Musikalische Splittergruppe

Von Gerhard Richter · 12.02.2010
Im Jahr 2005 hat sich in der Brandenburger Stadt Kyritz vom großen Kirchenchor ein kleine Gruppe abgespalten: Manus Mulierum - eine handvoll Frauen. Eigentlich wollten sie nur einem Freund ein Geburtstagsständchen singen. Doch weil das so schön war, machten sie einfach weiter.
Die uralten Holzdielen knarren, wenn die sechs Frauen im Gemeinderaum der St. Marienkirche vor dem Klavier ihre Notenständer aufbauen. Vor der Wand ein schlichter Altartisch mit Holzkreuz, Kerzen und gelben Rosen. Christine, Bärbel, Solvejg, Kerstin, Ellen und Luise. Petra ist krank. Alle zwischen Ende 30 und über 50.

Seit fünf Jahren führen Manus Mulierum quasi ein Doppelleben: Dienstags proben sie fast alle mit der knapp 40-köpfigen Kyritzer Kantorei, und alle zwei Wochen Donnerstags, singen sie hier im kleinen Kreis.

Luise Bernsdorf: "Die Kantorei war der große Chor und wir waren das Chörchen."

Solvejg Segebarth: "Es gab Anfangs etwas Ärger in der Kantorei, so: 'der elitäre Chor', aber wir haben uns im Grunde auf ein ganz anderes Repertoire gestürzt. Und das ist dann im Laufe der Zeit so eher ein freundschaftliches Verhältnis geworden, so. Also nicht, ich geh heut' zum Chor, sondern ich treffe heut' meine Freunde."

Solvejg Segebarth singt im Sopran. Ab und zu setzt sie sich ans Klavier und gibt den Ton an. Seit zehn Jahren nimmt sie Gesangsunterricht am Rostocker Konservatorium. Auf eine unspektakuläre Art ist sie die Leiterin.

"Drei Proben pro Tag dann und zwischendurch noch Spaß haben und Suppe kochen, das macht schon richtig Arbeit. Da hab ich dann so 'nen Spitznamen 'die Schinderin' bekommen. Ich weiß gar nicht wieso. Ihr wolltet das so."

Tagsüber arbeitet Solvejg Segebarth im Straßenbauamt, abends übersetzt die Frau mit der blonden Lockenmähne die neuen Lieder - mühsam mit Wörterbuch und Übersetzungsmaschine im Internet. Alle sollen wissen, was der italienische Text aus dem 16. Jahrhundert bedeutet.

"Crudeltare, das ist ein schickes Wort, sprecht mal alle: "crudeltare", das ist die Grausamkeit. Ist das gruselig."

Nach einer halben Stunde klingt das neue Lied schon mehrstimmig, ohne die Stütze des Klaviers.

Luise Bernsdorf: "Also wir sind uns jetzt sicher genug, dass wir das wirklich auch außerhalb hintragen können, also wir waren uns lange Zeit nicht sicher genug. Wir haben uns lange Zeit ausprobiert und jetzt können wir auch andere Rahmen besingen."

Luise Bernsdorf ist die Managerin. Sie koordiniert die Termine von Manus Mulierum. Zuerst ist der Chor nur in Kirchen aufgetreten, immer a capella, dabei tragen alle Schwarz mit Schals in verschiedenen Rotschattierungen. Zwischen den Liedern - gut überlegte Ansagen. Auftritte aus einem Guss.

"So langsam spricht sich das rum, also wir werden so langsam auch gefragt. Also wir singen zu einem großen Frauentagsfest, das hat uns großen Spaß gemacht, weil da auch gemischtes Publikum war, also es entwickelt sich grad ganz viel."

Fast 30 Lieder sind in dem schwarzen Ordner gesammelt. Musik aus sechs Jahrhunderten. Von Monteverdi bis Comedian Harmonists, passend für unterschiedlichste Anlässe. Am allerliebsten singen die Frauen die Lieder von Fanny Hensel, der weithin unbekannten, aber nicht weniger begabten Schwester von Felix Mendelson-Bartoldy.

Solvejg Segebarth: "Die hat so schöne Stücke geschrieben, die für uns als Frauenchor richtig auch gut passen, also wir müssen nichts umschreiben. Da sind keine Stimmen zu tief oder nicht machbar. Das hört man einfach auch, dass sie die wirklich geschrieben hat für Frauenstimmen."

Das Repertoire haben die Frauen selbst ausgesucht, erzählt Ellen Prill. Sie arbeitet in der Gebäudewirtschaft.

Ellen Prill: "S'ist eigentlich so, dass jeder sagt, das gefällt mir, das würde ich gern singen und dann gucken wir, ob's dafür gute Sätze gibt und ob die anderen damit einverstanden sind und dann probieren wir das."

Der Name des Chores, Manus Mulierum, ist übrigens erst im Laufe der Jahre entstanden und hat eine eigene Geschichte. Der ursprüngliche Name war schlicht: "Weiberhaufen".

Luise Bernsdorf: ""Wir haben gedacht, wenn wir uns Weiberhaufen nennen, dann nehmen wir uns selber nicht so ernst, wie wir genommen werden wollen. Und dann haben wir gesagt, dann lassen wir uns diesen Namen mal ins Lateinische übersetzen, also Manus Mulierum eine Handvoll Frauen oder frei übersetzt – Weiberhaufen."

Die Probe ist zu Ende, Luise Bernsdorf klappt schnell den Notenständer zusammen. Alle müssen morgen früh aufstehen.

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.