmandu einen Job zu finden.© Deutschlandradio / Emre Çaylak
Sajan Napit und seine Freundin Asmila Chaba sitzen in einem Café gleich um die Ecke von Kathmandus Durbar Square, dem historischen Stadtkern. Es ist Samstag, da haben die beiden frei und nutzen den Tag für einen Ausflug. Sie wohnen rund 20 Kilometer entfernt in Bhaktapur – neben Kathmandu und dessen angrenzender Schwesterstadt Patan, die dritte alte Königsstadt im Kathmandutal. Napit arbeitet in Patan und muss jeden Morgen rund zwei Stunden für die Busfahrt einplanen, um sicherzugehen, dass er halbwegs pünktlich kommt. Da darf nichts schiefgehen, so wie kürzlich.
"Letzten Freitag streikte die Vereinigung der Busunternehmer. Sie hatten ein Kartell gebildet und nutzen ihr Monopol, um die Preise zu erhöhen, wann immer sie wollten. Die Regierung wollte das Monopol auflösen. An dem Tag kam ich nicht zur Arbeit, es fuhr einfach kein Bus. Ich musste meinen Chef anrufen und ihm sagen, dass ich nicht kommen kann."
In Nepal wird ständig gestreikt. Gewerkschaften, Kartelle und andere Interessengruppen nutzen den Protest, um ihre politischen Forderungen durchzusetzen. Meist geht es jedoch nur darum, sich Pfründe zu sichern. Die Streiks können Tage oder Wochen dauern. Aber dieses Mal war der Spuk schnell vorbei, erzählen Napit und Chaba.
"Die Regierung blieb hart und drohte den Unternehmen die Lizenzen zu entziehen. Am nächsten Tag fuhren die Busse wieder. Die Regierung hat da hart reagiert."

WLAN statt Dieselgenerator

Und noch etwas ist anders, seitdem die neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat: Aus allen Cafés und Restaurants im Stadtzentrum dringt jetzt den ganzen Tag lang Musik, die Kaffeemaschinen surren. Hier und da läuft ein Fernseher, der Bimmelton einer Nachricht auf irgendeinem Laptop verrät, dass es WLAN gibt. Nirgendwo jedoch ist mehr das Rattern eines Dieselgenerators zu hören, das bisher den Sound der Innenstadt prägte. Damit haben nepalesische Geschäftsleute sonst die vielen Stunden Stromausfall am Tag kompensiert. Die Engpässe entstanden dadurch, dass Nepal zu wenig Strom aus Indien importierte, vor allem aber auch, weil einflussreiche Geschäftsleute gegen Schmiergeld mehr Strom für ihre Fabriken abzweigten als ihnen erlaubt war. Der neue Chef der Energiebehörde, Kulman Ghising, setzte dem ein Ende. Die Nepalis feiern ihn dafür wie einen Nationalhelden.
"Wir haben jetzt den ganzen Tag über Strom. Dafür hat der Chef der Energiebehörde gesorgt, Kulman Ghising. Er hat viele Leute und auch Mitarbeiter erwischt, die Strom auf illegale Weise abgezweigt haben."
"Er ist sehr beliebt, weil er diesen drastischen Wandel geschafft hat. Wir sind alle so froh. Er hat sogar einige Regierungsbeamte verhaften lassen, sogar einige Mitarbeiter seiner eigenen Behörde. Er hat sie hinter Gitter gebracht. So etwas hat es noch nie gegeben."
Khadga Prasad Oli, Premierminster von Nepal.
Seit der Abschaffung der Monarchie im Jahr 2008 ist Premierminister Khadga Prasad Oli bereits der elfte Regierungschef Nepals.© Chen Boyuan/ Imaginechina/ dpa
Dennoch ist das junge Paar eher skeptisch, ob es nun wirklich aufwärts geht, vor allem für sich selbst sehen sie kaum Chancen. Die beiden stammen aus einfachen Verhältnissen. Napits Vater ist Friseur, kein besonders angesehener Beruf in Nepal, er kann nicht lesen und schreiben. Chabas Eltern sind Bauern. Ein Studium zu finanzieren, war für die beiden nicht leicht. Napit hatte Glück und bekam einen Kredit von einem Freund im Ausland, Chaba bekam als einzige von sechs Schwestern die Ausbildung von den Eltern finanziert, nebenbei jobbten sie.
Beide haben gerade frisch die Uni abgeschlossen. Napit arbeitet jetzt als Systemassistent für eine Firma, die Computersysteme für den Börsenhandel betreut, und Chaba in einer kleinen Kooperative, die Mikrokredite vergibt. Einen Job zu finden, war nicht einfach, sagen beide. Jedes Jahr verlassen Tausende Absolventen die Universitäten und Colleges. Qualifizierte Stellen gibt es aber fast nur im Kathmandutal. Um einen guten Job zu bekommen, sind Kontakte noch wichtiger als gute Noten. Wer die nicht hat, tut sich sehr schwer, sagt Napit.

