Nach der Bundestagswahl

"Der Konsens hat Deutschland Frieden beschert"

Künstler Wolfgang Tillmans steht am 28.02.2013 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf in seiner Ausstellung.
Wolfgang Tillmans: © dpa / Caroline Seidel
Wolfgang Tillmans im Gespräch mit Ute Welty · 02.10.2017
Der Fotokünstler Wolfgang Tillmans pflegt als Weltbürger den Blick von außen auf Deutschland. Und dieser zeigt: Ausgleich und Konsens haben das Land groß gemacht. Ein Plädoyer dafür, alle mitzunehmen – und die AfD ein bisschen links liegen zu lassen.
Ute Welty: Schwarz, Gelb und Grün – das dürften die Farben sein, in denen deutsche Regierungspolitik für die nächsten vier Jahre gezeichnet wird. Dazu kommt am rechten Rand ein kräftiges Blau. Die AfD ist bekanntermaßen als drittstärkste Kraft in den Bundestag eingezogen.
Eine Woche hatte jetzt der Fotokünstler Wolfgang Tillmans Zeit, sich ein Bild des Wahlergebnisses zu machen. Vor der Wahl gehörte er zu denjenigen, die vor der AfD warnten und vor allem dazu aufforderten, tatsächlich wählen zu gehen. Guten Morgen, Herr Tillmans!
Wolfgang Tillmans: Guten Morgen!
Welty: Vor der Wahl haben Sie vor der AfD gewarnt, jetzt nach der Wahl warnen Sie davor, der AfD zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Wie passt das zusammen?

Die AfD will die Krise herbeireden

Tillmanns: Ich denke, die AfD hat ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Zum Beispiel die Behauptung, dass es im Bundestag keine Opposition gegeben hat, ist eine ganz schlimme Behauptung. Die, die das sagen, hören sich erst mal besorgt an um unsere Demokratie, aber bei Licht betrachtet ist diese Äußerung zutiefst demokratieverachtend.
Denn wer keinen Unterschied zwischen den Grünen und der CSU sehen kann, der will den nicht sehen. Die wollen eine permanente Krise der Demokratie herbeireden, statt damit zu leben, dass ihre eigenen Ansichten einfach nur eine kleine Minderheitsmeinung sind.
Welty: Aber was heißt denn konkret nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken?
Tillmanns: Genau das als das sehen, was sie sind: Sie sind 12,5 oder 6 Prozent der abgegebenen Stimmen, und sie reden eben nicht für das Volk.
Die haben ein ungewöhnliches Demokratieverständnis. Stellen Sie sich mal vor, die Grünen-Anhänger hätten sich 1980 gegründet und gesagt, wir sind das Volk, und alles, was nicht nach unserer Nase tanzt, ist ein Skandal, also wir holen uns unser Land und unser Volk zurück.
Nein, die Grünen haben sich halt als kleine Gruppe verstanden, die den langen Weg durch die Politik gegangen ist. An diesem Beispiel kann man sehen, wie wenig an demokratischer Realität die AfD-Funktionäre haben.
Welty: Trotzdem wird es ja eine Art Umgang miteinander geben müssen, auch im Parlament, und es wird Äußerungen geben, bei denen Sie und ich wahrscheinlich sagen werden, das ist nur schwer zu ertragen. Wie kann Demokratie dann damit umgehen?

Frustrierte Mitglieder der Elite

Tillmanns: Man muss vor allen Dingen es verstehen, wer die AfD-Funktionäre sind. Die AfD ist ja nicht die Partei der Abgehangenen und sozial Schwachen. Sie wird zum Teil von denen gewählt, aber nicht gemacht.
Die kurz zuvor gewählten Fraktionsvorsitzenden der AfD im Deutschen Bundestag, Alice Weidel (links) und Alexander Gauland, äußern sich nach der ersten Fraktionssitzung der Bundestagsfraktion der Partei Alternative für Deutschland (AfD) im Deutschen Bundestag in Berlin vor der Presse. Links dahinter steht der Parteisprecher Christian Lüth.
AfD-Funktionäre Alice Weidel und Alexander Gauland im Bundestag: "Frustrierte Menschen mit autoritären Zügen"© picture alliance/ dpa/ Bernd von Jutrczenka
Die AfD-Funktionäre sind frustrierte Menschen mit autoritären Zügen, zu gleichen Teilen aus Ost- und Westdeutschland. Sie sind zum Beispiel oft Akademiker, die sich selbst nicht repräsentiert sehen, und daher meinen, dass alles falsch läuft. Man muss die Leute ansprechen als was sie sind, eben als frustrierte Elitemitglieder.
Man muss sie vor allen Dingen fragen, was wollen sie denn. Zum Beispiel wenn sie gegen Islam, gegen Moslems polemisieren, dann muss man genau fragen, was wollen Sie denn, dass man mit denen 4,5 Millionen Moslems in Deutschland tut.
Also ich habe zum Beispiel einen Onkel, der ist vor 30 Jahren als Deutscher zum Islam übergetreten. Was soll der denn tun? Es gibt ja Leute in der AfD, die wollen, dass alle Moscheen geschlossen werden. Man muss sich das mal genau auf der Zunge zergehen lassen und sie fragen, warum unterscheidet sich das von den ersten Anfängen 1933 gegen andere Religionsgruppen in Deutschland.
Welty: Warum unterscheidet es sich denn?

Kein Rassist sagt, er sei Rassist

Tillmanns: Das sollen die eben erklären, weil die AfD ja immer behauptet, es würde die rechte Keule gegen sie rausgeholt, und sie hätten ja überhaupt nichts Rechtes an sich und nichts Rassistisches und nichts Hetzendes.
Kein Rassist sagt ich bin Rassist, und auch die Nazis waren vielleicht nette Leute und haben nicht gesagt, wir sind rassistische Volksverbrecher. Ich behaupte nicht, dass das das erklärte Endziel der AfD ist, in keiner Weise, aber die Bereitschaft, an diesen Rand zu gehen, nationalistische Stimmung zu machen, das finde ich einfach so besorgniserregend – da bin ich jetzt mal ein besorgter Bürger –, denn Nationalismus hat Deutschland schon zweimal in den totalen Abgrund gerissen.
Welty: Sie sagen von sich, ich mache Bilder, um die Welt zu erkennen. Was ist wichtig, wenn man Deutschland derzeit erkennen will?
Tillmanns: Ich denke, man muss genau beobachten, man muss Sprache beobachten, und man muss beobachten, wie man Dinge wahrnimmt, zum Beispiel nicht nur die Filterblasen der anderen erkennen, sondern die von sich selbst erkennen, und jedes Mal, wenn man sich selber fingerzeigend auf irgendwas ertappt, dann muss man sehen, wer bin ich selber, der das behauptet, und da ist trotz erstaunlichem Wunsch nach Konsens in der Gesellschaft oft in der Redekultur irgendwie eine Streitlust, die eigentlich den Umständen erst mal gar nicht gerecht wird.

Die Welt bewundert Deutschland für den Konsens

Die Welt bewundert Deutschland ja dafür, dass es eine Gesellschaft ist, die nach Konsens sucht, die nicht ständig den Clash und den Gegensatz sucht, und dieser Konsens hat Deutschland inneren und äußeren Frieden beschert, und ich als jemand, der polarisierende Politik, in Großbritannien und in den USA lebend, von Nahem über 25 Jahre beobachtet hat, ich habe mich immer wohlgefühlt und war auch geradezu stolz da drauf, dass es eben nicht immer um alles oder nichts geht in Deutschland und dass da Kompromisse gemacht werden.
Ich finde, deshalb ist auch eine Verschiebung, zum Beispiel, dass die Akzeptanz von Homosexuellen … die Gleichstellung von Homosexuellen muss jetzt nicht als Pflock immer weiter auf der rechten Seite stehen. Das stand da für 100 Jahre, aber jetzt ist es eben nicht mehr so. Eine Gesellschaft darf sich ja auch weiterentwickeln, und Deutschland hat sich ganz prächtig entwickelt in den letzten 70 Jahren.
Welty: Wenn wir jetzt sprechen, sind Sie gerade in New York. Sie stellen aus in London, Los Angeles, Porto, Göteborg – hilft der Blick von außen, hilft ein Stück Distanz?
Tillmanns: Ja, auf alle Fälle. Also ich bin 1990 nach England gegangen zum Studium und hatte ich erstmalig dann diesen Außenblick auf Deutschland gehabt, und in meiner Generation war man natürlich noch sehr stark kritisch geprägt, überhaupt der ganzen Idee von Nationalität, und hat eigentlich alles, was von außen kam als besser angesehen, und das hatte dann den Blick von außen … hatte ich überhaupt erst gemerkt, auch Dinge in Deutschland noch mal ganz anders schätzen zu lernen, wie was ich zum Beispiel gerade beschrieben habe.
Welty: Der Fotokünstler Wolfgang Tillmans und sein Blick auf Deutschland nach der Wahl. Haben Sie herzlichen Dank, und eine gute Zeit in New York wünsche ich!
Tillmanns: Vielen Dank! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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