Muslime und Christen in Indonesien

Wenn Religion im Wahlkampf instrumentalisiert wird

Jakartas Gouverneur Purnama steht wegen Blasphemie vor Gericht.
Gotteslästerung: Basuki Tjahaja Purnama muss sich vor Gericht verantworten © dpa/picture-alliance/Tatan Syuflana / Pool
Moritz Kleine-Brockhoff im Gespräch mit Dieter Kassel · 20.04.2017
Der Gouverneur von Jakarta war bisher ein Christ - ungewöhnlich für ein muslimisches Land wie Indonesien. Wiedergewählt worden ist er nicht, obwohl zwei Drittel der Bürger mit seiner Arbeit zufrieden waren. Moritz Kleine-Brockhoff von der Friedrich-Naumann-Stiftung über mögliche Gründe.
Indonesien ist das größte muslimische Land der Welt - und doch war der Gouverneur der Hauptstadt Jakarta bisher ein Christ. Wiedergewählt worden ist Basuki Tjahaja Purnama allerdings nicht, er unterlag jetzt seinen muslimischen Konkurrenten. Der wesentliche Grund dafür könnte sein, dass Purnama derzeit wegen Blasphemie vor Gericht steht. So drängt sich der Verdacht auf, dass der Grund für seine Wahlniederlage nicht in seiner Politik, sondern in seinem Glauben liegt.
Moritz Kleine-Brockhoff, Projektleiter Indonesien und Malaysia bei der Friedrich-Naumann-Stiftung, bestätigte diese Einschätzung im Deutschlandradio Kultur. Indonesien sei eigentlich ein Land, in dem die unterschiedlichen Religionen friedlich und respektvoll miteinander umgingen. Doch in Jakarta habe eine Kampagne konservativer Kräfte gegen Purnama dafür gesorgt, dass sein Christsein plötzlich eine Rolle spielte: "Man hat den Wählern eingebläut: Ihr dürft keinen Nichtmuslim wählen."

Das schlechte Beispiel könnte nun Nachahmer finden

Die Instrumentalisierung der Religion im Wahlkampf sei in Indonesien völlig neu, sagte Kleine-Brockhoff. Er fürchtet nun, dass das Beispiel Nachahmer findet - eben auch, weil die Kampagne erfolgreich war. Und jeder, der jetzt dagegen aufstehe, setzte sich dem Verdacht aus, kein frommer Muslim zu sein, so der Experte.
Blick über ein altes Wohnviertel auf die Hochhäuser der Jalan-Thamrin-Road in der indonesischen Stadt Jakarta. Fotografiert: 07.11.2003
Blick über ein altes Wohnviertel in Jakarta© picture alliance / dpa / Kurt Scholz
Der Prozess gegen Purnama - mit dessen Arbeit als Gouverneur über zwei Drittel der Bürger in Jakarta nach Umfragen eigentlich zufrieden waren - läuft derweil weiter. Er hatte sich im Wahlkampf darüber beschwert, dass seine politischen Gegner einen Koranvers gegen ihn instrumentalisierten, "den man dahingehend interpretieren kann, dass Moslems keinen Nichtmuslim als politischen Führer wählen dürfen". Purnama habe darauf reagiert und gesagt: "'Lasst euch nicht von denen irreleiten.'" Daraus sei dann die Anklage wegen Blasphemie gestrickt worden, so Kleine-Brockhoff.
(ahe)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Indonesien ist das den Einwohnern nach größte muslimische Land der Welt, und doch war der Gouverneur der Hauptstadt Jakarta bisher ein Christ, Basuki Purnama. Wiedergewählt worden ist er aber nun nicht. Er unterlag seinem muslimischen Konkurrenten, und weil Purnama gleichzeitig auch noch wegen Blasphemie vor Gericht steht, drängt sich der Verdacht auf, dass der Grund für diese Wahlniederlage eben nicht seine Politik, sondern eher seine Religion ist. Über das Verhältnis von Muslimen und Christen in Indonesien wollen wir deshalb jetzt mit Moritz Kleine-Brockhoff reden. Er ist der Projektleiter Indonesien und Malaysia bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Schönen guten Morgen, Herr Kleine-Brockhoff!
Moritz Kleine-Brockhoff: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Das ist für uns in Deutschland ja eine ziemlich unglaubliche Anklage, eine Anklage gegen etwas, was von der Position her so ein bisschen vergleichbar ist mit dem Oberbürgermeister bei uns wegen Blasphemie. Was wird denn eigentlich Purnama da genau vorgeworfen?
Kleine-Brockhoff: Purnama, wir nennen ihn alle Ahok hier. Der Gouverneur von Jakarta hatte sich im Wahlkampf darüber beschwert, dass seine politischen Gegner einen Koranvers instrumentalisieren, den man dahingehend interpretieren kann, dass Moslems keinen Nichtmuslimen als politischen Führer wählen dürfen. Er hat gesagt, lasst euch nicht von denen irreleiten, die diesen Koranvers bemühen. Lasst euch nicht von diesen belügen, die diesen Koranvers bemühen, und daraus ist eine Blasphemie-Anklage gestrickt worden, dass seine Kritik nicht gegen das Instrumentalisieren des Koranverses geht, sondern gegen den Koran da selbst. Da muss man etwas um die Ecke denken, aber er ist angeklagt worden, er steht vor Gericht, schon seit Monaten, und diese Blasphemie-Anklage hat ihm natürlich im Wahlkampf enorm geschadet.
Kassel: Würden Sie so weit gehen und sagen, das ist im Grunde genommen der Grund für seine Niederlage, denn er ist ja zuvor ein relativ beliebter Politiker gewesen?

