Musikkindergarten in Berlin

Von morgens bis abends Musik

Naomi (l) und Joyce probieren am Dienstag (26.08.2008) ihre neuen Geigen aus, die der Bundespräsident zuvor an Grundschüler der Martin-Luther-Grundschule im Rahmen der Initiative «Jedem Kind ein Instrument» in Gelsenkirchen übergab.
Je jünger die Kinder sind, umso leichter fällt es ihnen, ein Instrument zu erlernen © Rolf Vennenbernd
Von Mascha Drost · 01.09.2015
Die Kinder sollen im Barenboim-Musikkindergarten in Berlin die Musik entdecken: spielerisch erlernen sie Geige, Klavier oder Gitarre. Neben dem Initiator, dem Dirigenten Daniel Barenboim, hat der Kindergarten noch weitere prominente Unterstützer.
Der Tag beginnt wie in jedem Kindergarten – mal mehr, mal weniger gehetzte Eltern trudeln mit ihrem Nachwuchs ein; rein in den Umkleideraum, raus aus den Schuhen, und dann übernehmen die Erzieherinnen.
Bauklötze in der einen Ecke, Spiele in der anderen, kleine Tische und Stühle, Kinder zwischen 3 und 6 Jahren wuseln umher. Einige haben sich um ein Podest versammelt, darauf steht, ein wenig verlegen, ein kleines Mädchen mit Sommerkleid und Zöpfchen. Um sie herum drei Kinder mit Trommel, Klanghölzern und Gitarre und ein Junge mit einem Stab in der Hand. Er schaut erwartungsvoll in die Runde und bittet händchenwinkend um Ruhe, die Aufführung beginnt.
"Alle meine Entchen!"
Eine kleine spontane Matinee mit allem was dazu gehört: Solistin, Dirigent, Orchester und Publikum. Eine Erzieherin sitzt aufmerksam dabei, aber greift höchstens ein, wenn der Dirigentenstab nicht in der Luft, sondern auf einem Kopf landet.
"Wir kommen dazu, versuchen das ein bisschen mit anzuleiten, auch mitzuspielen, aber die Kinder sollen einfach selbst die Musik entdecken."
Jeden Tag ruft ein Gong die Kinder zum Morgenkreis – alle vier Gruppen finden sich im großen Musikraum zusammen. Am Fenster steht ein Klavier, unzählige Instrumente liegen in den Regalen an der Wand, auf dem Boden, sind auf großformatigen Bildern zu sehen. Alles darf, alles soll probiert, gespielt und bespielt werden.
Das gemeinsame tägliche Singen gehört von Beginn an dazu, aber gleich nach der Eröffnung vor 10 Jahren saß nicht nur die Erzieherin am Klavier, erinnert sich die Leiterin Leonore Wüstenberg, sondern Lang Lang, der mit Daniel Barenboim zu einem Spontanbesuch vorbeikam.
"Und der hat dann tatsächlich auf meinem alten Klavier gespielt, und Herr Barenboim hat sich natürlich erkundigt, wie sieht das aus und was machen wir mit der Musik."
Alle paar Jahre ein Benefizkonzert von Barenboim
Weltstars wie Lang Lang oder Daniel Barenboim in einem Kindergarten – das klingt nach abgehobener Eliteeinrichtung. Ist es aber nicht. Die Eltern zahlen die einkommensabhängigen Berliner Kita-Beiträge, als "gute Berliner Mischung" bezeichnet die Erzieherin die Zusammensetzung des Kindergartens, 23 Nationalitäten, und keineswegs ausschließlich Akademiker. Aus 20 Kindern sind 60 geworden, der Kindergarten ist von Schöneberg nach Mitte gezogen, in einen elite-unverdächtigen Plattenbau. Ein Förderverein hat sich mittlerweile gegründet, alle paar Jahre gibt Barenboim ein Benefizkonzert, von der Stadt gibt es nicht mehr Geld als für andere Kitas auch.
"Wir spielen gerade Geige, wir lernen das gerade."
Kaum dass das letzte Lied im Morgenkreis verklungen ist, wird im Nebenraum schon wieder gefiedelt.
Drei Mädchen klemmen sich abwechselnd eine Achtel-Geige unters Kinn, umfassen ungelenk den Bogen und versuchen die Erzieherin zu imitieren. Es kratzt und quietscht – aber mit jedem Mal wird es besser, und es ist den 4-Jährigen durchaus ernst damit.
"Das ist ja das Normale, das in unserem Kindergarten geschieht, von morgens bis abends, solange die Kinder da sind."
Annemarie, kurze dunkle Haare, freundlich lächelndes Gesicht, ist seit vielen Jahren Erzieherin im Musikindergarten.
"Die Geige zum Beispiel – das war gestern das erste Mal, dass sie eine Geige ausprobiert haben und das war so ein Erfolg, dass sie Sarah angesprochen haben, wir wollen Geige spielen, noch einmal!"
"Und wo ist die Musik?"
Erziehung durch Musik – das war und ist das Credo des Musikkindergartens. Wie wirkt sich das aus, im alltäglichen Umgang.
"Es funktioniert hier viel über die Stimme, über das Verbale, die Kinder kommunizieren bedacht und behutsam miteinander, natürlich wird sich auch mal gekloppt, ist ja normal und natürlich, aber dadurch, dass wir jeden Tag singen und miteinander musizieren haben sie ein geschultes Gehör."
Ein zweiter Mozart war noch nicht unter den Kindern, aber viele, die begeistert in die Oper und klassische Konzerte gehen oder von sich aus ein Instrument lernen – und dabei bleiben. Manchmal schauen ehemalige "Musikkindergartler" für einen kleinen Auftritt vorbei und immer wieder treffen die Kinder sich in einer der musikspezialisierten Schulen Berlins wieder.
"Das war eigentlich auch der Auftrag von Herrn Barenboim. Dass die Kinder rausgehen und fragen – und wo ist die Musik?"
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