Nach der Wahl in Niedersachsen

Gute Stimmung bei der SPD

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kommt am 15.10.2017 mit seiner Frau Rosemarie Kerkow-Weil auf der Wahlparty der SPD in Hannover (Niedersachsen) an. Foto: Julian Stratenschulte/dpa | Verwendung weltweit
Wahlsieger Stephan Weil (SPD): Nach 19 Jahren wieder stärkste Fraktion © dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte
Von Peter Sawicki · 16.10.2017
Die SPD feiert ihren Spitzenkandidaten Stephan Weil. CDU, Grüne und AfD sind bei der Landtagswahl jeweils unter den eigenen Erwartungen geblieben. Die FDP – das Zünglein an der Waage – lehnt derweil eine Ampelkoalition ab.
Es muss nicht immer schädlich sein, wenig Schlaf zu bekommen.
"Wie immer ist mein Hormonspiegel ausgeglichen. Und wie immer auf positivem, hohem Niveau."
Detlef Tanke, SPD-Generalsekretär in Niedersachsen, am Tag nach dem Wahlrausch. Gut gelaunt schaltet er in den nüchternen Analysemodus. Den Sieg verdanke man einer simplen Formel:
"Die Wahlphilosophie vieler Werbeagenturen, oder aber auch, was Allgemeingut ist in Parteivorständen, ist ja, dass man Wahlen vor allen Dingen gewinnt, wenn die drei P’s stimmen. Und die stimmen in Niedersachsen."
P Nummer 1: die Partei habe geschlossen ihren Mann gestanden. Nicht zuletzt verstärkt durch die Causa Twesten. P Nummer 2: das Programmdas habe sich klar von der Union abgegrenzt. Und...
"...natürlich kann man keine Wahlen gewinnen, wenn man nicht in der Spitzenperson, dem dritten P, ein überzeugendes Angebot gemacht hat. Und ich glaube, da haben wir für Niedersachsen das beste Angebot machen können."

CDU sieht keine Versäumnisse

Auf die P‘s der CDU angesprochen, kann deren Generalsekretär Ulf Thiele keine Versäumnisse erkennen. Keine großen zumindest:
"Das muss ich mit Respekt anerkennenes ist der SPD gelungen, indem sie immer wieder Programmpunkte, Vorschläge zur Verbesserung der Situation, die wir gemacht hatten, einfach übernommen hat. Das ist ja alles Copy-Paste gewesen."
Das Programm habe also eigentlich gestimmt, die Geschlossenheit sowieso. Und auch der Person Bernd Althusmann sei nichts vorzuwerfen. Stattdessen blickte Thiele in die Zukunft:
"Ja, es bleibt für uns eine Herausforderung, dass wir, ich würde sagen, eher strukturell im Süden Niedersachsens stärker werden müssen."

Aufholjagd der SPD gelungen

Rückblende: Punkt 18 Uhr, im Fraktionssaal der SPD blicken die Genossen gebannt auf die Leinwand. Dann bricht Jubel aus …
Darauf hätte selbst hier kaum jemand gewettet. Noch im August schien Amtsinhaber Stephan Weil durch den Mehrheitsverlust schwer angezählt. Doch gerade das hat seinen Kampfgeist geweckt. Weil, der eigentlich die Gemütslage des nüchternen Verwaltungsmenschen ausstrahlt, der sich nie in Talkshows setzt, drehte im kurzen Wahlkampf mächtig auf. Knapp 37 Prozent für die geschlossen kämpfenden Genossen, aus der Aufholjagd wird ein Überholmanöver. Auf der Wahlfeier wendet sich Weil stolz an die Feiernden:
"Wir lagen 12 Prozent hinten. Und heute stehen wir vor einem fulminanten Erfolg. Wir können zum ersten Mal seit 19 Jahren können wir die stärkste Fraktion im niedersächsischen Landtag werden!"
Doch Stephan Weil, der neue Hoffnungsträger der gebeutelten Sozialdemokratie, kostet seinen Triumph nicht aus. Er ahnt schon, dass die Regierungsbildung nicht einfach wird.

Enttäuschung bei CDU

Nur einige Gänge weiter, dasselbe Stockwerk im Leineschloss, dem Landtag. Auch hier Jubel. Und Loblieder auf CDU-Herausforderer Bernd Althusmann, der inmitten der feiernden Wahlverlierer noch eine ganze Weile braucht, das für ihn eigentlich enttäuschende Ergebnis zu realisieren.
"Die Union hier in Niedersachsen ist mit 35 Prozent stärkste … zweitstärkste Kraft. Stärkste wären wir gerne geworden."
Sogar weniger als 34 Prozent werden es im Laufe des Abends. Immerhin, ein Etappenziel sieht der frühere Kultusminister erreicht: Es ist knapp, aber es reicht nicht für eine Fortsetzung von Rot-Grün. Er gedenke nicht, in Sack und Asche zu gehen, verkündet Althusmann markig. Er fordert noch am Wahlabend den Fraktionsvorsitz, bietet sich aber ebenso eifrig als Juniorpartner in der großen Koalition an.