Langes Studium - kleines Gehalt

"Nachdem ich das Studium abgeschlossen hatte, habe ich sechs Monate einen Job gesucht. Ich habe so viele Bewerbungen geschrieben und Interviews gehabt. Einerseits bin ich froh, diese Stelle nun gefunden zu haben. Andererseits bin ich etwas enttäuscht. Ich habe so viel Geld investiert, um mein Studium zu finanzieren, ich habe einen Kredit aufgenommen. Und wenn ich mir mein Gehalt anschaue, da werde ich 20 Jahre brauchen, bis ich auf ein vernünftiges Level komme. Ich bekomme jetzt 12.000 Rupien als Anfangsgehalt. Den Bus und das Mittagessen muss ich selbst bezahlen."
Das sind nicht mal 100 Euro im Monat. Chaba geht es ähnlich. Sie möchte am liebsten ins Ausland gehen, um dort zu arbeiten, wie so viele Nepalis.
"Ich verdiene 7000 Rupien im Monat. Unsere Organisation ist klein, sogar der Manager bekommt nur 10.000 Rupien und er hat zwei Jahre Arbeitserfahrung. Viele meiner Freunde sind nach Dubai oder Japan gegangen zum Arbeiten. Sie können Geld nach Hause schicken. Ich glaube, ihnen geht es da besser als mir hier. Und ich würde auch gern in Ausland gehen, nach Australien. Ich spreche oft mit Sajan darüber. Aber er will unbedingt hierbleiben. Ich habe die Politik hier satt und die Probleme mit den Jobs. Im Ausland könnte ich hart arbeiten und meine Familie zu Hause unterstützen."

Der Traum vom Ausland

Für Chaba bleibt das Ausland ein ferner Traum, denn sie könnte gar nicht das Geld für die Vermittlungsagentur aufbringen. Viele Nepalis sehen die Lage jedoch ähnlich wie sie. Die vielen Krisen der letzten 20 Jahre haben die Arbeitssuche im Ausland oder gar die Auswanderung befeuert. Satte 28 Prozent des nepalesischen Bruttoinlandsprodukts beruhen auf Rücküberweisungen von Nepalis im Ausland. Die wenig oder gar nicht Gebildeten gehen als Bauarbeiter oder Hilfskräfte nach Malaysia und in die Golfstaaten. Jene, die studiert haben und sich höhere Vermittlungsgebühren der Agenturen leisten können, zieht es nach Australien, Japan oder in die USA. Wenn die politische Lage nun stabil bleibt und es bergauf geht mit der Wirtschaft in Nepal, werden manche vielleicht darüber nachdenken zurückzukehren.
Männer warten vor dem "Department of Foreign Employment" in Kathmandu, Nepal, auf ihre Papiere zur Ausreise.
Hoffnung auf einen Job im Ausland: Männer warten vor dem "Department of Foreign Employment" in Kathmandu auf ihre Papiere zur Ausreise.© Doreen Fiedler / dpa
Der 28-jährige Binam Shakya hat Management und Marketing in Australien studiert und hat dann eine Weile dort und danach in den USA gearbeitet und gejobbt: als Hilfskraft in einer Großbäckerei, in einem Warenlager und in einem Kiosk. Insgesamt dreieinhalb Jahre hat er im Ausland verbracht.
"Manchmal habe ich darüber nachgedacht, zu bleiben und eine permanente Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, denn es hat mir sehr gut gefallen. Aber ich hatte meiner Mutter versprochen, dass ich auf jeden Fall zurückkomme. Wir – sieben Freunde – sind zusammen nach Australien gegangen, nur ich bin zurückgekommen. Die anderen werden wohl nicht zurückkehren. Es ist hart hier. Selbst wenn man dort nur in einem Restaurant arbeitet, kann man sechs oder sieben Mal so viel verdienen wie hier. Deshalb werden sie wohl da bleiben."

