Musik

Zu harte Hämmerchen

Von Christoph Vratz · 14.02.2014
Sie suchte ein Klavier, doch es wurde ein Flügel. Die Journalistin Perri Knize schreibt in ihrem neuen Buch, wie aus der anfänglich unscheinbaren Suche nach einem Instrument für ihr Hobby eine atemberaubende Forschungsreise nach dem idealen Klang wird.
Plötzlich erwacht ihr alter Kindheitstraum. Sie wollte mal Pianistin werden. Doch das liegt rund 40 Jahre zurück. Inzwischen arbeitet Perri Knize als Journalistin, sie schreibt Essays und Artikel zu Umwelt- und anderen musikfernen Themen. Doch der Wunsch, wenigstens wieder ein bisschen mit dem Klavierspiel zu beginnen, nagt an ihr. Knize beginnt mit der Suche nach einem geeigneten Klavier. Ihr Geldbeutel lässt keinen Spielraum für einen Flügel. Oder doch? Mit dem Klang aller Klaviere, die sie anspielt, ist Knize nicht zufrieden, schließlich entdeckt sie in New York einen Flügel: Der ist es, der soll, der muss es sein!
Als das Instrument Wochen später geliefert und in ihrer Wohnung im fernen Massachusetts aufgebaut wird, weicht die Vorfreude schnell blankem Entsetzen: Das ist nicht ihr Instrument! Dieser Flügel klingt anders! Das glockenhelle Glitzern ist muffig, die ehemals so aparte Tiefe dröhnt dumpf. Eine Odyssee beginnt. Knize lässt zuerst den ortsansässigen Klavierstimmer kommen, doch der kann nicht wirklich helfen. Was ist passiert? Ein Transportschaden? Hat die Kälte unterwegs dem Instrument so sehr zugesetzt?
Knize zieht alle Register der Fehlerforschung, bei der ihr vor allem eines hilft: ihr Gedächtnis, ihre ungetrübte Vorstellung davon, wie der Flügel einmal geklungen hat. Sie konferiert mit Klavierbauern, Profi-Tüftlern, sie bereist Klaviergeschäfte und holt sich Anregungen von allen Seiten. Doch der alte Klang will sich nicht wieder einstellen.
Schließlich fliegt sie nach Europa, in die Werkstätten, wo ihr Flügel gebaut wurde: nach Braunschweig zu Grotrian-Steinweg! Dort öffnet man ihr alle Türen, die dem normalen Besucher verschlossen bleiben. Knize steckt mit ihrer Suche nach dem idealen Klang alle an. Die Geschichte hat ein Happy-End. Knize darf am Ende auf einem Flügel spielen, dessen Klang nicht zu hundert Prozent dem entspricht, in den sie sich einst verliebt hatte – und doch kommt er diesem sehr nahe.
Kleinigkeiten bedeuten Welten für den Musiker
Knizes Tatsachenbericht hat einige Längen, zugegeben. Wenn die Autorin zu sehr ins Detail geht, wenn sie zum Dozenten für Klavierbau-Technik wird, wünschte sich der Leser mitunter kleinere Raffungen. Aber das sind alle statthaften Einwände. Denn über weite Strecken ist dieses Buch packend, schillernd, faszinierend. Es zeigt, dass scheinbare Kleinigkeiten für den Musikfreund Welten bedeuten können: Wie sollen die Quinten aufeinander abgestimmt sein? Wie müssen die Intervalle verteilt sein? Was nützt eine perfekte Stimmung, wenn die Hämmerchen zu hart sind?
Perri Knize zeigt, wie man selbst als Laie tief in eine Materie vordringen kann, von der sie anfangs selbst keine Ahnung hatte. Doch wird diese Forschungsreise ihr Leben bereichern. Auch wer dieses Buch gelesen hat, wird sich anschließend Klaviere genauer auf ihren Klang hin prüfen, wird sich aufmerksamer an sein eigenes Instrument begeben als zuvor. Man beginnt automatisch, anders zu hören, entschlossener abzuwägen. Begriffe wie "Klirren", "Wummern", "Jaulen" bekommen letztlich eine neue Bedeutung.

Perri Knize: Der verlorene Klang. Die Geschichte einer Leidenschaft
dtv, München 2013
536 Seiten, 16,90 Euro