Nach den Silvester-Übergriffen

Droht die Stimmung zu kippen?

Man sieht CSU-Chef Seehofer vor vielen Mikrofonen.
CSU-Chef Seehofer gibt in Wildbad Kreuth eine Stellungnahme ab. © picture-alliance / dpa / Peter Kneffel
Karl Kopp im Gespräch mit Ute Welty · 09.01.2016
Der Ton in der Flüchtlingsdebatte verschärft sich nach den Vorfällen in der Silvesternacht. Die CSU-beharrt auf ihrer Forderung nach Obergrenzen. Karl Kopp von Pro Asyl warnt davor, dass sich das Meinungsklima populistisch vergiftet.
Der Europabeauftragte der Hilfsorganisation Pro Asyl, Karl Kopp, sieht auch einen weiteren Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland für bewältigbar, warnt aber davor, dass sich die Debatte über Flüchtlinge nach den massiven Übergriffen auf Frauen populistisch auflädt.
"Das wichtigste Land, das den Flüchtlingsschutz noch organisieren kann, gemeinsam mit einer Koalition der Willigen, ist Deutschland", sagte Kopp im Deutschlandradio Kultur. Auch ein weiterer Zuzug von Flüchtlingen sei von Deutschland als relativ gut organisiertem und reichem Land zu bewältigen. Die massiven Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht bezeichnete Kopp als " widerwärtiges Ereignis" und durch nichts zu relativieren. "Es ist nicht akzeptabel, dass Frauen Freiwild sind. (...) Wir dürfen nicht zulassen, dass sexualisierte Gewalt so um sich greift." Die offenbar verzögerten Informationspolitik der Kölner Polizeiführung bezeichnet Kopp als sinnlos und als Versagen. Gefordert sei jetzt eine konsequente Aufarbeitung, Strafverfolgung und Prävention. Gleichzeitig mahnte Kopp aber angesichts einer Diskussion, in der "auch Menschen ihre "rassistischen Vorbehalte" bedient sehen wollten, davor, dass "die Stimmung noch mehr vergiftet wird." Noch gebe es einen starken Rückhalt in der Zivilbevölkerung für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Ist eine Obergrenze möglich?
Die CSU-Forderung nach einer konkreten Zuzugsobergrenze von maximal 200.000 Flüchtlingen jährlich hält Kopp für unrealistisch und rechtlich nicht umsetzbar. Eine solche Maßnahme verstoße gegen das Völker- und Europarecht. Pro Asyl gehe davon aus, dass auch weiterhin Flüchtlinge nach Europa strebten. "Es macht keinen Sinn, die Bevölkerung auf anderes einzustellen", sagte Kopp. Eine solche "Scheindebatte" um Begrenzung sei dabei wenig hilfreich, lenke ab und bündle die Energien in die falsche Richtung. Kopp plädierte für organisierte und legale Verfahren der Einreise von Flüchtlinge nach Europa anstelle der bisherigen oft tödlichen Wege.
Debatte nach Köln entgiften
Auch nach den Silvestervorfällen sieht Kopp in der Flüchtlingshilfe in der Bevölkerung weiter die Bereitschaft, Flüchtlinge willkommen zu heißen: "Wir haben immer noch die Situation, dass wir eine sehr bemerkenswerte Zivilgesellschaft haben. Wir haben immer noch einen starken Rückhalt. (...) Und man darf das nicht schwieriger machen." Man dürfe die Arbeit dieser Menschen, die sich jeden Tag "aufopferungsvoll für ein Ankommen der Flüchtlinge einsetzen" nicht erschweren. "Und da muss man in der augenblicklichen Debatte aufpassen, dass sie sich nicht populistisch auflädt und eben vergiftet", so Kopp.
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Vor dem BAMF, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, liegt jede Menge Arbeit. 660.000 alte Asylfälle gilt es 2016 zu bearbeiten, und das sind nur die, die von 2015 sozusagen übrig geblieben sind. Wahrscheinlich kommen im Laufe des Jahres noch Hunderttausende von Anträgen dazu, Anträge von Menschen, die neu ankommen – das jedenfalls hat BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise bei der Tagung der CSU-Bundestagsabgeordneten in Wildbad Kreuth in Bayern vorgerechnet. Grund genug für die CSU und für ihren Chef Horst Seehofer, die Forderung nach einer Obergrenze zu erneuern. Ginge es nach Seehofer, dann würde diese Obergrenze bei 200.000 Menschen liegen. Über diese Forderung und über das, was von deutscher Willkommenskultur nach Köln übrig bleibt, spreche ich jetzt mit Karl Kopp, dem Europabeauftragten von Pro Asyl. Guten Morgen, Herr Kopp!
