Musterfeststellungsklage

"Das wird eher zu Enttäuschungen führen"

VW-Logo und Richterhammer
VW Logo und Richterhammer © imago
Caroline Meller-Hannich im Gespräch mit Ute Welty  · 14.06.2018
Der Bundestag will heute die Musterfeststellungsanklage auf den Weg bringen. Viele Geschädigte des Abgasskandals hoffen darauf, gegen Volkswagen klagen zu können. Die Juristin Caroline Meller-Hannich ist skeptisch und glaubt, dass Enttäuschungen folgen werden.
Mit der Musterfeststellungsklage können Verbände für Verbraucher vor Gericht ziehen - und so etwa bei Massenschäden gegen große Unternehmen vorgehen. Das Gesetz soll heute den Bundestag passieren und nach Regierungsplänen Anfang November in Kraft treten, damit mögliche Ansprüche geschädigter VW-Kunden nicht verjähren.

Aufwändiges Verfahren

"Ich glaube, dass das ein sehr aufwändiges Verfahren werden wird", sagte die Juristin Caroline Meller-Hannich im Deutschlandfunk Kultur. Die Professorin an der Martin-Luther-Universität Universität in Halle zeigte sich skeptisch, ob die einzelnen Geschädigten von solchen Klagen wirklich viel haben. "Das wird eher zu Enttäuschungen führen." (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Gemeinsam sind wir stark: Gemeinsam klagen hat mehr Aussicht auf Erfolg, als einzeln vor Gericht zu ziehen – mit der sogenannten Musterfeststellungsklage. Mit diesem Instrument können Verbände für Verbraucher vor Gericht ziehen, und vor allem enttäuschte Volkswagenkunden in Deutschland hoffen darauf, um nach dem Skandal um Dieselfahrzeuge mit manipulierter Abgasreinigung Schadensersatzansprüche zu formulieren.
Heute stimmt der Bundestag über den entsprechenden Gesetzentwurf ab, den Caroline Meller-Hannich kritisch sieht. Die Juristin ist Inhaberin des Lehrstuhls für bürgerliches Recht, Zivilprozess und Handelsrecht an der Universität Halle-Wittenberg. Guten Morgen!
Caroline Meller-Hannich: Ja, schönen guten Morgen!
Welty: Was macht Sie so skeptisch gegenüber Musterfeststellungsklagen?
Meller-Hannich: Ich glaube, dass das ein sehr aufwendiges Verfahren werden wird, von dem dann am Ende die einzelnen Geschädigten gar nicht besonders viel haben. Das wird eher zu Enttäuschung führen. Man muss sich das ja so vorstellen: Der Verband muss ja selbst erst mal Beteiligte oder sagen wir mal: Betroffene sammeln, muss dann einen Lebenssachverhalt zusammenstellen, Feststellungsziele erarbeiten, dann geht das Ganze vor Gericht.
Das sind Verfahren, die werden eine lange Zeit dauern vielleicht. Da ist häufig europäisches Recht betroffen, auch mit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof. Dann gibt es keinerlei Beteiligungsrechte der Betroffenen selbst. Ob der Verband da jetzt das geschickt macht oder nicht, das ist letzten Endes dann nicht mehr in den Händen der Betroffenen, und am Ende haben Sie nur eine Feststellung, das heißt keine Entschädigung.
Welty: Warum klappt das denn in anderen europäischen Ländern, wo es längst Möglichkeiten gibt, Klagen zu sammeln?

