Musikfest Berlin

Töne gevierteilt

Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg © Klaus Polkowski/Musikfest Berlin
13.09.2015
Gipfeltreffen der Orchester: Das Musikfest Berlin bringt im September die bedeutendsten Klangkörper in die Hauptstadt. Heute: François-Xavier Roth und das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg mit einer Expedition in neue Harmonien.
Alljährlich werden zum Saisonauftakt in Berlin die orchestralen Kräfte gebündelt: Die Berliner Festspiele und die Berliner Philharmonie richten das Musikfest Berlin aus, das in dieser Form – als Nachfolgerin der Berliner Festwochen – nun zum 11. Mal stattfindet. Hier treffen die Klangkörper der Hauptstadt auf die führenden Orchester der internationalen Szene. Doch geht es nicht in erster Linie um eine sinfonische Leistungsschau, sondern um Konzepte. Im Gegensatz zu vielen anderen Festivals dieser Größenordnung setzt Programmchef Winrich Hopp auf klare dramaturgische Linien, vertritt konsequent das Erbe der Moderne und stellt überraschende Querbezüge her.
In diesem Jahr wird ein nordisches Jubiläum gefeiert: Der 150. Geburtstag des dänischen Komponisten Carl Nielsen prägt Teile des Programms. Die naheliegende Parallele zum Finnen Jean Sibelius, an dessen 150. Geburtstag im Dezember dieses Jahres erinnert wird, verfolgt das Programm jedoch überhaupt nicht. Stattdessen wird Nielsen mit Arnold Schönberg ein etwas jüngerer Zeitgenosse gegenübergestellt – beide Komponisten kannten und schätzten einander. Zugleich verdeutlicht diese Kombination, wie extrem unterschiedlich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, am Ausgang der langen romantischen Epoche, komponiert werden konnte. Eine geradlinige Entwicklung zur Moderne – und damit eine Grundidee der ästhetischen Debatte der Nachkriegszeit – lässt sich umso weniger erkennen, je mehr man die musikalischen Stränge des 20. Jahrhunderts verfolgt. Schönberg wiederum wird im Festivalprogramm eine dritte Persönlichkeit zur Seite gestellt, die seit jeher ein Lieblingskomponist nicht nur des Musikfestes Berlin ist: Gustav Mahler, ein Visionär der musikalischen Moderne. Als Medienpartner dokumentiert Deutschlandradio Kultur das Musikfest Berlin in lockerer Folge mit der Übertragung von acht Sinfoniekonzerten, vier Kammerkonzerten und dem „Quartett der Kritiker".
Das heutige Programm, sicherlich das ungewöhnlichste des gesamten Festivals, konzentriert sich auf ein frühes Hauptwerk Schönbergs: Die kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert entstandene Tondichtung „Pelleas und Melisande" op. 5 löste einen Skandal aus, der jetzt nicht mehr nachvollziehbar ist. Das einsätzige Großwerk erscheint wie eine ins Riesenhafte gesteigerte Schwelgerei eines unverbesserlichen Wagnerianers – freilich dank eines bis ins letzte Detail ausgefeilten, hochkomplexen Tonsatzes. Auf eine ganz eigene Weise komplex sind die einleitenden Stücke, in denen Ivan Wyschnegradsky und Georg Friedrich Haas mit wesentlich kleineren Tonschritten arbeiten als denen, an die wir gewöhnt sind. Ein Halbtonschritt lässt sich vom Ganztonschritt unterscheiden, ein Vierteltonschritt ist gerade noch nachvollziehbar – doch was geschieht mit unserem Gehör, wenn wenn wir mit sechs im Zwölfteltonabstand gestimmten Klavieren konfrontiert sind...?
Musikfest Berlin
Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 7. September 2015
Ivan Wyschnegradsky
„Arc-en-ciel" für sechs im Zwölfteltonabstand gestimmte Klaviere op. 37 / op. 52 a
Georg Friedrich Haas
„limited approximations" für sechs im Zwölfteltonabstand gestimmte Klaviere und Orchester
Arnold Schönberg
„Pelleas und Melisande". Sinfonische Dichtung op. 5
Christoph Grund, Florian Hoelscher, Klaus Steffes-Holländer, Akiko Okabe, Matan Porat, Julia Vogelsänger, Klaviere
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg
Leitung: François-Xavier Roth