Myanmar nach dem Militärputsch

Die junge Generation steht auf

24:56 Minuten
Junge Demonstrierende in Myanmar halten Schilder mit dem Porträt von Aung San Suu Kyi hoch. Ein Demonstrant hält ein rotes Schild mit der Aufschrift "Get out Dictator".
1962 ergriff das Militär erstmals die Macht in Myanmar, es folgten Jahrzehnte Diktatur. Dahin wollen die heutigen Demonstranten nicht wieder zurück. © imago / ZUMA Press / Thuya Zaw
Von Lena Bodewein und Holger Senzel · 18.02.2021
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Am 1. Februar putschte das Militär in Myanmar. Die Generäle ließen De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi festnehmen. Anders als zu Diktaturzeiten ist der Protest riesig, die Demokratiebewegung jung, digital und entschlossen.
"Doe Ayeh", skandieren die Demonstranten in Myanmar, "es ist unsere Aufgabe". Widerstand gegen die Militärjunta als Pflicht, so sehen es die Zehntausende Menschen, die seit gut zwei Wochen in Yangon, Naypiydaw oder Mandalay durch die Straßen ziehen, dem massiven Polizei- und Armeeaufgebot trotzen und der eigenen Angst. Denn die Junta unter General Min Aung Hlaing – dem neuen starken Mann im Land – geht zunehmend härter gegen den Massenprotest vor.

20-jährige Demonstrantin getötet

Weder Tränengas noch Gummigeschosse oder die Androhung von bis zu 20 Jahren Haft bringen die Massenproteste zum Schweigen. Auch nicht die ersten scharfen Schüsse: Eine 20-Jährige wurde in den Kopf getroffen, inzwischen haben die Ärzte sie für hirntot erklärt. Armee und Polizei bestreiten, scharfe Munition benutzt zu haben. Aber wer immer diesen Schuss abfeuerte, er hat die Wut im Land weiter angefacht und noch mehr Demonstranten auf die Straße getrieben.
"Der Schuss auf unsere Schwester hat gezeigt, dass wir nicht sicher sind – weder am Tag noch nachts", erzählt ein junger Mann aufgebracht. "Wir können dieses neue Militärregime nicht akzeptieren und wir tun alles, es mit der Bewegung des zivilen Ungehorsams zu stoppen, natürlich nur mit friedlichen Mitteln. Wir müssen uns ihren Gesetzen in jeder nur möglichen Form widersetzen."
Kabar Ma Kyee Bu, die Hymne des Widerstandes. Auf Deutsch: Wir werden nicht vergeben. Der Song zur Melodie von "Dust in the wind" entstand bei den Protesten im Jahr 1988 – Tausende starben damals bei der brutalen Niederschlagung der Demokratiebewegung durch die Armee. "Bis zum Ende der Welt werden wir uns erinnern", singen die Demonstranten.
Die Bewegung des zivilen Ungehorsams wächst nahezu täglich. Ministeriumsmitarbeiter, Lehrer, Ärztinnen, Pfleger, selbst technische Einheiten des Militärs und Polizisten in Uniform, Flugbegleiterinnen, Arbeiter – sie alle haben sich dem Widerstand gegen die Militärjunta angeschlossen.
"Wir Arbeiterinnen führen sowieso schon harte Leben. Dann kam die Corona-Pandemie. Und als wir gerade wieder Hoffnung hatten, wieder arbeiten zu können, kam der 1. Februar, der Tag unserer Traurigkeit, der Tag des Putsches", erzählt diese junge Frau der Nachrichtenagentur Reuters. "Aber wir sind nicht allein. Die nächste Generation verlässt sich auf uns. Und wir wissen, dass niemand in unser Land investieren wird, wenn es eine Militärdiktatur bleibt. Also schließen wir uns der Revolution gegen den Putsch an."

