Musiktheater

Opulenz des Absurden

Der italienische Regisseur Romeo Castellucci bei der Ruhrtriennale 2014
Der italienische Regisseur Romeo Castellucci bei der Ruhrtriennale 2014 © dpa / Caroline Seidel
Von Stefan Keim · 06.09.2014
Auf der Ruhrtriennale 2014 ist Romeo Castellucci gleich zweimal vertreten: Nach seiner Interpretation von "Sacre du printemps" begeisterte er am Samstagabend auch mit "Neither", dem radikalen Stück der beiden Operngegner Morton Feldman und Samuel Beckett.
Reduzierter kann Musiktheater nicht sein. Morton Feldmans "Neither" dauert eine Stunde, hat keine Handlung, sanfte Dissonanzen sorgen für reibungsvolle Schwebezustände. Samuel Becketts "Libretto" besteht aus einer Postkarte, der Gesang ohnehin nur aus Vokalisen. Das philosophische, stille Werk hat der italienische Festivaldarling Romeo Castellucci nun bei der Ruhrtriennale mit seiner opulenten Überwältigungsästhetik als absurden Bildertaumel inszeniert.
Erst packt Castellucci mal wieder den Zeigefinger aus. In einem stummen Vorspiel mit erklärenden Übertiteln zeigt der Physiker Erwin Schrödinger sein berühmtes Gedankenexperiment. Eine Katze sitzt in einer Kiste gemeinsam mit einem Gift, das sie irgendwann töten könnte. Ohne hinein zu sehen, weiß niemand, ob das Tier tot oder lebendig ist. Es ist also wissenschaftlich gesehen "neither". Dann setzt die Musik ein.
Grandios düstere Bilder
Den Riesenraum der Bochumer Jahrhunderthalle bespielt Romeo Castellucci mit grandios düsteren Bildern, die manchmal auf dem schmalen Grat zum Kitsch balancieren. Menschen erstechen sich, Gangster und Polizisten suchen nach einem Kind und seinem rätselhaften "Samen", eine Darth-Vader-Puppe in Kindergröße steht auf der Bühne und spuckt Rauch. Eine weitere Puppe wird seziert, wobei sich die Ärzte effektvoll Blut auf die weißen Kittel schmieren, und dann zu Grabe getragen. Plötzlich nähert sich eine Eisenbahn aus dem Bühnendunkel, scheint vor der ersten Reihe nicht stoppen zu wollen, dann bewegt sich der Zuschauerblock überraschend nach hinten. Solche Effekte mit Podesten auf Schienen hat es schon oft bei der Ruhrtriennale gegeben, Jürgen Flimm hat sie damals selbstironisch als "Fahrgeschäft" bezeichnet.
Castellucci lässt nichts aus
Es gibt Kinder, eine Katze, einen Hund und ein Pferd namens Senor Santos auf der Bühne. Der Eisenbahn-Effekt zitiert den berühmten Stummfilm „Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat" der Lumière-Brüder, aus dem laut Legende die Zuschauer aus Angst vor der nahenden Lok flohen.
Es gab wohl bisher keine so unterhaltsame Aufführung von "Neither", zumal Castellucci einige betörende Bilder gelingen. Einmal beleuchtet er die Jahrhunderthalle nur von außen durch die Dachfenster mit milchig weißem Licht. Aber seine Bilder sind auch aufdringlich und eitel, Morton Feldmans Musik wird zum Soundtrack degradiert. Man muss schon fast die Augen schließen, um mitzubekommen, wie feinsinnig Emilio Pomárico die ausgezeichneten Duisburger Philharmoniker dirigiert, wie er die Partitur atmen lässt und ihr rhythmische Struktur verleiht.
Laura Aikin, die "Neither" schon in Katie Mitchells konzentrierter Berliner Inszenierung sang, lässt die vielen hohen Töne auch in Bochum schwerelos schimmern und fügt sich darstellerisch in Castelluccis barocken Bilderbombast ein.
Termine: 12., 14., 19. und 20. September
Infos im Netz: www.ruhrtriennale.de
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