Selbständigkeit als Alternative

Weil es mit den Karriereaussichten in der Heimat nicht so weit her war und Binam sich in der autoritär gepägten Unternehmenskultur Nepals nicht herumkommandieren lassen wollte, machte er sich selbstständig. Dafür tat er sich mit seinem alten Schulfreund Sachin Shrestha zusammen, der Handel und Bankwesen studiert hat.
Erfolgreiche Jungunternehmer: Sachin Shrestha und Binam Shakya in ihrem Laden in Patan.
Erfolgreiche Jungunternehmer: Sachin Shrestha und Binam Shakya in ihrem Laden in Patan.© Deutschlandradio / Emre Çaylak
Die beiden haben eine kleine Boutique in Patan im Kathmandutal. Die Lage ist ideal: in einem gehobenen Wohnviertel, angrenzend an ein hippes Café. In dem Komplex gibt es auch eine Künstlerwerkstatt, ein Tatoostudio, es werden Malkurse, Yoga und weitere Veranstaltungen angeboten. Weil die Luft und die Straßen in dieser Gegend besser sind als in Kathmandu, sind hier viele internationale Organisationen und auch Botschaften angesiedelt. Kaufkräftige Kundschaft also.
Binam und Sachin verkaufen sehr Unterschiedliches: von Designer-Vasen und Lampen aus Messing über Notizbücher aus handgeschöpftem Papier bis zu Taschen und Kleidung. Alles von hoher Qualität - anders als in den Souvenirläden des Touristenviertels, betonen sie stolz. Das Konzept der Jungunternehmer: Sie stellen jungen innovativen Marken Verkaufsfläche zur Verfügung. 25 Firmen haben sie unter Vertrag. Sich selbstständig zu machen, war ein sehr mutiger Schritt, denn erst kurz zuvor hatte die Grenzblockade zu Indien die Wirtschaft für Monate zum Erliegen gebracht.
"Wir haben an dieses Konzept geglaubt. Wir kannten so viele junge Leute, die ein eigenes Produkt entwickeln wollten, aber sie wussten nicht, wie sie es verkaufen könnten. So kamen wir auf diese Idee. Unser Risiko ist gering, denn es verteilt sich auf 25 verschiedene Firmen. Das hat uns eine gewisse Sicherheit gegeben."

Spricht Nepals Premierminister Englisch?

Was ihre Geschäfte angeht, sind beide optimistisch, nicht jedoch mit Blick auf die neue Regierung Nepals.
"Ich persönlich habe Zweifel, denn nur das System ist ein neues, aber die Leute, die im Parlament sitzen, sind immer noch die gleichen. Da glaube ich nicht an große Veränderungen. Es sind immer noch die gleichen Leute, die da in den Ämtern rotieren. Es gibt keine Neuen, die mal eine andere Perspektive oder innovative Ideen hätten."
"Genau. Wir bräuchten mal frisches Blut, jemand mit Weitsicht und jemand, der wenigstens gut Englisch spricht. Ich glaube, dass selbst der Premierminister nicht richtig Englisch spricht."
Der Fortschritt ist auch im Himalaya eine Schnecke, doch ein Hauch von Bewegung ist erkennbar. Das zeigt die Kandidatur von Ranju Darshana für die im vergangenen Jahr abgehaltenen Bürgermeisterwahlen in Kathmandu. Darshana, 21 Jahre und noch dazu eine Frau, bekam zwar nicht die Mehrheit, errang aber als Dritte mit über 28.000 Stimmen einen Achtungserfolg, sagt Sachin Shrestha.
"Das war sehr motivierend für uns junge Leute, wir haben auch für sie gestimmt. Aber die Älteren, die auf ihren Posten sitzen, ließen sie nicht hochkommen."
"Ich glaube das Problem ist auch, dass die älteren Leute wie zum Beispiel mein Vater eher die älteren Kandidaten wählen, die sie schon kennen."