Deutschland hinkt hinterher

Meller-Hannich: Tatsächlich sind das dann aber auch Klagen, die von Anfang an gesammelt werden und auf Entschädigung, auf Schadenersatz gerichtet sind. So eine Musterfeststellungsklage, die gibt es in anderen Staaten in dem Sinne nicht, sondern das sind dann echte Gruppenklagen oder Sammelklagen.
Welty: Ist das ein speziell deutsches Phänomen, dass man eben vor allen Dingen erst mal einen Anspruch feststellt, um dann womöglich die Klage durchzuführen?
Meller-Hannich: Im Gegenteil. Also wir haben sogar in Deutschland einen ziemlich klaren Grundsatz in der prozessualen Dogmatik, dass wir Feststellungsklagen für subsidiär halten. Das ist eigentlich etwas, was wir in dem Sinne so noch nicht kennen. Was sicherlich speziell ist in Deutschland, dass wir, was den kollektiven Rechtsschutz angeht, ziemlich hinter den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, aber auch anderen Staaten in der Welt hinterherhinken.
Welty: Warum ist das so?
Meller-Hannich: Tja.
Welty: Gute Frage, nächste Frage!
Meller-Hannich: Ja, in der Tat. Also da gibt es viele Gründe, die sind politischer Art vor allem. Das ist alles einfach eine Frage, was man da will.
Richter des Bundesverwaltungsgerichtes sitzen in einen Saal zur Urteilsverkündung.
Richter und Medien vor einer Urteilsverkündung © dpa-Bildfunk / Sebastian Willnow
Welty: Hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass man in Deutschland versucht, das Recht möglichst individuell zu formulieren und nicht für alle gemeinsam und dem Einzelnen die Instrumente in die Hand zu geben und nicht der breiten Masse?
Meller-Hannich: Na ja, also zunächst einmal würden ja individuelle Ansprüche nicht genommen durch eine Gruppenklage. Man würde sie ja nur bündeln. Das heißt, letzten Endes dient die dem Individualrechtschutz. Das heißt, dass mag zwar ein Argument sein, aber ich finde es eigentlich kein besonders überzeugendes. Jetzt so eine Feststellungsklage, die ist ja nun gar nicht auf die Durchsetzung individueller Ansprüche gerichtet. Also da, denke ich, wird dieses Argument dann doch eher absurd.
Ich meine, ich verstehe, was damit gemeint ist, nämlich es ist natürlich nicht besonders einfach, in einer großen Masse individuelle Ansprüche festzustellen. Das ist auch eine Herausforderung. Ich glaube, da können wir jetzt auch nicht den Kuchen behalten und aufessen und sagen … Na ja, es gibt kein einfaches, schnelles, effizientes Verfahren, mit dem eben gleichzeitig perfekter individueller Rechtsschutz gewährt wird. Nur jetzt müssen ja doch individuelle Sachverhalte aufgearbeitet werden, und am Ende hat der Einzelne nichts davon. Dann sollten wir uns doch lieber gleich die Mühe geben, das von Anfang an sinnvoll in die richtigen Bahnen, nämlich in diejenigen, wo es auch einen Leistungsanspruch gibt, zu lenken.

Individuelle Kräfte mobilisieren

Welty: Genau, und wie sieht dann diese richtige Bahn aus, die Sie gerade angedeutet haben, was muss da passieren?
Meller-Hannich: Also ich denke, die beste Idee wäre, dass man das versucht, auf so eine Zwei-Parteien-Struktur zu reduzieren, dass man nämlich einen Repräsentanten klagen lässt, aber eben mit einer individuellen Ermächtigung. Das könnte man aber durch eine Onlineplattform oder ähnliches ganz gut machen, und da würde ich auch sagen, das können Verbände sein, aber warum sollen es eigentlich nicht auch selbst Geschädigte sein oder deren Rechtsanwälte, die dann Ansprüche sammeln. Ich meine, wenn wir von individuellen Ansprüchen sprechen, dann sollten wir doch auch die individuellen Kräfte in der Gesellschaft da mobilisieren. Das hat ja Vorteile für den Zivilprozess, das ist ja ein Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.
Welty: Um auf den konkreten Fall zurückzukommen, der hinter all dem steht, nämlich die Abgasmanipulation und womöglich auch bei anderen: Was sollen denn da Verbraucher tun? Abwarten, weiterfahren, hoffen?
Meller-Hannich: Na ja, letzten Endes muss man sich ja natürlich selbst ein bisschen überlegen, wie viel würde es mir ausmachen, so einen Prozess zu führen. Das ist ja keine ganz spaßige Angelegenheit. Das heißt, da muss man ein bisschen auch in sich selbst hineinschauen. Ich persönlich würde zumindest vielleicht einen Mahnbescheid mal in die Wege leiten oder versuchen, in Verhandlungen zu treten, denn das würde ja auch die Verjährung hemmen, und mehr bringt die Musterfeststellungsklage ja auch nicht.
Im Übrigen, warum denn nicht klagen? Bislang laufen ja sehr viele Verfahren schon, und die laufen ja zum Teil durchaus erfolgreich. Ich habe da auch den Eindruck, dass die Rechtsprechung da inzwischen so ein bisschen kippt, weil immer noch nicht wirklich aufgeklärt ist, was passiert ist, fangen die Gerichte langsam an, da die Beweislast auch etwas anders einzuordnen, als man das vielleicht noch vor zwei Jahren getan hat.