Das hat die Wahl gekippt

Kleine-Brockhoff: Ja, Sie haben völlig recht. 70 Prozent der Einwohner von Jakarta waren mit seiner Arbeit zufrieden, auch noch während des Blasphemie-Gerichtsverfahrens. Ich glaube schon, dass eine gezielte Kampagne von konservativen Kräften dafür gesorgt hat, dass Religion hier in diesem Wahlkampf eine große Rolle spielt, und man hat den Wählern wirklich eingebläut, ihr dürft keinen Nichtmuslimen wählen. Und es haben sich genug Wähler, will ich mal sagen, davon beeinflussen lassen, und ich bin mir sicher, dass das die Wahl gekippt hat.
Kassel: War denn Ahok – Sie haben es gesagt, das ist sein üblicherweise benutzter Spitzname in Indonesien –, war der die große Ausnahme oder war es in der Vergangenheit eigentlich gar nichts besonderes, wenn auch ein Nichtmuslim politisch so erfolgreich war?
Kleine-Brockhoff: Es gibt durchaus Nichtmuslime in verantwortlichen Positionen, auch in der Politik, aber Ahok hat ja als Gouverneur von Jakarta dann ein Amt bekleidet, was noch wichtiger ist als ein Oberbürgermeister. Jakarta ist eine Provinz, ich würde das eher mit dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen vergleichen. Er hat auch nie eine Wahl gewonnen. Er war als Vizekandidat angetreten, und sein damaliger Chef ist 2014 Präsident des Landes geworden. Das heißt, er hat den Job als Gouverneur geerbt, hat dann, in den Augen vieler, sehr gut gearbeitet, aber diese Wahl jetzt gestern war das erste Mal, dass er sich beweisen musste gegenüber den Wählern, und es hat nicht gereicht.
Kassel: Diese Kampagne, die da gegen ihn ja quasi gelaufen ist, Sie haben das beschrieben. Es gibt ja diesen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dieser Wahl und dem Blasphemie-Prozess. Ist das quasi eine Einzelkampagne seiner politischen Gegner, die halt Muslime sind oder sein Hauptgegner, der dann auch gewonnen hat, ist halt ein Muslim oder steckt da mehr dahinter? Ist das wirklich quasi eine Ablehnung der Muslime überhaupt in der Provinz Jakarta gegenüber der christlichen Minderheit?
Kleine-Brockhoff: Ich glaube, man muss differenzieren zwischen Politik und dieser Wahl und der Einstellung der Menschen. Ich erlebe Indonesien immer noch als ein Land, in dem verschiedene Religionen sehr friedlich und sehr respektvoll, sehr tolerant miteinander leben. Es gibt davon hässliche Ausnahmen, aber im Großen und Ganzen gibt es ein respektvolles Miteinander, würde ich sagen. Was völlig neu ist, ist, dass Religion in einer Wahl instrumentalisiert wurde. Das gab es in Indonesien so noch nicht, und das ist auch wirklich das Beunruhigende an dieser Wahl, dass diejenigen, die diese Kampagne gefahren haben, die Religionskarte gespielt haben, damit Erfolg gehabt haben, und ich befürchte, dass das bei kommenden Wahlen Nachahmer finden wird. Es war hier nicht mal so, dass die beiden Kandidaten, die gegen Ahok angetreten sind und gewonnen haben, sonderlich konservativ sind. Im Gegenteil: Das sind eigentlich moderate Muslime, aber konservative Kräfte – ich würde fast sagen Islamisten, es gingen ja Hunderttausende in Jakarta auf die Straße mit Hassparolen –, haben wirklich den Wählern eingebläut, dass es ihre Pflicht sei, einen Muslim zu wählen, und so etwas Hässliches haben wir in der Politik zuvor in Indonesien noch nicht erlebt.
Kassel: Gibt es denn dort weniger konservative, vor allen Dingen weniger fundamentalistische Muslime, die versuchen, dieser Tendenz etwas entgegenzusetzen?

