Musikwissenschaftler über "Kultsounds"

Auf der Suche nach der DNA des Pop

Phil Collins tritt 1996 bei "Wetten, dass" auf
Phil Collins bei "Wetten, dass..?": Er veredelte in den 1980er-Jahren viele seiner Songs mit dem Sound des DX7-E-Piano. © Imago / teutopress
Immanuel Brockhaus im Gespräch mit Timo Grampes · 25.10.2017
Monatelang sperrte sich der Musikwissenschaftler und Produzent Immanuel Brockhaus ein und hörte Musik: Mehr als 2000 Songs aus fast sechs Jahrzehnten analysierte er. Herausgekommen ist dabei eine Studie über "Kultsounds".
Der Berner Musikforscher Immanuel Brockhaus hat sich in seinem Projekt "Kultsounds" nicht weniger vorgenommen als die gesamte Popmusik der letzten Jahrzehnte zu verstehen und wiederkehrende Gestaltungselemente zu katalogisieren. Dafür hat er insgesamt 2200 Songs der Billboard Top 40 von 1960 bis 2014 plus Stichproben vieler subkultureller Stile analysiert und deren Bestandteilte extrahiert.
Brockhaus sperrte sich monatelang mit seinen Kopfhörern ein und notierte akribisch, was er da hörte. Er erforschte, wie sich prägnante Einzelsounds in einzelnen Genres verbreiteten und zu sogenannten Kultsounds wurden. Zu diesen Kultsounds gehören zum Beispiel bestimmte Orchesterabschläge, früher bei Strawinsky gehört, heute von Britney Spears bis Andrea Berg als Samples benutzt.

Nach ihrer Blüte sterben Kultsounds manchmal einfach ab

"Mich hat gestört, dass, wenn man über Popmusik und ihre Genres redet, dass man immer von dem Hiphop-Sound oder dem Disko-Sound spricht, aber ich war der Meinung, dass diese Sounds immer geprägt sind von einzelnen Komponenten und ich wollte herausfinden, welche Sounds eigentlich welche Genres geprägt haben", erzählt Brockhaus.
Kultsound entwickeln sich mit der Technologie, blühen dann auf, multiplizieren sich und werden schließlich von ganz vielen Produzenten verwendet. Nach ihrer Blüte sterben sie eventuell ab. Ein Beispiel dafür ist auch der DX7-E-Piano-Sound, ein sehr künstlicher Elektro-Piano-Sound, der seine Blütezeit in den Achtzigerjahren hatte. "Er hat eine unglaublich schnelle und intensive Blüte erlebt und ist dann Mitte der 90er-Jahre wieder abgestorben", sagt Brockhaus. Er sei besonders viel von Phil Collins verwendet worden.

Bestimmte Komponente werden unbewusst kopiert

"Die Verbreitung passiert meistens über die Charts", sagt Brockhaus. Bestimmte Soundkomponenten werden als Erfolgsgaranten wahrgenommen und auch in den eigenen Produktionen verwendet - auf diese Weise multipliziert sich ein Sound. "Jeder versucht, individuell zu klingen, aber trotzdem nimmt man auch unbewusst Komponenten in seine Songs hinein, von denen man denkt, dass sie ein Genre artikulieren oder manifestieren."
Derzeit wird Autotune, ein Gesangseffekt zur Verfremdung von Stimmen, fast inflationär verwendet. "Man dachte eigentlich, dass der Sound wieder abstirbt, aber das Gegenteil ist der Fall: Ich denke, dass der Sound sich weiter global verbreiten wird, vor allem in Afrika ist er sehr präsent", sagt Brockhaus.

Immanuel Brockhaus: Kultsounds
Die prägendsten Klänge der Popmusik 1960 - 2014
Transcript Verlag 2017
450 Seiten, 44,99 Euro