Anderes Justizsystem in den USA

Welty: Entsprechende Prozesse werden auch in den USA geführt, und auch da ist immer wieder von Auswüchsen die Rede, wenn es um Sammelklagen geht, dass Anwälte eben über Sammelklagen versuchen, vor allen Dingen ihre Umsätze anzukurbeln. Wie lassen sich solche Auswüchse vermeiden?
Meller-Hannich: Wir haben ein vollkommen anderes Prozessrechtssystem. Also ich fange mal an damit, dass bei uns ja jeder seine Prozesskosten, die Prozesskosten des Gegners tragen muss, wenn er verliert. Das heißt, wir haben dieses Prinzip, dass der Verlierer sämtliche Kosten trägt. Das hält ja erst mal von aussichtslosen Klagen ab. Das ist ein System, was es in den USA so nicht gibt. Wir haben diese Erfolgshonorare nicht, wir haben kein Jurysystem, sondern es geht zu einem Richter.
Eine Statue der Justitia
Statue der Justitia.© dpa / picture alliance / David Ebener
Bei diesem Jurysystem sind auch Laien mit den Fällen befasst. Das kann dann schon mal in ein bisschen seltsame Richtungen auch gehen in der Bewertung von Gerechtigkeit oder Recht. Wir haben in den USA ein Verfahren, wo eben die Parteien sehr viel selbst offenlegen müssen. In Deutschland gibt es Vortrags- und Beweislast, das heißt, es liegt in einem vollkommen anderen Justizsystem. Wir hätten diese Auswüchse tatsächlich nicht zu befürchten. Die Staaten, die solche Verfahren haben, die haben überhaupt keine Missbrauchsprobleme.

EU plant weitergehende Regelung

Welty: Ende September findet der Deutsche Juristentag in Leipzig statt, der sich auch mit dem Thema beschäftigen will. Ist das gegebenenfalls vom Tisch, wenn der Bundestag heute entsprechend entschieden hat?
Meller-Hannich: Ich hoffe nicht. Ich glaube es auch nicht, denn es gibt von europäischer Ebene ja inzwischen auch einen Richtlinienentwurf für derartige Verfahren, und der geht weit über dieses deutsche Modell hinaus, also gegebenenfalls muss Deutschland da ziemlich bald wieder nachbessern, und im Übrigen sollte man sich natürlich immer die Zeit nehmen, auch ein gutes Verfahren in die Wege zu leiten, und das hier ist jetzt doch, mal abgesehen von dem Grundproblem, auch teilweise handwerklich nicht besonders gut gelungen.
Das musste jetzt alles sehr schnell gehen, und da sind auch im Detail noch eine Reihe von Schwierigkeiten. Kann ich jetzt nicht im Einzelnen drauf eingehen, das Verhältnis der Klagen zueinander und ähnliches.
Welty: Ach, das machen wir dann das nächste Mal!
Meller-Hannich: Genau!
Welty: Der Bundestag entscheidet heute über die sogenannte Musterfeststellungsklage, ein sperriger Begriff für einen komplexen Sachverhalt. Die Einschätzungen dazu kamen von Caroline Meller-Hannich, Jura-Professorin an der Universität Halle-Wittenberg. Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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