Musikfestival

Mit Wodka und Dosenravioli

Besucher des Melt!-Festivals schauen auf die Bühne.
Nicht ohne meinen Jutebeutel: Besucher des Melt!-Festivals © Melt! / Stephan Flad
Von Johannes Nichelmann · 18.07.2014
Zum Melt!-Festival in Sachsen-Anhalt werden in diesem Jahr 25.000 Besucher erwartet – ein wirtschaftlicher Faktor für die Region und ein Heidenspaß für Freunde elektronischer Indie-Musik. Bei Hygiene und Komfort müssen sie allerdings Abstriche machen.
Festivalbesucher: "Die haben so was von aufgerüstet! Es war alles voll mit Dosenravioli. Alles voll mit Bier und alles voll mit Wodka! Also die haben sich glaube ich schon sehr gut auf uns eingestellt. Das ging gut!"
Vor dem Supermarkt in Gräfenhainichen. Eine Szene aus dem Vorjahr in sachsen-anhaltinischen Stadt. 7500 Einwohner. Im Juli kommen für zwei Wochenenden zig Tausende dazu. In der letzten Woche fand das Hip-Hop-Festival Splash statt, jetzt kommt das Melt!. Eine Studie der Universität Chemnitz hat vor drei Jahren untersucht, wie viel Geld das Melt!-Festival in die Region rund um Dessau, Lutherstadt-Wittenberg und Gräfenhainichen bringt. Es sind 1,3 Millionen Euro. Hotels, Tankstellen und Gaststätten profitieren. Monika, Ende vierzig, ist gebürtig aus der Gegend und froh darum. Trotzdem sie spontan umdisponieren muss.
"Wir wollten bloß was zu trinken holen. Wir sind wieder umgekehrt. Haben den Wagen weggebracht. Jetzt fahren wir noch woanders hin. Mal gucken, ob wir da noch was kriegen. Ich meine, abgesehen vom Umsatz, den hier die Verkaufseinrichtungen machen, ist das schon ganz gut. Wir sind ja sonst hier wirklich eine verlassene Gegend."
Vor dem Haupteingang zum Zeltplatz. Es ist Vormittag, noch tritt niemand auf den Bühnen des Festivalgeländes auf. Eine der Taxifahrerinnen lässt gerade fünf voll bepackte Niederländer aussteigen. Sie kommen gerade vom Großeinkauf.
Taxifahrerin: "Ist ja ein guter Verdienst für die Taxifahrer hier in der Region. Ist schon toll, ja."
Das heißt würde das Melt! hier mal ausfallen, würden Sie das am Jahresende wirklich richtig merken?
Taxifahrerin: "Ich denke schon, ja. Würde man schon merken. Wenn jetzt nichts anderes wäre. Ja, klar."
Charakteristische Kulisse: Alte Kräne in buntes Licht getaucht
Charakteristische Kulisse: Alte Kräne in buntes Licht getaucht© Melt! / Stephan Flad
Für die einen ein gutes Geschäft, für die anderen der Eintritt ins Paradies. Gutes Essen, Hygiene und Alltag spielen keine Rolle mehr. Auf Haupt- und Nebenbühnen, dem Sleepless-Floor und der Seebühne treten namhafte Acts auf. Mit dabei in diesem Jahr auch die Isländer von FM Belfast. Das Melt! wächst von Jahr zu Jahr, bekannte Künstlerinnen und Künstler kommen gerne unter die riesigen Kohlebagger. Sie bilden eine atemberaubende Kulisse. Im letzten Jahr war Pete Doherty dabei. Dieses Mal wird die Performance von Portishead als das Highlight gehandelt.
Seit fünf Jahren fährt ein Zug von Köln zum Festivalgelände. Für knapp 140 Euro Aufpreis sind Anreise und Unterkunft sicher. Platz für über 700 Menschen. Ein Party-Waggon mit Dauerbeschallung ist dabei. Veranstalter Philipp zeigt mir den Club auf Schienen.
Hier kommt schon mal die Reihe mit den ganzen Abteilen. Ich nehme an, das sind die Schlafabteile hier drin.
Philipp: "Das sind alles Schlafabteile. Man kann halt die Sitzbänke, sind halt sechs Sitzplätze drin, die kann man umklappen und dann hat man halt drei Stockbetten übereinander. Also sechs Leute schlafen in einem Abteil."
Mit dem Zug von Köln zum Melt!
Charlotte und ihre Freunde haben sich eingebucht. Kaum mit anzusehen, wie sie sich in das Mini-Abteil des 80er-Jahre Zugs zwängen.
Zugreisende: "Wir haben mehr Komfort, wir haben ein festes Dach, wir haben Pritschen. Pritschen sind wahrer Luxus, wenn man Luftmatratzen kennt. Wir sind relativ geschützt vor Insekten, was auch ein definitiver Vorteil ist, und lüften ist ein bisschen, ne ..."
Dieser Raum ist wahnsinnig klein. Und es gibt sechs Plätze und man darf nicht größer als 1,75 Meter sein, um hier drauf zu schlafen.
Bewohner: "Absolut. Richtig! Ich bin 1,83 Meter, und ich bin neun Zentimeter, vier Zentimeter, wie auch immer, zu groß."
Entsteht so ein bisschen Lagerkollar? Wie kommt Ihr auf diesem kleinen Platz so zurecht?
Zugreisende: "Wir gehen untern Zug. Regelmäßig. Und schatten uns dort und genießen die Freiheit."
Im Schatten lässt es sich gut grillen: Musikfreunde auf dem Weg zum Melt!
Im Schatten lässt es sich gut grillen: Musikfreunde auf dem Weg zum Melt!© Melt! / Stephan Flad
Ein Gefühl, das viele Melt!-Gänger in diesem Jahr zu dem DJ-Set von Alle Farben bekommen können. Für die einen sind seine Sounds schon längst schnöder Mainstream, für die anderen genau das Richtige. Das Melt!, schon lange verschrien als "Hipster mit Jutebeutel"-Veranstaltung, will eben alle erreichen. Das Festival ist schon lange angekommen bei der Masse.
Rund um den Zeltplatz entsteht ein Disneyland. Gewinnspiele, Lounges von Bierherstellern und Aktionen wie diese: Strampeln auf fest installierten Fahrrädern. Damit es Strom für den DJ gibt. Was ist denn der Zweck dieser Aktion?
Max, DJ: "Die Festivals grüner machen und ähm... ich denke ähm... es ist eine Werbeaktion."
Marcel Dettmann: "Mach mal Foto, wenn ick mit Dave abschlage oder so, weeste? Dann könn' wa Dave mal featuren, weeste?"
Momente der Schwerelosigkeit
Drei Uhr nachts. Marcel Dettmann ist einer der Stars in der Welt des Minimal-Elektro. Er steht vor vielleicht 3000 Leuten. Hat einen Koffer voller Schallplatten dabei, bewegt die Masse per Knopfdruck. Es sind diese Momente der Schwerelosigkeit. Der Schwarm surrt über das Gelände.
Marcel Dettmann: "Also am Anfang suchst Du erst einmal so eine Connection zu den Leuten. Es geht manchmal ganz schnell. Kann eine Platte reichen. Und manchmal dauert es halt ein bisschen länger. Du bist mehr oder weniger Teil des Ganzen aber eben auch irgendwie der Dirigent."
Dirigieren wird in diesem Jahr unter anderem Moderat. Die Berliner Gruppe, eine Kollaboration des Musikers Sascha Ring von Apparat und dem DJ-Duo Modeselektor, werden am Sonntagabend das Melt! mit ihren Sounds krönend abrunden.
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