Karl Kopp: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Die Vorfälle und die Übergriffe von Köln schlagen hohe Wellen, denn offenbar sind syrische, iranische und irakische Asylsuchende unter den Tatverdächtigen. Wie erleben Sie bei Pro Asyl diese Diskussionen?
"Sexualisierte Gewalt muss aufgeklärt werden, es braucht eine konsequente Strafverfolgung."
Kopp: Ja, gut, das ist eine sehr traurige, eine sehr schlimme Diskussion, und es ist ein widerwärtiges Ereignis, was Ausgangspunkt ist. Es ist nicht akzeptabel, dass Frauen Freiwild werden in der Silvesternacht. Und jetzt muss man gucken, wer die Täter sind, das wissen wir noch nicht, das gibt auch nicht diese Herkunftsländer Liste auf. Es sind Tatverdächtige, und es gibt noch einige Unklarheiten, auch bei den Herkunftsländern. Aber dennoch, wir haben die Diskussion, es darf da kein ... sexualisierte Gewalt muss aufgeklärt werden, es braucht eine konsequente Strafverfolgung und dann auch natürlich eine Prävention, das muss alles geschehen in einem Rechtsstaat. Aber jetzt sehen wir halt, dass in der Diskussion auch Leute sich äußern, die mit den Rechten der Frauen jetzt weniger was zu tun haben, sondern ihren sehr populistischen Trieb oder auch ihre rassistischen Inhalte bedient wissen wollen.
Welty: Trotzdem, Herr Kopp, scheint es ja sehr schwierig zu sein, in Zusammenhang mit Flüchtlingen die Dinge beim Namen zu nennen, nämlich dass möglicherweise auch Kriminelle nach Deutschland kommen und dass Frauen von diesen Menschen nicht immer so behandelt werden, wie es das deutsche Grundgesetz vorsieht.
Kopp: Ja, diese Informationssperre, die da genannt wurde, das macht auch keinen Sinn.
Welty: Mit Informationssperre meinen Sie das Verhalten der Kölner Polizei, nicht direkt nach Silvester mit den Fakten an die Öffentlichkeit zu gehen?
Kopp: Ja, gut, wir haben ja da ein ziemliches Versagen, also schon in der Situation, und es macht auch keinen Sinn, an Neujahr zu sagen, es war eine ruhige Nacht, wenn über hundert Frauen schlimmste Dinge erlitten haben. Also das kann nicht sein. Da macht es auch keinen Sinn, in einem demokratischen Gemeinwesen die Fakten nicht auf den Tisch zu legen und dann eben eine ordentliche Strafverfolgung einzuleiten. Also das ist ein Standard: In einem demokratischen Gemeinwesen müssen Frauen geschützt werden, und selbstverständlich müssen auch Flüchtlingswohnheime geschützt werden. Das gehört einfach dazu. Wir können nicht zulassen, dass sexualisierte Gewalt so um sich greift, und wir können auch nicht zulassen, dass in der Nacht Flüchtlingswohnheime brennen. Das ist erst mal der einfache Zusammenhang, und dem müssen wir uns stellen.
Welty: Inwieweit wird sich dieses Problem – oder diese Probleme, muss man ja sagen – möglicherweise noch verschärfen, weil eben noch mehr Menschen kommen?
"Aufpassen, dass die Stimmung nicht noch mehr vergiftet wird."
Kopp: Ja, wir müssen jetzt aufpassen, dass da jetzt wirklich die Stimmung nicht noch mehr vergiftet wird, das ist ganz klar. Also Köln ist nicht zu relativieren, sondern muss aufgeklärt und verfolgt werden. Es kann sein, dass da auch kriminelle Banden drunter sind, das muss man aufklären, und wie gesagt, dafür haben wir Strafverfolgung. Und jetzt werden weiterhin nach Europa Flüchtlinge kommen, das ist ganz klar, egal was Europa an Festungsgedanken und Auslagerungsgedanken Richtung Türkei formuliert. Es macht auch keinen Sinn, die Bevölkerung auf was anderes einzustellen. Wir haben die großen Flüchtlingskrisen in der Welt, und da muss Europa solidarisch operieren. Das macht Europa nicht, Europa ist zutiefst gespalten. Das wichtigste Land, das den Flüchtlingsschutz noch organisieren kann gemeinsam mit einer Koalition der Willigen, ist Deutschland, und das darf nicht kippen.
