Musica Nova widmet sich englischer Musik

Neue Klänge von der Insel

Der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher
Der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher © Xavier Miró
21.02.2017
Englische Kammermusik der letzten Jahrzehnte stand bei diesem Konzert unter Leitung Steffen Schleiermachers auf dem Programm. Vom spätromantischen Exzentriker Lord Berners reichte das Spektrum bis zum Avantgardisten Brian Ferneyhough, mit allen Schattierungen der Musik bekannter Namen wie Thomas Adès, Mark-Anthony Turnage oder Harrison Birtwistle "in between".
Dieses Konzert in der Leipziger Reihe Musica Nova war schon lang geplant und korrespondierte mit einem Schwerpunkt der Gewandhauskonzerte im Großen Saal Ende Januar Anfang Februar - dennoch wirkte der musikalische Abend unter dem Stichwort "England!" wie ein zeitgeschichtlicher Kommentar zum Brexit. Gerade für die Musik- und Kulturszene sind isolationistische Bestrebungen in der Politik stets mit lästigen bis verheerenden Folgen verbunden. Aber weder diese Folgen des Brexit und die der Anlehnung Englands an die USA Trumps noch die Auswirkungen des dumpf-nationalistischen Populismus auf das kreative Schaffen der Komponistinnen und Komponisten auf den britischen Inseln war das Thema dieses Konzerts. Der Abend im Mendelssohn-Saal des Leipziger Gewandhauses sollte vielmehr ein Streifzug sein durch die extrem vielfältige Welt zeitgenössischen Komponierens in England.
Die Auswahl, die Steffen Schleiermacher mit seinen musizierenden Kolleginnen und Kollegen vom Ensemble Avantgarde getroffen hat, ist subjektiv und erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Aber sie kann für sich reklamieren, unterhaltsam und bildend zugleich zu sein. Man erfährt etwas darüber, wie man heutzutage Shakespeare vertont (in Adès' Court Studies zu "Der Sturm"), wie ein exaltiert komponierender Baron namens Gerald Hugh Tyrwhitt-Wilson vor einhundert Jahren die interdisziplinaren Kunstrichtungen (auch Gesamtkunstwerke genannt) vorbereitet hat, wie man aus Spaziergängen mit seinen Kindern Musik macht (Richard Ayres), wie man Musikerinnen und Musiker beim Einstudieren neuester Werke durch Kompliziertheit zum Schwitzen oder Verzweifeln bringt (Brian Ferneyhough), wie man die Zuhörerinnen und Zuhörer zum Lachen oder zum Protestieren animiert, indem man betont naiv und tonal komponiert (Howard Skempton) oder wie man Musik der Musik willen komponiert, also weder durch besonderen Extremismus auffällt noch sich selbst zu wichtig nimmt (die "Berühmtheiten" Thomas Adès, Mark-Anthony Turnage und Harrison Birtwistle, genauso der weniger bekannte Richard Emsley).
Extremismus, Verzweiflung, durchgeknallte Adlige, wiederholten Shakespeare, solides Handwerk, simplen Humor - was lieben wir nicht alles an unseren europäischen Nachbarn auf der fernen Insel. An diesem Abend werden all diese Eigenschaften musikalische erfahrbar.
Gewandhaus Leipzig, Mendelssohn-Saal
Aufzeichnung vom 1. Februar 2017
Thomas Adès
"Court Studies from The Tempest" für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier
Harrison Birtwistle
"Verses" für Klarinette und Klavier
Gerald Hugh Tyrwhitt-Wilson
"Three Funeral Marches" für Klavier
Howard Skempton
"Gemini Dances" für sechs Instrumente (Auszüge)
Richard Emsley
"Snatches" für Flöte, Oboe, Vibraphon und Klavier
Brian Ferneyhough
"Four Miniatures" für Flöte und Klavier
Mark-Anthony Turnage
"True Life Stories" für Klavier
Richard Ayres
"No. 41 (Five Memos for Eva)" für sechs Instrumente

Ensemble Avantgarde:
Ralf Mielke, Flöte
Undine Röhner-Stolle, Oboe
Matthias Kreher, Klarinette
Axel Andrae, Fagott
Felix Anton Lehnert, Schlagzeug
Josef Christof, Klavier
Andreas Winkler, Ruth Petrovitsch, Violine
Thomas Bruder, Violoncello
Bernd Meier, Kontrabass
Leitung, Klavier und Moderation: Steffen Schleiermacher