Musik als Leidenschaft

29.11.2007
Im Mittelpunkt des Buches "Blue Notes" steht Moe, Sohn eines italienischen Gutsbesitzers, der in die USA emigriert war, aber nach Europa zurückgekommen ist, als sein Vater und seine Frau starben. Er hat in Italien ein weitläufiges Landgut geerbt und einen Sohn, mit dem er wenig anzufangen weiß. Irgendwann wird die Musik für ihn zum Lebensinhalt.
Am liebsten wäre Yann Apperry Musiker geworden, aber dafür reichte es nicht. So wurde er Schriftsteller - nicht zuletzt aus Trotz gegen einen Lehrer, der auf der Schule einmal behauptete, er habe ein Gedicht abgeschrieben, obwohl es sein eigenes war.

Eine tiefe Verletzung, die ihn erst recht schreiben ließ. Sein erster Roman verschwand in der Schublade, doch bereits sein zweiter wurde veröffentlicht und sein dritter "Diabolus in musica", der jetzt auf Deutsch als ‚Blue Notes’ erschienen ist, bekam im Jahr 2000 völlig überraschend den renommierten französischen Literaturpreis "Prix medicis". Vor dem anschließend ausbrechenden Medienrummel floh Yann Apperrry nach Hawaii.

Seine Musikleidenschaft hat der Schriftsteller in seinen Protagonisten Moe Insanguine verlagert, einen jungen Italiener, der auf einem Landgut ziemlich wild aufwächst, denn sein Vater Otello kümmert sich kaum um ihn. Und wenn er ihn wahrnimmt, dann verprügelt er ihn maßlos. Der Vater ist mit sich und der Welt im Unfrieden. Nicht nur hat er bei der Geburt seines Sohnes seine Frau verloren. Zur gleichen Stunde starb auch sein Vater. Der hat ihm ein großes Landgut in Italien hinterlassen. Schweren Herzens kehrt Otello aus Chicago nach Italien zurück, um sein Erbe anzutreten. Seinen Kummer ertränkt der wortkarge Vater Ottelo fortan in Alkohol. Den Sohn prügelt er für nichtige Vergehen bis aufs Blut. Moe muss sich vor ihm regelmäßig verstecken. Da hört er eines Tages die Orgel einer kleinen Kirche, die auf einem Hügel des weitläufigen Geländes steht. Die Musik fasziniert ihn unglaublich. Der Organist nimmt sich des Jungen an, führt ihn in die Musik ein, bringt ihm das Klavierspiel bei. Moe zeigt enormes Talent, das ihn später auf das städtische Konservatorium führen wird. Doch vorher entdeckt er in seinem kleinen Kofferradio zufällig den Jazz und verfällt den Klängen Duke Ellingtons und anderer Jazzheroen.

Ausführlich erzählt Yann Apperry von der Musik. Bisweilen trumpft das Buch ein bisschen zu stark mit den Musikkenntnissen seines Protagonisten auf. Moe jedenfalls flüchtet in die Welt der Musik, wenn er nicht mehr weiter weiß. Er liebt sie mit ganzer Leidenschaft und er leidet an ihr, denn so sehr er sich auch müht, Eigenes zu schaffen, die Noten wollen sich nicht zu jenem Stück fügen, das ihm vorschwebt. Als es ihm schließlich gelingt, hat die Musik mit dem Titel "Ballade ad vitam aeternam" , die Ballade zum ewigen Leben, dramatische Folgen. Sie bringt seinem besten Freund den Tod.

Moe, der uns seine Geschichte im Rückblick erzählt, ist ein Getriebener und das liegt auch daran, dass er mit seiner Vergangenheit hadert, d.h. er kennt sie nicht und sucht verzweifelt nach Erklärungen, die sich ganz allmählich im Roman auftun und teilweise sehr skurril daherkommen. Er spürt in sich das widerstreitende Erbe seiner beiden Herkunftskulturen, der amerikanischen und der italienischen, verkörpert auch in seiner Liebe zum Jazz und zur Klassik.

Der Protagonist trägt autobiographische Züge, denn auch Yann Apperry war damals auf der Suche nach seiner Identität. Der Vater ein Bretone, die Mutter eine Kalifornierin, fühlten sich fremd in Paris. Ihr Sohn wuchs mit Englisch auf, bevor er Französisch lernte. Bis heute fühlt er sich nirgends richtig zuhause. Als er den Roman schrieb, quälte ihn das. Vielleicht erklärt das auch eine bestimmte Zerrissenheit, die den Roman kennzeichnet.

Er wirft die wiederkehrenden großen Themen der Literatur auf: Liebe und Tod, Trauer und Wut, Freundschaft und Egoismus, Besessenheit, Selbsterkenntnis. Moe verliert seine zwei großen Lieben, bei denen er jene Zärtlichkeit, Zuneigung und Wärme gefunden hat, die ihm sein Vater verweigerte. Unfähig, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, vergibt er die Chance, seinen Vater kurz vor dessen unglücklichem Tod zurückzugewinnen. Auch seinen alten Lehrer lässt er schmählich im Stich. So bleibt er schließlich alleine zurück, flieht aufs Land in eine Jagdhütte, die ihm der Organist hinterließ, um seine Geschichte aufzuschreiben und ein neues Werk zu schaffen: diesmal der Liebe und dem Leben gewidmet, nicht der Ewigkeit des Todes.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Yann Apperry: Blue Notes,
aus dem Französischen von Nathalie Mälzer-Semlinger,
Aufbau Verlag Berlin 2007, 300 Seiten, 19,95 Euro