Nach dem Attentat in Nizza

"Das war eine bekannte Terror-Taktik des IS"

Ein schwer bewaffneter Polizist sperrt die Promenade des Anglais in Nizza.
Sperrung der Promenade des Anglais Anschlag in Nizza © imago stock&people, Bildnummer 72233899
Yassim Musharbash im Gespräch mit Ute Welty · 16.07.2016
Das Attentat von Nizza passe ins Muster islamistischer Angriffe, meint der Terrorismus-Experte Yassim Musharbash. Es habe in den letzten Jahren bereits solche Anschläge mit Fahrzeugen gegeben – allerdings nicht in dieser ins Extrem getriebenen Art und Weise.
Nach Auffassung des Terrorismus-Experten Yassim Musharbash hat der Anschlag von Nizza einen islamistischen Hintergrund. Dafür sprächen die Auswahl des Ziels, der Zeitpunkt und die Vorgehensweise des Attentats, sagte der "Zeit"-Redakteur im Deutschlandradio Kultur:
"Die Fahrt mit einem schweren Fahrzeug in eine Menschenmenge – das ist ein Szenario, das sowohl Al-Qaida als auch der sogenannte Islamische Staat seit Jahren propagieren. Und von den Äußerlichkeiten her würde dieser Vorfall sehr gut ins Muster passen. Allerdings hängt natürlich viel an der Person des Attentäters."

"Man muss mit solchen Anschlägen rechnen"

Musharbash wies darauf hin, dass es in den letzten Jahren bereits Versuche unter islamistischen Vorzeichen gegeben habe, mit Fahrzeugen Menschen zu töten – auch in Frankreich. Allerdings seien das alles Anschlagsversuche mit Kleinfahrzeugen gewesen, die keinen Aufsehen erregenden Schadenangerichtet hätten:
"Deshalb haben das die meisten Leute nicht auf dem Radar, dass das eine Taktik ist, eine Terror-Taktik, die bereits Verwendung findet. Und das Erschütternde an Nizza ist, dass jemand diese Idee quasi ins Extreme aufgeblasen hat: Mit einem 20-Tonner auf eine Großveranstaltung zuzufahren. Das ist im Grunde nichts Neues. Und deshalb würde ich schon sagen: 'Ja, das ist etwas, womit man rechnen muss.' Nicht erst seit Nizza, sondern eigentlich schon ein bisschen länger."

Alkolhol und Depressionen beim mutmaßlichen Attentäter

Die Informationen über den mutmaßlichen Attentäter, wonach er depressiv und wenig religiös gewesen sein und sogar Alkohol getrunken haben soll, passten natürlich nicht in das Bild eines islamistischen Attentäters, meinte Musharbash:
"Was wir aber kennen, sind mittlerweile etliche Fälle von selbstrekrutierten Terroristen, die sich dann im Namen des IS zu einer Tat bekennen. Und die sich sehr, sehr schnell – zum Teil in sehr kurzer Zeit – radikalisiert haben. Das heißt: Es kann sein, dass sie vor zwei, drei Monaten noch getrunken, gefeiert oder Drogen konsumiert haben und dann aber sehr schnell in diese dschihadistische Aktionsschiene geraten. Deshalb muss man mit solchen Aussagen vorsichtig sein. Das ist kein definitives Anzeichen dafür, dass es kein Dschihadist war. Wir wissen noch nicht genug."
Die Ausgangslage zeige, dass der Attentäter nicht spontan, sondern geplant gehandelt habe, sagte Musharbash. Bisher gebe es keine Informationen über mögliche Mittäter:
"Jetzt wird es darauf ankommen, dass die Sicherheitsbehörden das tun, was sie in solchen Fällen standardmäßig immer machen. Sie gucken: Können wir rauskriegen, mit wem er kommuniziert hat? Können wir einen Computer, können wir ein Telefon finden, das wir auslesen können? Um dann herauszufinden: Gab es vielleicht doch ein Netzwerk oder ein Beziehungsgeflecht?"
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