"Mutter Gottes" geht fremd

Was Hindus und Muslimen an Maria gefällt

Die Jungfrau Maria mit ihrem neugeborenen Sohn Jesus von Nazaret. Glassmalerei in Passau.
Die Jungfrau Maria mit ihrem neugeborenen Sohn Jesus von Nazaret. © imago / Danita Delimont
Von Michael Hollenbach · 03.09.2017
Es gibt Muslime, die können viel mit Maria anfangen – und manche sind davon Sinti und Roma. Auch manche Hindus verehren sie. Die Mutter Gottes, zu der doch in erster Linie Christen und vor allem Katholiken einen religiösen Bezug haben. Wie kann das sein? Michael Hollenbach klärt uns auf.
Mariä Himmelfahrt. Der Kölner Dom ist gut besucht. Vor allem in der Seitenkapelle mit der Schmuckmadonna ist der Andrang groß. Mit Blumensträußen und Opfergaben nähern sich muslimische Roma, die fast alle vom Balkan stammen, dem Altar und beten Maria an.
"Wir sind muslimische Zigeuner, aber wir glauben, es gibt nur einen Gott."
Adela, Mutter von fünf Kinder, hat die Steine neben der Schmuckmadonna berührt und geküsst, um Maria ganz nahe zu sein.
"Es hilft sehr viel. (…) Nur muss man daran glauben, dass es hilft."
Jan Opiela: "Die allermeisten sind Muslime, und es wird bei den Roma kein Unterschied gemacht: Maria ist die Mutter Gottheit, die bei allen verehrt wird, selbst bei Zigeunern, die keiner Religion oder Konfession angehören, ist das von Natur aus selbstverständlich."
Jan Opiela ist bei der Deutschen Bischofskonferenz zuständig für die Seelsorge an Roma und Sinti. Viele muslimische Roma haben in ihrem Wohnzimmer eine Marienfigur stehen.
Opiela: "Weil sie gar nicht als christlich gesehen wird. Sie wird als Mutter Gottheit gesehen, die den Sohn Gottes und damit auch den Propheten bei den Muslimen zur Welt gebracht hat, und es eine Identifikation ist für eine Frau, die durchgehalten hat. Und ich glaube, das ist der Dreh- und Angelpunkt. Eine Frau, die ihren Sohn bis ganz zum Schluss begleitet hat und zu ihm gehalten hat, und da können sich ganz viele hier, besonders die Roma-Frauen, identifizieren, weil sie auch vielleicht von den Männern alleingelassen sind, (..) mit einer großen Kinderschar und wie Maria durchhalten."
Smirka streicht mit ihrem Portemonnaie über den abgewetzten Stein neben dem Altar.
"Das ist ja das, was Glück bringt, das man nie ohne Geld ist. // Das das Portemonnaie immer voll bleibt."

Jesus als besonderer Prophet für Muslims

Smirka und ihr Mann Toni sind überzeugt, dass Maria ihnen hilft.
"Sonst wären wir nicht hier, wenn das nicht helfen würde."
Die Roma würden hier im katholischen Dom ihre durch den Balkan geprägte Frömmigkeit mitbringen, sagt Pfarrer Jan Opiela:
Opiela: "Eben dieses Berühren, Reiben, man bringt Blumen mit für die Mutter Maria, man bringt auch die Grundnahrungsmittel mit: Öl, Zucker, Mehl, (…) und natürlich Kleidung, Kinderkleidung und (..) Bettbezüge, alles was Mutter Maria im Himmel braucht."
Und bis vor kurzem wurden auch Tiere mitgebracht, erzählt der katholische Diakon Bernd Dahmen:
Dahmen: "Da war sehr viel Vieh, hauptsächlich Hühner, und das letzte große, was ich miterlebt habe, war ein lebendes Schaf. Da habe ich gesagt: Mach, dass du rauskommst, geh zum Rhein damit. Aber nichtsahnend kommen die nachher wieder, und haben ein geschlachtetes Schaf dabei."

Muslimischer Opferglaube trifft auf Marienfrömmigkeit

Hier vermische sich bei den muslimischen Roma sehr stark ein islamischer Opferglauben mit der Marienfrömmigkeit.
Dahmen: "Die sind nicht so sattelfest mit Allah, und die kommen dann hier zu uns, weil sie sehen, dass wir die Mutter Gottes verehren, und da meinen sie, wenn sie hier zu Maria kommen, die würde ihnen helfen, was Allah nicht gemacht hat."
Allerdings unterschlägt der katholische Diakon dabei einen wesentlichen Aspekt:
"Maria genießt im Islam eine besondere Verehrung."
Betont der Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel. Und die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi verweist darauf, dass Isa, also Jesus, für die Muslime ein besonderer Prophet ist. Deshalb spielt Maryam als Mutter von Jesus im Koran eine wichtige Rolle:
"Vor allem – sie ist die einzige Frau, die im Koran mit Namen genannt wird, sie wird im Koran als auserwählte Frau genannt, ein Begriff, den man auch für Propheten verwendet im Koran."
Allerdings gilt Maria im Islam als die Mutter eines Propheten, aber nicht als die Mutter Gottes. Doch Bernd Dahmen ficht das nicht an.
Segen: "Im Namen des Vater, des Sohnes und des Heiligen Geistes Amen. - Die Mama auch, jetzt hat die auch den Segen."
Der Diakon erteilt den muslimischen Roma, die zu ihm kommen, den christlichen Segen:
Dahmen: "Wenn die das wünschen. Gott wird schon das Richtige entscheiden."
Hinter dem Diakon steht eine ältere Frau neben dem Altar und betet laut.
Ihre Tochter hält ihren Ausweis und einen Brief an den Stein.
"Das wir kriegen unseren Aufenthalt, ich bin hier 26 Jahre, ich habe keinen Aufenthalt, aber die hilft mir, ich liebe die."
Sagt die Frau und blickt zu der Statue der Schmuckmadonna hoch.
"Ich hoffe nicht, ich glaube und ich bete und ich habe Wunsch, dass es noch besser wird."

