Nach dem documenta-Chaos

Es braucht eine neue künstlerische Leitidee

Der "Parthenon of Books" bei der documenta 14 in Kassel.
Der "Parthenon of Books" bei der documenta 14 in Kassel, die vom 10. Juni bis zum 17. September 2017 stattfand. © dpa/picture alliance/Swen Pförtner
Von Ludger Fittkau · 29.09.2017
Die 15. Ausgabe der documenta soll im Jahr 2022 stattfinden. Doch das derzeitige Finanzchaos bei der Kunstreihe lässt daran Zweifel aufkommen. Was als nächstes passieren muss, damit der Zeitplan aufgeht, verrät unser Kommentator Ludger Fittkau.
Die Gesellschafter der documenta, die Stadt Kassel und das Land Hessen, werden alles tun, um die nächste documenta – es wäre dann die 15. Ausgabe der Kunstausstellung – im üblichen Fünfjahresturnus stattfinden zu lassen. Das wäre dann im Jahr 2022. Ein Sprecher des hessischen Kunstministeriums dementiert heutige Spekulationen der "Süddeutschen Zeitung" zu einer möglichen Verschiebung der documenta 15 wegen des aktuellen Finanzdebakels auf Nachfrage von Deutschlandfunk Kultur als "totalen Quatsch". Ganz ähnlich äußert sich die Stadt Kassel.
Klar ist: Eine Verschiebung der nächsten Documenta würde bedeuten, dass das Finanzchaos der gerade zu Ende gegangenen documenta 14 in Athen und Kassel auch noch einen langen Schatten auf die nächste Ausgabe der großen Schau der zeitgenössischen Kunst wirft. Genau das aber will man ja mit der aktuell laufenden akribischen Aufarbeitung des Millionen-Defizits verhindern.

Eine neue Geschäftsführung?

Aber: Eigentlich müsste schon Ende dieses Jahres die Findungskommission für die nächste documenta gebildet sein, damit dann im Laufe des nächsten Jahres eine neue künstlerische Leitung ausgewählt werden kann. Für die Organisation dieses Prozesses wäre eigentlich die documenta-Geschäftsführung verantwortlich. Die ist aber im Augenblick wegen der noch nicht abgeschlossenen Untersuchung zum Finanzchaos nicht handlungsfähig. Möglicherweise muss demnächst erst einmal eine neue Geschäftsführerin gefunden werden, bevor man auf die Suche nach einer neuen künstlerischen Leitung gehen kann. Dann könnte es tatsächlich zeitlich eng werden mit der inhaltlichen Vorbereitung der documenta 15 zum geplanten Zeitpunkt.
Klar ist bis jetzt Folgendes: Das Großprojekt documenta ist trotz aller Kritik an der künstlerischen Qualität sowie am Finanzdesaster der documenta 14 für Kassel und die Region Nordhessen viel zu wichtig, um sie nach einem sehr guten Besuch in diesem Sommer grundsätzlich in Frage zu stellen. Nicht nur wochenlang ausgebuchte Hotels und volle Restaurants in Kassel schlagen da positiv zu Buche. Sondern Kassel verwandelt sich alle fünf Jahre von einer gewöhnlichen, oft auch etwas langweiligen Großstadt in der geografischen Mitte der Republik in eine Megabühne für die Weltkunst! Die documenta verzaubert Kassel auf eine im wahrsten Sinne des Wortes kunstvolle Weise, verwandelt den urbanen Raum zwischen dem Bergpark Wilhelmshöhe und den Fuldaauen zu einem ästhetischen Labyrinth. Oftmals zu einem Parcours des Provokativen, manchmal auch Langweiligem, meist jedoch Anregenden, gerne auch zum Widerspruch!

Etatfragen

Klar ist auch: Eine "doppel-documenta" wie diesmal Athen und Kassel wird es in der Form nur wieder geben können, wenn es einen doppelten Etat gibt. Ob der Bund dafür sorgt, indem er in die zurzeit bestehende documenta-Trägergesellschaft mit einem offenbar überforderten Aufsichtsrat einsteigt, darf stark bezweifelt werden.
Klar ist überdies: Der nächsten documenta, die documenta 15 im Jahr 2022, täte eine andere künstlerische Leitidee gut. Diesmal waren es der als marginalisiert gedachte "Süden", die indigenen Völker, die vom Finanzkapitalismus in den eisernen Würgegriff genommen Peripherien, die im Zentrum der Auseinandersetzung standen. In fünf Jahren könnten es etwa die "abgehängten" Regionen rund um Kassel sein, die zum Teil leerstehenden Dörfer in den strukturschwachen Gebieten längs der alten "Zonengrenze", der Stadt-Land-Gegensatz. Kein regionales Thema, sondern ein global relevantes, das man aber regional sichtbar machen könnte.
Klar ist weiterhin: Entscheiden darf darüber alleine die nächste künstlerische Leiterin, der nächste künstlerische Leiter der documenta. Gerne auch mal ein Leitungs-Duo! Möglicherweise ist es nach dem aktuellen Finanzdebakel ein wenig schwerer zu finden, doch es wird zu finden sein. Und es muss die künstlerische Freiheit haben, die inhaltlichen Leitideen selbst zu formulieren. Das gehört zur Geschichte der Kunstausstellung in einer Stadt, die auf ihren Ortstafeln den Zusatz "documenta-Stadt" führt. Keine Frage, die nächste freie und hoffentlich aufregende Documenta kommt, zeitlich könnte es jedoch wegen der aktuellen Turbulenzen eng werden mit dem Termin in fünf Jahren.
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