Nach der Wahlschlappe der Union

Kanzlerin fernab ihres Volkes

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Hände zu einer Raute geformt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Hände zu einer Raute geformt. © dpa picture alliance/ Michael Kappeler
Von Volker Finthammer · 21.10.2017
Die CDU muss sich erneuern. Das habe nicht zuletzt der Rücktritt von Sachsens Ministerpräsident Stanislav Tillich gezeigt, kommentiert unser Hauptstadtkorrespondent Volker Finthammer. Aber ist Angela Merkel dafür die richtige Vorsitzende?
Es ist doch schon erstaunlich, wie sehr sich die CDU in den zwölf Jahren unter der Führung von Angela Merkel wieder allein zum Kanzlerinnen-Wahlverein entwickelt hat. Ohne den schwelenden Dauerstreit mit der Schwesterpartei CSU gibt es in der öffentlichen Wahrnehmung so gut wie gar keine innerparteilichen Streitpunkte geschweige denn Kontrahenten, die wirklich ernst zu nehmen wären und die der Kanzlerin und CDU- Vorsitzenden offen gegenübertreten und sie herausfordern würden.
Wolfgang Schäuble wird immer wieder einmal genannt, der Grandsenior der CDU. Aber mehr als ein Bremser im einen oder anderen Fall ist auch Schäuble nicht gewesen. Oder Jens Spahn, als das junge und mutige Gesicht. Der kann zwar gut Selfies schießen, wie jetzt mit dem österreichischen Wahlgewinner Sebastian Kurz, aber eine wirklich Hausmacht hat er nicht. Die kam in der Union eigentlich immer aus den starken Landesverbänden und deren Ministerpräsidenten an der Spitze.
Doch hier herrscht seit Jahren, seit Angela Merkel den früheren Andenpakt Stück für Stück ausgebremst und hinter sich gelassen hat, Totenstille. Fast möchte man sagen, im CDU-Präsidium ist das Politbüro eingezogen, das nur noch absegnet, was im Kanzleramt bereits beschlossen wurde. Oder könnten Sie auf anhieb einen CDU-Ministerpräsidenten oder -Landesvorsitzenden nennen, der Angela Merkel öffentlich deutlich entgegentreten würde? Fehlanzeige.

CDU im Osten gefährdet

Die Quittung hat die CDU jetzt in Sachsen präsentiert bekommen. Wenn die große Volkspartei, die gerade in Sachsen über zwei Jahrzehnte nur Erfolge feiern konnte, jetzt so abgestraft wird, dass Ministerpräsident Stanislav Tillich gar nicht mehr anders kann, als den Weg für einen neuen Vorsitzenden frei zu machen, dann ist das eigentlich schon mehr als nur ein Hilferuf.
Dann ist das ein Zeichen dafür, dass es der CDU zumindest in Ostdeutschland in Zukunft ähnlich dramatisch ergehen könnte wie zuvor schon der SPD, die vom Bild einer Volkspartei im Osten nur noch träumen darf. Aber soll man es jetzt gut heißen, wenn sich die CDU in ihrer Not von einer radikalen und sicherlich stark rechtsnationalen AfD treiben lässt, um wieder Boden gut zu machen?
Der designierte sächsische Landesvorsitzende Michael Kretschmar lässt genau das erwarten. Aber das wäre fatal, weil sich die Union genau auf den verengten Themenkatalog einlässt, den die AfD gesetzt hat. Die Abschottung gegenüber Fremden ganz voran. Keiner wird bestreiten wollen, dass Migration ein wichtiges Thema ist, aber letztlich nicht das zentrale.

Verlustängste des Mittelstands sind keine Einbildung

Aber die Union hat im vergangenen Bundestagswahlkampf ein Trugbild vor sich her getragen mit dem Slogan: "In einem Land, in dem wir gut und gerne leben". Die Modernisierungs- und Anpassungsprobleme sind da und die Verlustängste des bürgerlichen Mittelstands sind keine Einbildung, sondern in weiten Teilen eine gelebte Realität.
Das fängt bei der wachsenden Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse an und hört bei den steigenden Mieten in den Ballungsräumen und den fehlenden Schul- und Betreuungsangeboten für die Kinder noch lange nicht auf. Lauter einzelne Fragen, die sicherlich zu lösen sind, die in der Summe aber den Stress und die Abstiegsängste befördern. Und dann rettet die Kanzlerin den Euro und bittet die Fremden herein. Das waren sicherlich keine falschen Entscheidungen, aber die, die das Fass für viele zum Überlaufen brachten.
Was heißt das nur für die Union? Sie muss sich nicht neu erfinden, sie muss nicht nach rechts, sie muss nicht "law and order" in der Vordergrund stellen, sie muss den Menschen in den Städten und Gemeinden zuhören und diese Probleme bewältigen wollen. Die Union muss sich wieder dort verankern, wo es knirscht. Und so gesehen ist Angela Merkel mittlerweile viel zu weit weg von den Problemen, die die Menschen wirklich umtreiben.
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