Staatsmotto: Einheit in Vielfalt

Kleine-Brockhoff: Es ist unheimlich schwer, dagegen aufzustehen. Jeder, der dagegen aufsteht, begibt sich in den Verdacht, nicht fromm zu sein. Es gibt ein Gegenmittel, und das ist die Erinnerung an Indonesiens Staatsmotto: Das heißt Einheit in Vielfalt – das ist auch reingeschrieben ins Staatswappen –, und der jetzige Präsident Jokowi und seine Partei haben immer wieder daran erinnert, dass Pluralismus die Basis eines friedlichen Zusammenlebens ist. Es gibt also Stimmen in die Richtung, aber man muss leider feststellen, dass dieses Lager gestern verloren hat.
Kassel: Geht es eigentlich nur um Religion? Wir haben noch gar nicht erwähnt, dass Ahok, also Purnama, der jetzt unterlegene Gouverneurskandidat, dass der ja auch noch eigentlich zur Ethnie der Chinesen in Indonesien gehört. Da gibt es eine lange Geschichte zu. Spielt hier möglicherweise auch zusätzlich zur Religion auch Rassismus eine Rolle?
Kleine-Brockhoff: Es gibt Probleme, Animositäten, aber ich habe den Eindruck, dass bei dieser Wahl wirklich Religion die Hauptrolle gespielt hat. Das muss man leider so sagen. Das ist auch insofern bedauerlich, als dass Indonesien ja bislang eines der wenigen, wenn nicht das einzige Beispiel auf der Welt ist, wo Islam und Demokratie bislang wunderbar zusammengepasst haben, wo es zwar islamische Parteien gab, manche moderat, andere eher konservativ, aber die Wähler in der Mehrheit immer sogenannte nationalistische Parteien gewählt haben und sozusagen die Religion aus der Politik relativ ferngehalten haben. In den vergangenen Jahren hat sich das geändert. Auf lokaler Ebene gab es immer mehr religiös motivierte sogenannte Sharia-Dekrete. Da geht es um Alkoholverbote, da geht es um Kleiderordnung. In einer Provinz, in Aceh, wird ausgepeitscht, da herrscht die Prügelstrafe. Das heißt, wir sehen eine allgemeine Entwicklung in der Gesellschaft hin zu einer größeren Rolle des Islams, und der Einzug in die Politik ist jetzt noch mal eine neue Dimension.
Kassel: Moritz Kleine-Brockhoff von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit über eine Entwicklung in Indonesien, für die das Schicksal des bisherigen Gouverneurs der Provinz Jakarta nur ein Beispiel ist. Herr Kleine-Brockhoff, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Kleine-Brockhoff: Danke, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema