Nach Gruppenvergewaltigung in Freiburg

"Das versteht überhaupt keiner mehr"

Freiburg: Eine Straße und die angrenzende Grünanlage im Industriegebiet Nord hinter einem Diskothekenareal wird nachts von Straßenlaternen erleuchtet.
Nach einem Diskobesuch wurde eine 18-jährige Studentin in der Nacht zum 14. Oktober in Freiburg vergewaltigt. Die Polizei hält es für möglich, dass es neben den acht festgenommenen Verdächtigen weitere Täter gibt. © dpa/Patrick Seeger
Thomas Hauser im Gespräch mit Dieter Kassel · 29.10.2018
Nach der Vergewaltigung einer 18-Jährigen in Freiburg sitzen sieben Syrer und ein Deutscher in U-Haft. Der mutmaßliche Haupttäter war polizeibekannt. Kippt jetzt die Stimmung in der Stadt? Der Journalist Thomas Hauser sieht Gefahren.
Bislang sei man in Freiburg entsetzt und bedrückt, doch eine "richtige Wut" zeige sich noch nicht: So beobachtet es der Herausgeber der "Badischen Zeitung". Allerdings sind für den Abend zwei Demonstrationen angekündigt: eine von der AfD, die andere von einem früheren Stadtrat unter dem Motto "Mein Entsetzen ist keine Rechtfertigung für euren Hass". Hauser sagt, dass insbesondere die rechten Kreise über das Internet "einiges an Mobilisierungskraft entwickeln" könnten: "Es wird mit Sicherheit so sein, dass eine Menge an Demonstrationssöldnern, sage ich mal, auch in der Stadt sein werden, die natürlich solche Anlässe immer gerne nehmen, um entsprechend Stimmung zu verbreiten."

Haftbefehl gegen den Hauptverdächtigen

Dass der mutmaßliche Haupttäter der Polizei bekannt war, dass offenbar sogar ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, der wohl aus ermittlungstaktischen Gründen bislang nicht vollstreckt worden war - all dies sieht Hauser als problematisch an: "Das sind natürlich so Dinge, die dann nach so einer Tat überhaupt keiner mehr versteht, und wo auch natürlich die Sicherheitsbehörden Schwierigkeiten haben, sich zu erklären." Vermutlich war der Verdächtige im Drogenmilieu aktiv.

Erinnerungen an ermordete Studentin

Die Tat ruft Erinnerungen an die Vergewaltigung und Ermordung einer Studentin durch einen Afghanen 2016 wach: Damals war es nach Hausers Ansicht aus mehreren Gründen nicht zu einer migrantenfeindlichen Stimmung in Freiburg gekommen: Die Zivilgesellschaft habe vieles aufgefangen, die Medien hätten Besonnenheit walten lassen. Vor allem aber sei die Reaktion der Eltern des Opfers entscheidend gewesen: Sie hätten nicht zu Hass aufgerufen, sondern - im Gegenteil - "Versöhnung gepredigt", bis heute. Mit einer Stiftung wollten sie Flüchtlingshilfe fördern.

Kriminologe: Der oder die Anführer müssen identifiziert werden

Gruppenvergewaltigungen - in Deutschland weisen die Kriminalstatistiken mehrere Hundert in jedem Jahr aus. Sie geschehen auf offener Straße ebenso wie im häuslichen Umfeld. 2012 wurden laut Bundeskriminalamt rund 6,5 Prozent aller angezeigten Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen von Gruppen begangen – also etwa 500. Für das Jahr 2017 weist die Kriminalstatistik 258 solcher Fälle aus, was einer Halbierung der Fallzahlen entspricht.
Der Kriminologe Rudolf Egg betont mit Bezug auf frühere Fälle von Gruppenvergewaltigungen, dass es bei der Aufklärung der Tat hier nun darauf ankomme, die oder den Anführer zu identifizieren: "Es gibt unter Erwachsenen Männer, die von vornherein auf Sexualdelikte aus sind, die auch allein so etwas machen würden und die sich dann, wenn sie sich gemeinschaftlich finden, einig sind: 'Heute schnappen wir uns eine!'"
Zur Psychologie der Täter sagte Egg: "Es gibt da ein oder zwei Anführer, die das von vornherein vorhaben und andere, die aus Neugierde mitmachen oder auch aus Feigheit sich nicht davon verabschieden wollen, weil sie dann hoffen, vielleicht in der Gruppe ein bisschen höher eingestuft zu werden. Es ist nicht so, dass die dann alle die gleiche Tatmotivation oder die gleiche kriminelle Energie aufweisen." Im Bösen, im Kriminellen, bestätigten sich hier die Mitglieder der Gruppe gegenseitig: "Weil sie dann die mitziehen, die so etwas allein nicht machen würden." Egg zieht hier Parallelen zur Silvesternacht von Köln 2015: "Da waren sehr, sehr viele als Mitläufer dabei."

Der Kriminologe Rudolf Egg im Interview:
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"Je größer die Gruppe ist, je ungebremster die Situation ist, je anonymer sie ist, desto leichter wird es dann scheinbar für die Täter, diese Taten durchzuführen", so Egg. Hier würden dann oft auch Personen mitgezogen, die allein nie in der Lage wären, so eine Tat zu begehen.
(bth/str)
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