Welty: Okay, ich versuch noch mal die Frage: Inwieweit wird sich dieses Problem weiter verschärfen, wenn noch mehr Menschen kommen?
Kopp: Das Problem beispielsweise allgemein der Unterbringung, der langsamen Verfahren des Rückstaus beim Bundesamt wird sich mit neuen Gesetzgebungsdebatten nicht lösen, sondern wir müssen alle anpacken. Das heißt, wir brauchen faire, effiziente Asylverfahren. Man muss sich überlegen, wie man diese Berge von Altakten vielleicht anders abbaut, dass man wirklich Staaten, die eine hohe Anerkennungsquote haben, rausnimmt aus dem Verfahren, um irgendwie da Luft zu schaffen. Und wir brauchen mehr Unterkünfte, wir müssen alle Menschen aus provisorischen Unterkünften, die auch Orte sind von Gewalt und Willkür, die müssen wir rausbringen. Also es gibt ganz viele Aufgaben, damit wir das schaffen.
Welty: Mit welchen Zahlen rechnen Sie, was sind so die Schätzungen, die Sie bei Pro Asyl bewegen?
Kopp: Wir haben auch schon vorher damit gerechnet, dass sehr viele Schutzsuchende versuchen werden, lebendig nach Europa zu kommen – es sterben jede Nacht auch Menschen auf dem Weg nach Europa, beispielsweise in der Ägäis –, und wir plädieren schon seit Jahren für ein organisiertes, legales und gefahrenfreies Verfahren. Wir sollten diese Menschen nicht auf diese tödlichen Wege schicken, und dazu brauchen wir eine europäische Antwort, die muss organisiert werden. Wir wissen alle, dass es momentan extrem schwierig ist, aber es gibt keine Alternative dazu.
Welty: Wie viele Menschen kann Deutschland denn noch aufnehmen, und muss man nicht allmählich wirklich über Obergrenzen nachdenken, weil irgendwann Menschen auch nicht mehr zu versorgen, geschweige denn zu integrieren sind?
Eine Obergrenze gibt das Völkerrecht nicht her
Kopp: Na ja, Deutschland ist ein relativ organisiertes und auch ein sehr, ja, reiches Land, und von daher kann Deutschland sicher mehr wuppen als ein nicht unerheblicher Teil anderer Länder, die beispielsweise im Süden Europas unter einer extremen Wirtschaftskrise leiden. Das heißt, es gibt keine Obergrenze, und es macht keinen Sinn, darüber zu diskutieren, weil das das Völkerrecht und das EU-Recht nicht hergibt – das hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages noch mal festgestellt, das wissen alle. Und es macht auch keinen Sinn, dass Seehofer, vor Kurzem auch eher belustigt, das jeden Tag vorträgt. Das lenkt ab und bündelt praktisch Energien in die falsche Richtung. Wir müssen die Herausforderung gemeinsam organisieren. Darum geht es, und da helfen uns Scheindebatten nicht weiter. Das Völkerrecht gibt nicht ..
Welty: Glauben Sie, dass es noch mal solche Willkommensszenen geben wird, wie wir sie im Spätsommer erlebt haben, oder dürfte sich das spätestens mit der Silvesternacht in Köln erledigt haben?
Kopp: Situationen wie im Spätsommer, Sie meinen jetzt, dass Menschen im Freien übernachten, oder an was denken Sie jetzt?
Welty: Nein, dass Menschen begrüßt werden am Bahnhof, mit Essen, Trinken, Spielsachen, Kleidung.
Bemerkenswerte Zivilgesellschaft
Kopp: Wir haben immer noch die Situation, dass wir eine sehr, sehr bemerkenswerte Zivilgesellschaft haben. Ohne diese Zivilgesellschaft in Deutschland, aber auch in anderen Teilen Europas wären zum Teil Katastrophen entstanden.
Welty: Und das hat sich nicht geändert durch Köln?
Kopp: Wir haben immer noch einen starken Rückhalt, man darf das nicht schwieriger machen. Man darf die Arbeit dieser Menschen, die aufopferungsvoll jeden Tag sich auch für ein Ankommen der Flüchtlinge einsetzen, nicht erschweren. Und da muss man auch in der augenblicklichen Debatte aufpassen, dass man sie nicht populistisch auflädt und zunehmend vergiftet – darum geht es.
Welty: Karl Kopp von Pro Asyl hier in Deutschlandradio Kultur, ich danke sehr für dieses Gespräch!
Kopp: Ich danke Ihnen, schönen Tag noch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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