Mut machende surrealistische Satire

Von Ulrich Fischer · 18.02.2009
In Sibylle Bergs Stück "Die goldenen letzten Jahre" sind die Ausgegrenzten die Helden. Ihre Gegenspieler sind bösartige Alphatiere und noch gefährlicher: massenhaft Mitläufer. In ihrer Bonner Inszenierung hat Schirin Khodadadian die Bösen und Guten mit denselben Schauspielern besetzt.
Sibylle Bergs Name zieht. Weit mehr Zuschauer waren am Mittwochabend in die Werkstatt, die Studiobühne des Bonner Theaters, zur Uraufführung ihres neuen Stücks gekommen, als Plätze vorhanden waren. Viele saßen auf den Treppen, sodass der Feuerwehrmann bedenklich die Stirn in Falten legte.

Die Dramatikerin, die Wert auf ein schrilles Image legt, bleibt sich auch in ihrem neuen Stück "Die goldenen letzten Jahre" treu und attackiert beherzt Konkurrenzdruck und Opportunismus. Ihre Helden sind die (zunächst) Erniedrigten und Beleidigten.

Schon die Beschreibung der wichtigsten Rollen deutet an, worum es geht:

"BEA, Kinderlähmungsbeinschienen; RITA, unscheinbar; UWE, übergewichtig und PAUL, rothaariger Autist."

Die vier werden in der Schule ausgegrenzt, vom Lehrer wie von ihren Klassenkameraden, zu Haus von den Eltern und brauchen lang, ehe sie über diese traumatischen Erlebnisse hinwegkommen. Doch mit zunehmendem Alter, in den "goldenen letzten Jahren", verwandeln sie ihre Schwächen in Stärken, machen sich unabhängig vor allem vom Urteil ihrer lieben Mitmenschen, und genießen ihr Leben.

Sibylle Berg typisiert stark, ihre Stärke ist die Übertreibung. Die Gegenspieler der ausgegrenzten Helden sind bösartige Alphatiere, und die Allerschlimmsten bilden die Masse der Mitläufer. Wie immer nimmt die Dramatikerin kein Blatt vor den Mund.

Ein Kunstgriff kommt den Schauspielern zu Gute: Sie stellen sowohl die Guten wie die Bösen dar - und können so ihre Wandlungsfähigkeit zeigen. In einer Sekunde verwandeln sie sich vom armen Würstchen zum Elitevertreter auf hohem Ross.

Die Courage der Dramatikerin, das Thema und die Konstruktion der Figuren gehören zu den Stärken des Stücks, allerdings sind eingefügte Liedtexte anfechtbar:
"Da wird mal gar nicht nachgedacht,
was jeder da am Morgen macht.
Im Pendelzug mit Anzug an,
Alphablick zum Nebenmann
. . .
die Bank muss immer reicher werden,
drum sind sie hier in großen Herden."

Humorvolle Verse gehören zum Diffizilsten, was es gibt, das Leichte, das so schwer zu machen ist. Sibylle Berg bleibt aber weit hinter Meistern wie etwa Wilhelm Busch zurück. Ihr gelingt kein Aphorismus, der das Zeug zum geflügelten Wort hätte.

Michael Barfuß hat die Gedichte einfühlsam vertont, hebt den Rhythmus hervor, aber ihm gelingt kein Ohrwurm - die Rechnung mit dem Singspiel ging nicht auf, obwohl das fünfköpfige Ensemble sich mächtig ins Zeug legte. Dem Text ist mehr Heiterkeit eingeschrieben, als Schirin Khodadadian in ihrer Uraufführungsinszenierung entbinden konnte.

Indes hatte die Vorstellung doch genug Schwung, um ganz im Sinne Sibylle Bergs Mut zu machen: gegen die Ausgrenzung, gegen zerstörerische Konkurrenz, für die Autonomie jedes Einzelnen, aber auch für mehr menschliches Miteinander.


"Die goldenen letzten Jahre"
Von Sibylle Berg
Inszenierung: Schirin Khodadadian
Werkstatt, Theater Bonn