Musikwissenschaften

Schluss mit der "persona non grata"!

Der Komponist Richard Strauss (1864-1949) in seinem Arbeitszimmer in seiner Villa in Garmisch.
Der Komponist Richard Strauss (1864-1949) in seinem Arbeitszimmer in seiner Villa in Garmisch. © picture-alliance / dpa / gms Arge Spurensuche Tourismusverband München Oberbayern
Von Dieter David Scholz · 09.05.2014
Richard Strauss steht bis heute auf den Spielplänen der Musiktheater der Welt. In Deutschland wird der Komponist jedoch als politische "persona non grata" behandelt. Ein anderes Bild zeigt das erste deutsche Richard-Strauss-Handbuch.
Lange Zeit tat sich die Musikwissenschaft schwer mit Richard Strauss. Im Jubiläumsjahr 2014 ist nun - im Vorfeld seines 150. Geburtstages - als Gemeinschaftsproduktion der Verlage Bärenreiter und Metzler ein im wahrsten Sinne des Wortes gewichtiges Strauss-Handbuch von immerhin 583 Seiten erschienen.
26 Musikwissenschaftler haben daran mitgearbeitet, Walter Werbeck von der Universität Greifswald hat es herausgegeben. Es setzt Maßstäbe und darf schon jetzt als Standardwerk zum Thema Strauss betrachtet werden.
Die Autoren plädieren mit großer Sachlichkeit und in auch für Nichtmusikologen lesbarer Sprache für eine Neubewertung von Richard Strauss. Wer sich ernsthaft mit ihm, seinem Werk und seiner Wirkung auseinandersetzen möchte, kommt an diesem Handbuch nicht vorbei, zumal es handverlesene diskographische Empfehlungen ausspricht und im Anhang ein Werkregister, weiterführende Literatur sowie Namens- und Werkregister enthält, die sehr nützlich sind.
An Richard Straus scheiden sich - zumal in der Musikwissenschaft - immer noch die Geister. Im Gegensatz zur US-amerikanischen Strauss-Forschung wurde der Publikumsliebling Richard Strauss, dessen Werke zu den am häufigsten aufgeführten zählen, hierzulande lange ignoriert bzw. nicht ernst genommen. Was mehr mit politischen und ideologischen Aspekten des Phänomens zu tun hat als mit rein musikalischen.
Des Komponisten zwischen ehrgeizigem Opportunismus, naiver Gutgläubigkeit und Gleichgültigkeit schwankendes Nazi-Mitläufertum ist nach wie vor ein heikles Thema. Es wird äußerst differenziert ausgebreitet in diesem ersten Strauss-Handbuch, das kein Blatt vor den Mund nimmt und alle Fakten auf den Tisch bringt, aber alle einseitige Polemik vermeidet. Auch der Geschäftsmann Strauss, sein knallhartes Verhandeln als Komponist und Dirigent mit Verlagen und Opernhäusern kommt zur Sprache.
Mordende Femme fatale auf der Bühne
Mit den Tantiemen, die Strauss für sein anrüchiges Musikdrama "Salome" erhielt, konnte er sich in Garmisch eine prachtvolle Villa bauen. Haus, Hof und Familie waren ihm zeitlebens wichtig. Seine Sänger-Gattin Pauline, "Streitobjekt wie Stabilitätsanker" im Leben des Komponisten, inspirierte ihn immer aufs Neue. Der ausgesprochene Familienmensch Strauss, der sein Privatleben immer wieder in seine Werke hineinnahm, zeigte jedoch aller Bürgerlichkeit zum Trotz dennoch Mut zu Neuem, musikalisch wie psychologisch.
Gerade am Beispiel der "Salome" wird in den ausführlichen Einzeldarstellungen sämtlicher Werke innerhalb des Handbuchs erläutert, welchen Tabubruch Strauss beging, als er ungeniert die Sexualiät jener männermordenden Femme fatale auf die Opernbühne brachte.
An anderer Stelle wird Theodor W. Adornos einflussreicher Strauss-Essay von 1964 ausdrücklich als Beginn einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Komponisten hervorgehoben, dem zu Unrecht immer wieder vorgeworfen wurde, er habe "die Substanz des Tonsatzes" dem glitzernden "Gewand der klanglichen Außenseite" geopfert und nach und nach den Kontakt zur Musik der Gegenwart verloren.
Das große Verdienst des ersten deutschen Richard-Strauss-Handbuchs ist es, endlich einen Schlussstrich zu ziehen unter die polarisierte Auseinandersetzung mit Strauss, der vielfach als ästhetische wie politische "persona non grata" behandelt wurde. Die weit ausholenden, differenzierten Einzeldarstellungen seiner Opern, Ballette, Lieder, Tondichtungen, aber auch seiner Kammermusik lassen deutlich werden, dass jeder Versuch, den Publikumsliebling als Konservativen abzustempeln, zu kurz greift.

Walter Werbeck (Hsg.): Richard Strauss Handbuch
Metzler/Bärenreiter Verlag, Stuttgart 2014
583 Seiten, 79,95 Euro