Grüne sehen Stimmenaustausch

Juniorpartner – da klingelt was beim bisherigen Koalitions-Vize, dem grünen Umweltminister Stephan Wenzel.
"Wir haben alles gegeben! Wir sind auch als Bündnis angetreten, um Rot-Grün fortzusetzen. Es gab einen gewissen Stimmentausch hier, weil natürlich die Wählerinnen und Wähler auf den letzten Metern wollten, dass der Ministerpräsident der amtierenden Regierungskoalition die Nase vorn hat. Das hat uns einige Federn gekostet."
Zwar haben sich die Grünen eine hippe Tequila-Bar als Schauplatz für ihre Wahlparty ausgesucht, doch statt Sekt gibt es Selters – niemand hier ist wirklich in Feierlaune. Viereinhalb Jahre lang haben sich die Grünen als verlässlicher Partner im rot-grünen Tandem gezeigt, sagt Wenzel. Streit um Atomanlagen, um Windräder, um Hühnerställe – Seit´an Seit´mit den Sozialdemokraten hätten sie manches dicke Brett gebohrt.
Immerhin, einen Lichtblick gibt es in dieser Nacht für Wenzel: Die AfD wurde zwar nicht aus dem Landtag heraus, aber bemerkenswert klein gehalten.
Diese hat die Reporter zu ihrem Festlokal in Barsinghausen gelotst. Reichlich Häme dort für das schlechte Abschneiden der Grünen, für das eigene magere Ergebnis tragen andere die Schuld: Armin-Paul Hampel verweist auf die Ereignisse in Berlin nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl.
"Nun darf man natürlich nicht vergessen: Wir haben nach der Bundestagswahl den Rücktritt einer Bundessprecherin gehabt, Frauke Petry. Dass dann viele Wähler, die erst mit Begeisterung AfD gewählt haben, sich, ja, sogar missbraucht fühlen, das ist doch nachvollziehbar."

Wahlkampf kurz, hart und lebhaft

Die Menschen zwischen Nordsee und Harz haben einen harten und zugleich erfrischend lebhaften Wahlkampf erlebt. Aus ihrer gegenseitigen persönlichen Abneigung machten die Kandidaten der beiden großen Parteien keinen Hehl, ihren Kampf um die bürgerliche Mitte trugen sie aber eher nüchtern und mit sachlichen Argumenten aus. Es ging um Köpfe, um Positionen, um das große Landesthema Schulpolitik.
Bei der Zusammenkunft der AfD in Barsinghausen sieht eine Frau unter den Gästen neben den Berliner Ereignissen auch landesspezifische Gründe für das Wahlergebnis unter den eigenen Erwartungen.
"Gut – Niedersachsen ist kein leichtes Pflaster. Und es ist ja bekannt, dass es auch innere Querelen gibt sozusagen. Die nächste Bombe kam übrigens vorhin per Email. Das werden Sie wahrscheinlich morgen auch noch wissen. Ja, es geht munter weiter."
Tatsächlich breitet der in Niedersachsen chronisch zerstrittene AfD-Landesverband am Morgen nach dem Katerfrühstück schon wieder reichlich schmutzige Wäsche aus. Angeblich fordern Parteikritiker die komplette Neuwahl des Vorstands – Hampel dementiert, seine schärfste Kritikerin, AfD-Spitzenkandidatin Dana Guth, ist vorerst abgetaucht.

Koalitionspartner dringend gesucht

Nach einer Nacht mit vielen Volten, macht sich im politischen Hannover eine neue Nüchternheit breit. Stephan Weil, der alte Regierungschef, dürfte auch der neue sein. Doch mit wem soll er eigentlich regieren? Die FDP ist Zünglein an der Waage – aber Landeschef Stefan Birkner hat jegliche Diskussion über eine Ampelkoalition ausgeschlossen:
"Weil wir eben einen Neustart in der Landespolitik brauchen: in der Bildungspolitik in der Digitalisierungspolitik aber auch in der Rechtsstaatspolitik. Und deshalb stehen wir da nicht zur Verfügung – das haben wir vorher unseren Wählerinnen und Wählern auch deutlich gemacht und gesagt."
Gesagt, getan. Bislang halten sich die Liberalen daran. Die Frage ist jetzt, wie lange noch.
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