Selbst etwas auf die Beine stellen

Nicht alle jungen Leute sind so skeptisch, wie Sachin und Binam und die beiden Uniabsolventen Sajan Napit und Asmila Chaba. Shashank Agrawal, ebenfalls Jungunternehmer, schaut mit großem Optimismus in die Zukunft. Der 27-Jährige führt ein Familienunternehmen in Nepals Haupstadt, das Outdoorbekleidung für den internationalen Markt herstellt. Er glaubt, man darf nicht darauf warten, dass die Regierung etwas unternimmt, sondern muss selbst etwas auf die Beine stellen. Viele Unternehmer seien da zu zögerlich.
"Manche trauen sich nicht, selbst etwas zu versuchen. Sie denken, die Regierung muss erst etwas tun. So ähnlich war das nach dem Erdbeben. Die Leute in den Dörfern dachten, die Regierung wird uns helfen und haben einfach gewartet und sonst nichts getan. Aber manche Leute haben angepackt und selbst wieder etwas aufgebaut. Ich denke, solche Menschen kommen im Leben weiter und das Land wird mit ihrer Hilfe auch weiterkommen."
Agrawal sieht auch großes Potenzial in Nepals Föderalisierung, also der Bewegung weg vom Zentrum. Diese Entwicklung stehe gerade erst am Anfang.

Eine glänzende Zukunft für Nepal?

"Man kann schon sehen, dass die Regierung etwas unternimmt, sie plant Sonderwirtschaftszonen in verschiedenen Regionen des Landes einzurichten. Sie will auch andere Städte neben Kathmandu entwickeln, das ist sehr wichtig. Zum Beispiel Biratnagar und Birganj an der Grenze zu Indien. Die Straßen sind schon im Bau, das habe ich selbst gesehen. Ich weiß nicht, wie es mit der industriellen Entwicklung aussieht, aber wenn dort auch neue Industrien entstehen, dann werden die Arbeiter aus dem Ausland nach Nepal zurückkehren. Eigentlich will doch niemand hier weg."
Regierung hin oder her, Agrawal jedenfalls glaubt an eine glänzende Zukunft für Nepal. Und dabei müssten die Unternehmer eine entscheidende Rolle spielen, findet er.
"Ich glaube, die gebildeten Leute sehen die Lage positiv. Sie sehen, dass Nepal noch ein unberührter Markt ist. Es gibt so viel zu tun, es fehlt an Industrie und Technologien. Unsere Basis liegt im Tourismusbereich, aber davon abgesehen wird IT das nächste große Ding sein. IT-Firmen entstehen derzeit in großer Zahl - und auch Krankenhäuser und Wasserkraftwerke. Das werden die Hauptsektoren Nepals sein."
Nepali children on their way to the school, Boudha, Kathmandu Nepal 2018
Werden sie einen wirtschaftlichen Aufschwung ihres Landes erleben? - Nepalesische Kinder auf dem Weg zur Schule.© Deutschlandradio / Emre Çaylak
Nepals Zukunft wird aber nicht nur von guter Regierungsführung und zupackenden Unternehmern abhängen, sondern entscheidend auch von äußeren Faktoren, vor allem vom Verhältnis zu seinen beiden einzigen Nachbarn: China und Indien. Das Binnenland Nepal liegt wie in einem Sandwich eingeklemmt zwischen den beiden verfeindeten Regionalmächten und ist vor allem von Indien massiv abhängig. Seit der Blockade finden viele Nepali, dass die Regierung vor allem die Beziehungen zu China verbessern sollte. Beide, China und Indien, buhlen in Nepal um Einfluss. Das kann sich das kleine Land zu nutze machen, wenn die Regierung clever die Balance zwischen den beiden Giganten hält. Shashank Agrawal sieht auch da großes wirtschaftliches Potenzial.

In zehn Jahren: Nepal wird wie die Schweiz

"Als Binnenland liegt unsere größte Herausforderung beim Transport unserer Waren. Wir können derzeit nur einen einzigen Hafen nutzen: Kalkutta. Die Häfen in China können wir nicht nutzen, denn es fehlt eine Verbindung im Straßen- oder Schienennetz. Wenn die Regierung sich da ins Zeug legen und die Anbindung verbessern kann, dann können wir große Warenvolumen über China exportieren. Wenn sie das clever anstellen und mit einer Vision, dann ist Nepal nicht mehr zu stoppen. Dann kann es wie die Schweiz werden – vielleicht in zehn Jahren."
Wie es am Ende kommen wird, ob die Regierung tatsächlich solch ambinitionierte Pläne fassen und diese auch umsetzen kann, wird sich zeigen. Die ersten sechs Monate ihrer Legislaturperiode hat sie inzwischen immerhin überlebt.
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