Mut und Zivilcourage

Welche Helden brauchen wir?

38:57 Minuten
Eine Frau mit einem Heldenumhang steht auf einem ausgestrekten Zeigefinger. (Illustration)
Zeigen, wo es lang geht: Was müssen Heldinnen und Helden heute mitbringen, um gute Vorbilder zu sein? © imago images / Ikon Images
Ulrich Bröckling und Dieter Thomä im Gespräch mit Christian Möller · 09.02.2020
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Mutig oder machtbesessen? Selbstlos oder rücksichtslos? Helden sind umstrittene Figuren. Gehören sie überhaupt noch in eine moderne Demokratie? Unbedingt, meint der Philosoph Dieter Thomä. Der Soziologe Ulrich Bröckling sieht das anders.
Krisen gelten als gute Zeiten für Helden. Zu Recht, sagt Dieter Thomä, denn jede Gesellschaft sei auf Menschen angewiesen, die sich für gemeinsame Werte stark machen. "Zur Demokratie gehören zum Beispiel Protestbewegungen, soziale Bewegungen, gehört Wehrhaftigkeit", so Thomä. Darunter versteht er auch die Bereitschaft, "dass man als Person für bestimmte Ideale einsteht, wenn man Gegenwind spürt".

Sie riskieren etwas für die Gemeinschaft

In seinem Buch "Warum Demokratien Helden brauchen" plädiert Thomä, der an der Universität St. Gallen Philosophie lehrt, für einen "zeitgemäßen Heroismus". Menschen, die persönliche Risiken auf sich nehmen, um Menschen- und Bürgerrechte zu verteidigen - wie der ehemalige CIA-Agent Edward Snowden oder die pakistanische Frauenrechtsaktivistin Malala Yousafzai - sind in seinen Augen solche Heldinnen und Helden eines neuen Typs.
Der Schweizer Philosoph Dieter Thomä 
Helden sind nicht von gestern: Dieter Thomä.© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Aber ist der Begriff des Heldentums für ihre Verdienste wirklich gut gewählt? Erfahren demokratische Gesellschaften derzeit nicht besonders viel Gegenwind gerade von solchen Bewegungen, deren Anführer nur allzu gern den Helden spielen? Autoritäre Staatsmänner wie Trump, Putin, Erdoğan oder Bolsonaro werden von ihrer Gefolgschaft als Heroen eines altbekannten Typs gefeiert. Haben Demokratien der Heldenverehrung nicht zu Recht seit langem abgeschworen, um sich von brachialen Machtdemonstrationen dieser Art abzugrenzen?

Selbst Superhelden plagen Zweifel

Dass Helden in Krisenzeiten Konjunktur haben, zeige, dass viele Menschen ihre Hoffnung in starke Persönlichkeiten setzen, die Konflikte "mit einem Handstreich zum guten Ende bringen", sagt der Freiburger Soziologe Ulrich Bröckling. Dabei sei uns genau dieser Wunsch inzwischen aus guten Gründen suspekt. In seinem Buch "Postheroische Helden" zeigt Bröckling anhand zahlreicher Beispiele, dass unsere Zeit dem Heldentum zwiespältig gegenüberstehe.
Zwar gelte die einst für Mut und Opferbereitschaft verehrte Figur des Kriegshelden inzwischen als fragwürdig. Unserem "Hunger nach Helden" tue das jedoch keinen Abbruch. Davon zeugen Initiativen und Werbekampagnen, die "Helden" und "Heldinnen des Alltags" würdigen, ebenso wie sportliche Wettkämpfe. Während Heldenverehrung sich in Stadien und Sporthallen noch ungebrochen Bahn bricht, beobachtet Bröckling im Superhelden-Genre der Comics und Kinofilme dagegen bereits eine starke Tendenz, das Heroische zu hinterfragen.
Ulrich Bröckling, Professor für Kultursoziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Wer zu viel zu anderen aufschaut, fühlt sich klein: Ulrich Bröckling.© Quelle: privat
Eins ist für ihn klar: Dass die Probleme komplexer Gesellschaften auf heroische Weise lösbar wären – durch das entschlossene Eingreifen außerordentlicher Persönlichkeiten – sei eine Illusion. Das typische Muster von Heldenlegenden werde den komplexen Verhältnissen, Regeln und Abhängigkeiten moderner Gesellschaften nicht gerecht. Die "Demutshaltung, die in jeder Heldenverehrung steckt", verleite zudem viele Menschen dazu, sich klein zu fühlen, selbst untätig zu bleiben: "Weil es Helden gibt, brauche ich mich nicht aus meinem Sessel zu bewegen."

Vorbilder, an denen wir wachsen können

In diesem Punkt widerspricht Dieter Tomä. Eine lebendige Demokratie brauche Vorbilder. "Helden können durchaus einen konstruktiven Beitrag leisten, weil sie eben manchmal was tun, was wir anderen uns nicht zutrauen", so Thomä. Er warne deshalb davor, alles Heldenhafte "aus dem politischen Spiel herauszukürzen".
Aus der jüngeren deutschen Geschichte heraus sei es zwar verständlich, "dass wir nach 1945 erst mal heilfroh waren, den Heldendiskurs los zu sein". Es sei aber falsch, den Begriff des Heroischen und sein anspornendes Potenzial ausschließlich Leuten zu überlassen, die autoritär oder fundamentalistisch denken. Hier könnten wir von anderen Ländern lernen, so Thomä: "Ich glaube, dass in Frankreich oder in Amerika Helden, an denen andere wachsen können, viel geläufiger sind als nur die Helden, an denen andere schrumpfen."
(fka)

Ulrich Bröckling: Postheroische Helden. Ein Zeitbild
Suhrkamp, Berlin: erscheint am 17.2.2020
277 Seiten, 25 Euro
Dieter Thomä: Warum Demokratien Helden brauchen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Heroismus
Ullstein, Berlin 2019
272 Seiten, 20 Euro

Außerdem in dieser Ausgabe von "Sein und Streit":

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