Musikalischer Protest in Russland

Wut, Schmerz und Videos

05:49 Minuten
Eine Frau mit blauen Haaren und roter Jacke, ein Mann mit dunklem Anorak und ein weiterer Mann mit grünem Mundschutz und Wollmütze haben sich zu einer Menschenkette untergehakt. Auf den Jacken sind Schneeflocken.
Protest in Moskau Ende Januar 2021. Die nicht genehmigte Demonstration findet als Solidaritätskundgebung für den in Haft sitzenden Oppositionellen Alexej Nawalny statt. © picture alliance/dpa/TASS | Valery Sharifuli
Von Thomas Franke · 09.02.2021
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Trotz permanent drohender Polizeigewalt gibt es weiterhin eine musikalische Opposition in Russland. Ein neues Video von "Pussy Riot" sorgt im Netz für Aufsehen. Auf Tiktok kursieren Solidaritätsvideos für den in Haft sitzenden Oppositionspolitiker Nawalny.
In der U-Bahn zischt mich eine Ratte an: Ketzer.
Auf dem Polizeirevier stempeln sie in meinen Pass: Ketzer.
Auf meinem unrasierten Gesicht: Ketzer.

Das singen die Mitglieder der russischen Punkrockband und Performancegruppe "Pussy Riot" in ihrem neuen Video zum Song "Besit", das im Netz für Aufsehen sorgt.
Grell geschminkte Gestalten springen wild in einer dunklen Halle herum. Die Kameras ruckeln, die Schnitte sind rasant.
"Besit", ruft Nadjeschda Tolokonnikowa, es mache sie wütend. Wütend, mit Polizeiknüppeln geschlagen zu werden.
Sie widme den Song dem Schmerz, den queere Menschen und Feministinnen wie sie in Russland empfänden, wenn man sie zu Staatsfeinden erkläre, hat Tolokonnikowa ihre Absicht formuliert. 2012 war die Aktivistin und Sängerin von Pussy Riot verhaftet worden, weil sie in einer Performance in der Hauptkirche Russlands die Allianz zwischen Putin und Kirche kritisiert hatte.

Regierungstreue Rapper kassieren Dislikes

Den Machthabern gefällige Musik hört sich so an. Die Rapper Timati und Guf haben ihren Song "Moskwa" der Schönheit der Hauptstadt gewidmet. Und so fliegen in ihrem Videoclip die Kameras über die Straßen von Moskau. Hier die goldenen Kuppeln der Christerlöser-Kathedrale, die verglasten Hochhausfassaden von Moskau City, das Bolschoi-Theater erstrahlt im Sonnenglanz, Sowjetsterne und Denkmäler für die Eroberung des Kosmos.
Das Ganze wirkt auf den ersten Blick wie ein Werbefilm. Und die Liedzeilen sind ironiefrei gemeint:
Moskau ist nicht die Stadt,
die Schwulenparaden zulässt.
Und dann rappen sie noch, dass sie nicht zu Demonstrationen gehen. Das Video war ein Flop. Eineinhalb Millionen Dislikes kassierte der regierungsfreundliche Song bei Youtube. Dann verschwand er aus dem Netz, nur um kurz darauf wieder aufzutauchen, hochgeladen nun von jemand anderem, damit man den Song noch einmal disliken könne. Die Macher entfernten ihn schnell aus dem Netz.

Immer wieder Schwierigkeiten für Noize MC

Der russische Sänger und Rapper Noize MC hingegen ist beliebt, hat 20 Millionen Aufrufe, eine Million Likes, 25.000 Dislikes, und er hat die in Russland üblichen Schwierigkeiten aufzutreten. Mal fällt der Strom aus, mal gibt es ganz zufällig eine Drogenrazzia in dem Club, in dem er gerade spielt.
"Alles wie bei normalen Leuten" heißt der Song.

Zwei Polizisten kommen auf einen Gefangenen,
singt Noize MC.
Damit die Fremden dich fürchten, musst du die eigenen Leute stärker schlagen.
Auf Tiktok unterlegen russische Jugendliche ihre Solidaritätsvideos für den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny mit DEM Protestsong der 80er Jahre: Peremen – deutsch: Veränderungen, von Viktor Zoi.
Der Fernseh-Star Irina Trejman, bekannt durch die Moderation von Musikwettbewerben, schnitt Fotos beliebter Schauspieler*innen und Sänger*innen zusammen, die, wie sie schrieb, "keine Angst haben". Ihre Bildmontage wird ebenfalls von dem Song von Zoi begleitet.
Mit dem Song schlagen diese Aktionen den Bogen zu den Protestbewegungen, die in Russland seit Jahrhunderten immer wieder niedergeschlagen werden. Wie auch Arbeitslager für Andersdenkende eine widerliche Kontinuität haben.

Song schnell Nawalny gewidmet

Auch der Rapper Noize MC hat sich öffentlich für die Freilassung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny ausgesprochen. Dessen Rückkehr nach Russland bezeichnet er als Sieg. Die musikalische Opposition lässt sich nicht unterkriegen.
Auch Pussy-Riot-Frontfrau Nadeschda Tolokonnikowa und ihre Mitstreiter haben ihren Song "Besit" ganz schnell Nawalny gewidmet.
Am Ende des wilden Musikclips gibt es ein wenig Bonusmaterial.
"Im ganzen Gebäude wird der Strom abgestellt. Uns wurde gesagt, dass die Dreharbeiten verboten sind", sagt Tolokonnikowa in die Kamera. Dann kommt ein Polizist, untersetzt und dick angezogen. Fellmütze.

Am Ende nehmen die Polizisten 13 Performer fest. Routine für Tolokonnikowa. Kein Wunder, dass sie wütend sind.
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