Verhaftungen von Regierungspolitikern

Mit dieser Wut und diesem Widerstandswillen im Volk hatte die Armee offenbar nicht gerechnet, als sie am 1. Februar die Macht in Myanmar ergriff.
Es sollte der Tag sein, an dem das Parlament sich zu seiner ersten Sitzung versammelte. Aung San Suu Kyis Nationale Liga für Demokratie würde quasi durchregieren können. 80 Prozent der Stimmen hatte die Partei bei den Wahlen im vergangenen November geholt. Die neue Regierung stand auch vor gewaltigen Herausforderungen: Myanmar steckt durch die Corona-Pandemie in einer schweren wirtschaftllichen Krise.
Doch im Morgengrauen dieses 1. Februar kamen schwerbewaffnete Soldaten zu den Häusern der Parlamentarier. Aung San Suu Kyi, Staatspräsident Win Myint und viele andere wurden in Gewahrsam genommen, wie das Handyvideo eines Abgeordneten zeigt – seine Frau konnte ihm nur noch einen Pullover reichen, bevor der Mann in einen Militärjeep geführt wurde.
Im Fernsehsender der Armee – alle anderen blieben an diesem Tag dunkel und stumm – wurde der Notstand verkündet. Für ein Jahr soll er gelten. General Min Aung Hlaing, der Oberbefehlshaber, übernahm die Macht. Seitdem geht das Volk auf die Straße, trotz der Repressalien des Militärs, trotz der Notstandsgesetzgebung, trotz Ausgangssperre und Versammlungsverbot.
Bewohner eines Wohnblocks in Yangon stehen auf ihren Balkons und schauen auf die Straße.
Anders als beim letzten Militärputsch zeigt die Bevölkerung ihren Unmut gegenüber den Militärs.© imago / ZUMA Wire / Aung Kyaw Htet
Das Klappern von Topfdeckeln erfüllt die Nächte. So zeigten die Menschen von Anfang an ihren Unmut über den Putsch. Inzwischen trotzen immer mehr Menschen dem Kriegsrecht und trauen sich auch nachts auf die Straße. Umringen lärmend die Polizeijeeps und bremsen sie aus auf Schritttempo. Nicht nur Protest, sondern Warnung an die Nachbarn: "Achtung, sie kommen!" Denn die Sicherheitskräfte holen die Gegner der Militärjunta vor allem nachts aus ihren Wohnungen. Das Kriegsrecht gibt ihnen die Handhabe, Menschen jederzeit ohne Haftbefehl einzusperren.
Es fühlt sich an wie eine finstere Zeitreise, meint Thein Moe Win von der Bewegung des Zivilen Widerstandes.
"Dieser Putsch führt das Land zurück in dunkle Zeiten. Wir sind zurück in der Militärdiktatur, die Myanmar fünf Jahrzehnte lang beherrschte. Zurück unter diesem Kriegsrecht mit all den Grausamkeiten, dem Leiden, der Verweigerung von Menschenrechten."

Früher das reichste Land Südostasiens, heute das Armenhaus

Myanmar war einmal das reichste Land Südostasiens, bevor die Generäle sich schamlos an den Ressourcen bereicherten, die Wirtschaft ruinierten, das Land der Bauern enteigneten. Noch heute kontrollieren hohe Offiziere den Jadehandel – das grüne Gold bringt jedes Jahr rund 28 Milliarden Euro, fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung Myanmars. Auch Min Aung Hlaing ist ein schwerreicher Mann. Mehr als 50 Jahre Militärdiktatur haben jedenfalls aus der einstigen Kornkammer Südostasiens das Armenhaus der Region gemacht.
"Some Hope" – etwas Hoffnung – heißt das Lied über Aung San Suu Kyi, deren Freilassung die Demonstranten jetzt fordern. Denn im Bewusstsein der meisten Birmanen hat sie Myanmar nach 50 Jahren Militärdiktatur in die Demokratie geführt. Für viele ist Mutter Suu, wie sie auch genannt wird, eine Heilige. Fünfzehn Jahre lang stellten die Militärs die Demokratiekämpferin unter Hausarrest.
Umso irritierender erschien später die einträchtige Zusammenarbeit mit eben jenen Generälen. Doch die Armee hatte sich auch in der jungen, zebrechlichen Demokratie noch große Macht gesichert. 25 Prozent aller Parlamentssitze garantiert ihr die Verfassung, außerdem zentrale Schaltstellen der Macht wie das Innenministerium und damit die Kontrolle über die Polizei.
Als Aung San Suu Kyi allerdings die Verbrechen der Armee an der muslimischen Minderheit der Rohingya rechtfertigte, hatte die Ikone der Demokratie ihren internationalen Ruf ruiniert. In Myanmar freilich war ihre Beliebtheit ungebrochen – die Wahlen im vergangenen November wurden für ihre Partei zum Triumph. Armeegeneral Min Aung Hlaing sprach von Betrug, wofür es keine Beweise gab. Kurz vor seiner regulären Pensionierung übernahm er die Macht.
Damit hat er aber nicht einfach die Uhren zurückgestellt, meint der Historiker Thant Myint U aus Yangon:
"Wo auch immer das hinführen wird – es wird nicht einfach zu der Zeit von vor 20 Jahren zurückkehren, als die Junta einschritt und Myanmar ein schläfriges Land war. Damals waren die meisten Menschen Bauern und bauten nur genug Lebensmittel an, um davon zu überleben, und die Militärs konnten ihre Macht festigen und das war’s."