Maria in der Volksfrömmigkeit

Die Marienverehrung ist vor allem im Katholizismus sehr ausgeprägt. Lange galt Maria als Herz und Seele der katholischen Kirche, als Fürsprecherin der Menschen vor Gott. Doch für viele Christen bedeutet sie noch mehr, meint der Münsteraner Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel:
"Für viele Katholiken hat Maria in der Volksfrömmigkeit so etwas wie die weibliche Seite Gottes verkörpert, auch wenn das dogmatisch immer bestritten worden ist. Natürlich ist Maria keine Göttin, aber in der religiösen Praxis hat für viele Katholiken Maria die Gnade Gottes verkörpert, weil Gottvater nur als der strenge Richter galt, und Jesu vielleicht nur als Jesuskind, oder als jemand, der irgendeine Rolle im Gericht spielt, aber nicht unbedingt als derjenige, wo das Erbarmen das gerechte Gericht überdeckt. Das war häufig durch Maria repräsentiert."
Die Protestanten taten sich dagegen schon immer schwer mit der "Jungfrau Maria" und der katholischen Marienfrömmigkeit. Auch wenn sich gerade evangelische Theologinnen in den vergangenen Jahren Maria als Frauenfigur angenähert haben, ist noch immer jene Distanz zu spüren, mit der der evangelische Pfarrer Kurt Marti Maria beschrieb:
später viel später
blickte maria
ratlos von den altären
auf die sie
gestellt worden war
und sie glaubte
an eine verwechslung als sie
- die vielfache mutter -
zur jungfrau
hochgelobt wurde
und sie bangte
um ihren verstand
als immer mehr leute
auf die knie fielen
vor ihr
und angst
zerpresste
ihr herz
je inniger sie
- eine machtlose frau -
angefleht wurde
um hilfe um wunder
Fernab von protestantischer Distanziertheit haben auch die Hindus Maria entdeckt.

Tamilen zieht es vor Mariä Himmelfahrt nach Kevelaer

Einmal im Jahr, immer vor Mariä Himmelfahrt, zieht es viele Tamilen nach Kevelaer. Begonnen hat es in dem kleinen Wallfahrtsort am Niederrhein vor 30 Jahren mit 50 Tamilen, heute kommen rund 8000.Und es kommen nicht nur tamilische Christen, sondern auch viele Hindus, um Maria anzubeten.
Vom Bahnhof zieht durch die Gassen von Kevelaer ein bunter Zug, geprägt vor allem durch die festlich-farbigen Saris der Frauen. Die Wallfahrt endet an der so genannten Gnadenkapelle. Hier wird Maria als "Trösterin der Betrübten" angebetet – dargestellt auf einem kleinen postkartengroßen Bild. Pirakadis Waran wartet mit seinem Sohn in der langen Schlange vor der Gnadenkapelle.
"Als Hindus beten wir auch zu Maria, wir Hindus, wir dürfen alle Götter anbeten. (…) wir glauben an sie irgendwie, genau kann ich das nicht sagen. (…) Irgendwie passt das zusammen."
Im Innenraum der kleinen Kapellen angelangt werfen die beiden einige Euros in die Spendendose.
"Wir glauben an sie, deshalb sind wir hier, um unsere Wünsche erfüllt zu bekommen, beten wir zu ihr."
Perry Schmidt-Leukel beobachtet diese Wallfahrten schon seit Jahre:
"Es gibt das gut etablierte Phänomen, dass etliche Hindus, die in Europa leben, zu bestimmten Marienwallfahrtsorten pilgern regelmäßig im Jahr (…) und in Maria eine Hindu-Göttin verehren. Und dass auch einige dieser Marienwallfahrtsorte das vollkommen akzeptiert haben und sogar einen besonderen Tag im Jahr einräumen für die Hindu-Pilger, die dahinkommen, um in Maria ihre Durga oder Kali oder wen auch immer sie erblicken, zu verehren."
So auch in Kevelaer. Dass so viele Hindus Jesu Mutter Maria anbeten, stört Bastian Rütter keineswegs. Er ist theologischer Referent im Wallfahrtsbüro.
"Wir verteidigen hier nicht Wahrheiten und angestaubte Dinge, sondern wir halten Türen auf: das ist unser Angebot, und wer dann kommt, der soll erst mal da sein. Wer bin ich, dass ich sage: du gehörst hier nicht hin."
Ihn überrascht es nicht, dass Maria multireligiös verehrt wird:
"Weil sie etwas macht, was unsere Sehnsüchte anspricht: etwas von da oben, dem Göttlichen, erden. Das ist immer interessant gewesen. Das macht sie für alle Interessant."
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