Nach Dieselgate und Kartell-Vorwürfen

Warum E-Mobilität vielleicht auch nicht die Lösung ist

Fahrzeuge fahren in Hamburg im Dunkeln über die Autobahn 7
Findet die Automobilindustrie die "Ausfahrt", weg vom Verbrennungsmotor? © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Rainer Hank · 30.07.2017
Angesichts der Skandale bei Volkswagen und Co. fordern Politik und Öffentlichkeit den Umstieg auf Elektromobilität. Doch eingeübte Technologien haben große Beharrungskräfte - und ob Neues wirklich Fortschritt bringt, ist ungewiss.
"Die revolutionierende Wirkung der Elektrizität, dieser gewaltigsten aller Naturkräfte wird die Bande der bürgerlichen Welt sprengen und dem Sozialismus die Türe öffnen." Es war Friedrich Bebel, der mit solch pathetischen Sätzen schon im Jahr 1900 den technologischen Fortschritt zur Durchsetzung des Sozialismus anpries und dafür das Elektroauto als Vehikel im Auge hatte.
Schon 1881 hatte der französische Erfinder Gustave Trouvé auf der Pariser Exposition d’Electricité das erste rein elektromechanische Fahrzeug vorgestellt, fünf Jahre vor den Automobilpionieren Gottlieb Daimler und Carl Benz, die alles auf den Verbrennungsmotor setzten. Lange sah es danach aus – so belehren uns die Wirtschaftshistoriker –, als ob das Elektromobil dem Verbrennungsmotor überlegen wäre. Erst das T-Modell von Henry Ford brachte angesichts des unschlagbar billigen Öls und Benzins im frühen 20. Jahrhundert die Entscheidung für den Otto-Motor und ließ das Elektroauto vom Markt verschwinden.

Wahl zwischen batterie- oder motorgetriebenen Autos

Die kleine Geschichte ist aufschlussreich, zeigt sie doch, dass der wirtschaftliche und technische Fortschritts alles andere als linear verläuft. Es sollte mehr als 100 Jahre dauern, bis die Menschheit heute abermals vor der Alternative batterie- oder motorgetriebener Automobile steht.
Indessen ist angesichts der Skandale bei Volkswagen & Co., angesichts der nachweislich klima- und gesundheitsschädigenden Folgen des Verbrennungsmotors für viele in Politik und Öffentlichkeit die Entscheidung längst gefallen: Verbietet den Motor so rasch wie möglich und verkauft künftig nur noch batteriegetriebene Autos, hören wir derzeit überall. Denn Elektroautos sind umwelt- und gesundheitsverträglich und überdies ganz leise.
Doch Obacht: Pfadwechsel sind gar nicht so leicht zu bewerkstelligen. Eine eingeübte Technologie hat eine große Beharrungskraft, sagen die Sozialwissenschaftler und sprechen von "selbstverstärkenden Rückkopplungsschleifen", die eine einmal gewählte Entwicklungsrichtung zementieren und einen Aus- oder Umstieg erschweren. Deutsche Autokonzerne können Motoren, aber keine Batterien bauen. Deutsche Tankstellen können Benzin, aber keinen Strom verkaufen. Und deutsche Männer mögen ihr Auto lieber laut als leise. Natürliche Beharrungskräfte der menschlichen Natur erklären unsere Pfadabhängigkeit.

Pfadwechsel benötigen Schockerfahrung als Auslöser

Gerade deshalb müsse man ja die Gunst der Stunde, in der die alte Autoindustrie am Boden liege, zum Pfadwechsel nutzen – meinen die Elektro-Utopisten und vergleichen den aktuellen Kartell-Skandal mit dem Fanal von Fukushima, nach dem Deutschland abrupt und radikal die Energiewende vollzog.
Der Hinweis ist richtig und gefährlich zugleich. Richtig insofern, als noch fast jeder Pfadwechsel einer Schockerfahrung als Auslöser bedurfte. Gefährlich aber, weil in solchen Momenten für gewöhnlich die Kosten der Alternative dramatisch unterschätzt werden. Elektroautos sind auf absehbare Zeit teuer, träge und es dauert Stunden, bis der Akku wieder voll ist.

Disruption kann auch Rückschritt bedeuten

Schlimmer noch: Ihre Öko- und Moralbilanz ist längst nicht so überlegen, wie die Elektrofreunde behaupten, so lange fossile Stoffe zur Stromherstellung benutzt werden und für die seltenen Mineralien der Batterien Sklaven in Afrika schuften müssen. Dagegen sind heutige Benzin- und Dieselmotoren um ein vielfaches effizienter und sauberer als ihre Vorgänger.
Fazit: Der Diesel-Fall ist ambivalent - wie das ganze menschliche Leben. Ohne Disruption gibt es keinen Fortschritt. Disruption aber kann auch Rückschritt bedeuten – und das weiß man vorher leider nie.
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