Aus den Feuilletons

Auch Schlager kann politisch sein

04:20 Minuten
Der Sänger Roland Kaiser tritt während der Aufzeichnung der Helene-Fischer-Show im Dezember 2019 auf.
Erst wenn sich alle gemeinsam für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte engagieren, hat es eine "Wirkung in die Breite", sagt Roland Kaiser in der "TAZ". © Rolf Vennenbernd/dpa
Von Arno Orzessek · 21.02.2020
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Obwohl der Schlagersänger Roland Kaiser 2017 nicht zum Solidaritätskonzert gegen Rechts eingeladen wurde, zeigt er sich im "TAZ"-Interview versöhnlich. Von den Toten Hosen bis zu Helene Fischer müssten sich alle für Demokratie und Freiheit einsetzen, meint er.
"Wir Ungeschützten" – so betitelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ihre Sonderseite (Bezahlangebot), auf der sich Künstler und Intellektuelle zu den Morden von Hanau äußern, darunter auch die Kuratorin und Performance-Künstlerin Nuray Demir: "Es macht mich wütend, dass 2020 immer noch von 'Ausländerfeindlichkeit' gesprochen wird. Diese Menschen sind Subjekte, keine unbedeutenden Gruppen oder 'Ausländer'. Das [Gerede] hat viel mit der Empathieunfähigkeit der Dominanzgesellschaft zu tun. Lippenbekenntnisse und Polizeiwagen vor Moscheen, wie sie Innenminister Seehofer in Aussicht stellt, reichen nicht. Kurz empört zu sein und dann zur Tagesordnung zurückzukehren. Wo wir dieselben anmaßenden, rassistischen Stereotype über libanesische Clans oder gefährliche Muslime hören." Rassismus erzeuge Angst. Und nicht Angst Rassismus, sagt Demir in der SZ.

Liebe als antikes Lebensprinzip

Ohne Hanau und die Morde zu erwähnen, erklärt der Psychoanalytiker Rainer Matthias Holm-Hadulla in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (Printausgabe): "Die Zerstörungslust ist nicht das letzte Wort – wir haben Mittel, den Hass zu bewältigen." Holm-Hadulla stellt nicht in Abrede, dass Hass auch ein Vehikel ist, um "sich selbst gut zu fühlen und auch [um] Gemeinschaften herzustellen". Aber umso wichtiger sei es, den "großen Gegner des Hasses ins Spiel" zu bringen - "die Liebe".
Sie sei schon in der Antike das konstruktive Lebensprinzip des Menschen, postuliert Holm-Hadulla. "Eros wird in den frühesten Dokumenten als fundamentale Energie aufgefasst, die sich immer wieder im Kampf zwischen Kosmos – der geschmückten Ordnung – und Chaos – dem destruktiven Tohuwabohu – behauptet. Die Liebe, die zum Guten, Wahren und Schönen führt, ist nicht nur eine Haltung, sondern erfordert beständige Anstrengung, um destruktiven Gegenkräften in Form von Hass und Vernichtungsimpulsen entgegenzutreten." Liebevolle Natur- und Kulturbegeisterung benötigen Achtsamkeit und Respekt, aber auch Kompetenz und Tätigkeit, so Holm-Hadulla.
Tja, entweder haben wir einen Knick in der Pupille oder Holm-Hadulla schreibt in der FAZ tatsächlich einen besonders biederen Artikel. Was bewaffnete Rechtsextremisten angeht, wird man ihnen jedenfalls etwas Griffigeres entgegenhalten müssen als "liebevolle Natur- und Kulturbegeisterung". Wäre es indes korrekt, die Rechtsextremisten unserer Tage als 'Faschisten' zu titulieren?

Begriff "Faschismus" nicht überstrapazieren

"Ich halte […] [das] für völlig kontraproduktiv und irreführend", erklärt in der Tageszeitung DIE WELT Antonio Scurati (Printausgabe), der Autor eines 800-Seiten-Romans über den Faschisten Benito Mussolini. In Italien sei das Attribut faschistisch schon lange zur sinnentleerten Schmähung mutiert. "Wenn alles, was einer ausgestellten moralischen Überlegenheit der Linken nicht ins Weltbild passt, faschistisch genannt wird, besteht die Gefahr, das, was wirklich Faschismus genannt werden muss, zu verharmlosen." Andauernd gegen den Faschismus aufzuschreien, lenke von unseren wahren Problemen ab, so Scurati in der WELT.
"'Es gibt auch schöne Menschen, die hassen können'", behauptet im Interview mit der TAGESZEITUNG der Entertainer Roland 'Lieb-mich-ein-letztes-Mal' Kaiser, woran Sie erkennen können: Wir satteln um auf leichte Muse. Obwohl: Nicht ganz!
Denn der TAZ-Interviewer Jan Feddersen kommt auf das Solidaritätskonzert gegen Rechts 2017 in Chemnitz zu sprechen, zu dem Künstler wie Roland Kaiser und Helene Fischer ausdrücklich nicht eingeladen waren. Dazu Kaiser, nicht nachtragend: "Wir Bürger im Allgemeinen müssen um Demokratie, Freiheit und Menschenrechte ringen. Gemeinsam, wir alle. Alle gesellschaftlichen Kräfte. Darum geht’s." Man müsse von den Toten Hosen bis zu Frau Fischer gehen, alle gemeinsam. Erst dann habe es eine Wirkung in der Breite. "Wir müssen das gemeinsam hinkriegen. Und wir müssen um alle ringen, in jedem Gespräch. Niemand ist unpolitisch." Sehr redundant, aber auch sehr engagiert spricht Roland Kaiser in der TAZ.
Und das war’s. Was die weitere Zukunft angeht, möchten wir uns im übrigen an eine weitere SZ-Überschrift halten. Sie lautet: "Es gibt Hoffnung."
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