Museumsumbau in Osnabrück

Ein Ort mit Geschichte und einem umstrittenen Namen

09:31 Minuten
Die "Villa Schlikker" in Osnabrück.
250 Autoren, Künstlern und Wissenschaftler sind gegen die Umbenennung der "Villa Schlikker" in Osnabrück. © picture alliance/dpa/Friso Gentsch/
Moderation: Axel Rahmlow · 13.07.2020
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In Osnabrück wird seit Monaten um einen Museumsumbau gestritten: Die Villa Schlikker, früher das lokale Hauptquartier der NSDAP, soll zu einem "Friedenslabor" werden und in Hans-Calmeyer-Haus umbenannt werden. Der richtige Name für einen solchen Ort?
Die große Frage in Osnabrück lautet: War Hans Calmeyer ein Held, der Tausende Juden vor der Ermordung durch die Nazis gerettet hat – oder ein Bürokrat, der tief in die nationalsozialistische Vernichtungspolitik verstrickt war?
"Er war schon eindeutig aufseiten der Juden, das bestätigen auch alle Zeugen", sagt der Calmeyer-Biograf und CDU-Bundestagsabgeordnete Mathias Middelberg. "Ich glaube, er hat alle Möglichkeiten genutzt, den Menschen zu helfen und hat zu Anfang des Krieges wohl auch gesehen, dass er eben sehr viele retten kann."
Andere sehen Calmeyer deutlich kritischer: Eine Gruppe von knapp 250 Autoren, Künstlern und Wissenschaftlern hat eine Petition gestartet. Darin heißt es:
"Er beteiligte sich aktiv an der Vernichtung von mindestens 104.000 in den Niederlanden ansässigen Juden. Daher kann man ihn schwerlich ohne Vorbehalt als Helden bezeichnen. Er funktionierte innerhalb des Systems und handelte gemäß den Richtlinien des Systems."

Deportationen veranlasst

Hans Calmeyer, geboren 1903, studierte Jura – schon sein Vater war Richter. Bereits vor dem Krieg wurde Calmeyer Wehrmachtssoldat, 1940 war er beim Einmarsch in die Niederlande dabei. Kurz darauf wechselte der Volljurist zur deutschen Besatzungsbehörde in Den Haag.
Er beschrieb seine Aufgabe später so: "Im Juni 1941 fiel der Abteilung Innere Verwaltung die Entscheidung in Zweifelsfällen nach der Meldeverordnung für Juden Numero 6 vom 10. Januar 1941 zu."
Calmeyer registrierte die niederländischen Juden. In Zweifelsfällen musste er entscheiden, wer als Jude galt. Dabei akzeptierte er auch offensichtlich gefälschte Abstammungsnachweise, durch die Juden zu sogenannten Halb- oder Vierteljuden oder Ariern wurden – und somit den Vernichtungslagern entgingen.
So bewahrte Calmeyer mehr als 2.500 niederländische Juden vor dem Tod. Aber er ließ auch nicht alle Nachweise gelten: Etwa 1200 Juden ließ er in Konzentrations- und Vernichtungslager deportieren.

Ambivalenz bleiben

Die Initiatoren der niederländischen Petition verlangen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Bundesregierung solle die bereits zugesagten Fördergelder von 1,7 Millionen Euro für den Umbau der Villa Schlikker zurückziehen, falls diese in Hans-Calmeyer-Haus umbenannt werde.
Der wissenschaftliche Beirat des Projekts hat nun entschieden, dass eine Agentur bis 2023 an der Neukonzeption arbeiten soll. Im Zentrum soll dann Hans Calmeyer stehen.
Niemand in dem Beirat sehe Calmeyer als Held, sagt der oberste Vertreter Osnabrücks im Bereich Kultur, der Erste Stadtrat Wolfgang Beckermann. Man sehe da eine "gewisse Ambivalenz".

Gesamtbewertung über Calmeyer

Der wissenschaftliche Beirat werde weiter beraten und dazu auch Information in Yad Vashem einholen, weiterhin nachforschen und auch die Petenten anhören. Der Beirat habe zudem entschieden, ein wissenschaftliches Symposium abzuhalten, so Beckermann.
Es gehe dann um eine "Gesamtbewertung in Abwägung aller Aspekte", sagt der Stadtrat. Mit dem Museumsumbau solle schließlich auch ein pädagogischer Lernort entstehen.
(sed)
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