Popkultur-Protest: Der Drei-Finger-Gruß aus "Tribute von Panem"

Rapper und Breakdancer tanzen auf der Straße, junge Frauen demonstrieren im Prinzessinnen-Outfit, Bräute, die per Plakat verkünden: "Meine Ehe kann warten, mein Land nicht."
Und immer recken die Protestierenden die Hand zum Dreifinger-Gruß, wie die Demonstranten im Nachbarland Thailand. Die Geste der Unterdrückten aus der Filmtrilogie "Die Tribute von Panem". Hollywood und Südostasien in einem Heldenepos vereint: einer Geschichte von tapferen Kämpfern, die aufstehen gegen Unterdrückung. "You messed with the wrong generation" ist ihr Motto. Auf Transparenten, an Häuserwänden, im Internet – eine Kampfansage der jungen Generation, die in der Popkultur der sozialen Medien zu Hause ist.
"Moderne Zeiten helfen", sagt Historiker Thant Myint U. "Ich glaube, es macht einen enormen Unterschied, dass die Demonstranten gewieft genug sind. In Yangon und anderen Teilen des Landes konfrontieren sie die Sicherheitskräfte nicht direkt, denn sie wissen, dass sie scharfe Waffen gegen sie einsetzen könnten. Aber sie werden immer versuchen, neue Technologie, Social-Media-Plattformen und anderes einzusetzen, um den Protest langfristig zu organisieren. Ich meine nicht, dass es in ein, zwei Wochen eine Revolution geben wird, aber sie werden sich weiter widersetzen und den zivilen Ungehorsam gegen die neuen Machthaber organisieren."
Zwischen Demonstranten in schwarzer Trauerkleidung marschieren buddhistische Mönche in safrangelben Roben. Mönche genießen hohes Ansehen im überwiegend buddhistischen Myanmar. Sie spielten auch eine wichtige Rolle bei den Protesten gegen die Militärdiktatur im Jahr 2007. Bei der gewaltsamen Niederschlagung durch die Armee wurden damals auch viele Mönche getötet. Auch heute wollen sie wieder mitmischen, erzählt einer auf der Straße:
"Wir wollen als Mönche nicht nur zuschauen, während die Menschen in Not sind. Das ist jetzt die letzte Chance, gegen die Militärdiktatur in Myanmar zu kämpfen. Die Militärs missbrauchen ihre Macht, und sie benutzen die Bodenschätze des Landes, um sich selbst zu bereichern. Sie tragen nichts zur Zufriedenheit der Bürger und der Entwicklung des Landes bei. Das war vor beinah 60 Jahren schon so und das ist jetzt wieder so mit General Min Aung Hlaing."

General Min Aung Hlaing verspricht Neuwahlen

Der General selbst sieht sich freilich nicht als Putschist – sondern als Retter der Demokratie. Bei einem Verfassungsnotstand eingreifen zu dürfen – dieses Recht hat sich die Armee ausdrücklich garantieren lassen. Innerhalb eines Jahres, so verspricht Min Aung Hlaing, soll es Neuwahlen und die Rückkehr zur Demokratie geben. Ihm selbst werden Ambitionen auf das Amt des Staatspräsidenten nachgesagt.
Ausgerechnet bei Thailands Premier Prayut Chan Ocha soll sich Min Aung Hlaing Rat für die Rückkehr zur Demokratie geholt haben. Prayut war früher selbst General, putschte sich in Thailand an die Macht und ließ sich in umstrittenen Wahlen – die weder frei noch demokratisch waren – als Regierungschef bestätigen. Ist das der Weg, den sein birmanischer Nachbar auch für Myanmar sieht?
Historiker Thant Myint U sieht verschiedene Optionen für das Militär:
"Zum einen könnten sie Aung San Suu Kyi bis nach den nächsten Wahlen unter Hausarrest halten. Oder sie lösen die NLD auf. Eine andere Möglichkeit ist, dass sie Neuwahlen abhalten und darauf setzen, dass Aung San Suu Kyi und die NLD die Wahlen boykottieren. Oder sie ändern das Wahlsystem zu einem Verhältniswahlrecht. Dann schnitten kleinere Parteien, zum Beispiel auch die kleinen ethnischen Parteien, besser ab und dann könnte die Armee mit ihren 25 Prozent der Stimmen Koalitionen eingehen und eine neue Regierung bilden."

Militär verlegt Truppen und Panzer in große Städte

Inzwischen dürfte es Myanmars oberstem Soldaten klar geworden sein, mit welcher Generation er sich da angelegt hat. Er verspricht, er droht, er setzt Tränengas und Gummigeschosse ein – doch der zivile Ungehorsam im Lande bleibt ungebrochen.
Es gibt Indizien dafür, dass die Armee die Proteste schon bald gewaltsam niederschlagen wird. Truppen wurden in die großen Städte verlegt, in Yangons Straßen rollen Panzer.
Doch wenn er auf das eigene Volk schießen lässt, demaskiert sich Min Aung Hlaing als Diktator und die Worte von Demokratie und Neuwahlen als hohle Phrasen. Die kommenden Tage werden zeigen, was von den Versprechen des Generals zu halten ist.
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