Museumslandschaft in Veränderung

Nationalgeschichte löst sich auf – aber nicht überall

11:05 Minuten
Blick auf die Fassade des Deutschen Historischen Museums, DHM, in Berlin
Deutsches Historisches Museum in Berlin: Beispielhaft für eine veränderte Geschichtsdarstellung, sagt die Historikerin Irmgard Zündorf. © picture alliance / imageBROKER / Henning Hattendorf
Von Irmgard Zündorf, Arndt Peltner und Winfried Sträter · 17.07.2019
Audio herunterladen
Museen hatten lange Zeit die Aufgabe, das Bewusstsein der Nation zu prägen. Ist das heute noch zeitgemäß? Wie widersprüchlich die Entwicklung ist, zeigen Vergleiche zwischen Deutschland, Polen und den USA.
Geschichtsmuseen erleben einen seit den 1980-er Jahren einen Boom. Die Zahl der Museen wächst, auch die Zahl der Besucher.

Wer vom Museumsboom profitiert

Doch davon profitieren vor allem die großen Museen, sagt Irmgard Zündorf vom Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung. Sie ist mitverantwortlich für den Themenschwerpunkt Museumspolitik in der Fachzeitschrift "Zeithistorische Forschungen". Inzwischen ändere sich auch das Selbstverständnis der Museen, sagt die Historikerin: Sie wollen Lernorte werden, die auch ein breiteres Publikum erreichen. Allerdings funktioniere das nicht so, wie geplant.

Das Museum verbürgte früher nationale Identität

Als Helmut Kohl Kanzler war, kam es nicht nur zur Wiedervereinigung der deutschen Nation, sondern auch zur Gründung zweier großer Museen für Deutschland: dem Haus der Geschichte in Bonn und dem Deutschen Historischen Museum in Berlin. Beide sollten nationales Bewusstsein prägen. Mit dieser Idee knüpfte Kohl damit an eine Tradition an, die im 19. Jahrhundert entwickelt wurde, sagt Irmgard Zündorf: "Die Idee, sich als Nationalmuseum erst mal zu begründen und zu zeigen, wir sind eine Nation, wir haben eine gemeinsame Identität, wir haben eine gemeinsame Geschichte, und diese Geschichte zeigt sich in ganz bestimmten Objekten, und diese Objekte verbürgen diese Geschichte und sind das Beweismaterial dafür."
Irmgard Zündorf sitzt bei einer Pressekonferenz vor einem Mikrofon.
Nationalgeschichte lasse sich nicht mehr als Inselgeschichte erzählen, sagt Historikerin Irmgard Zündorf.© picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Aber die Nationen verändern sich, sie sind keine homogene Gebilde mehr. Im Deutschen Historischen Museum sehe man, wie sich das auf die Geschichtsdarstellung auswirkt: "Dass sich die Nationalgeschichte nicht mehr als Inselgeschichte erzählen lässt. Sondern dass es eine Verflechtungsgeschichte ist. So werden Angebote geschaffen, um auch anderen Menschen zu zeigen: Ihr seid jetzt Teil dieser Geschichte, ihr gehört dazu."

Der Sonderfall Polen

Eine andere Entwicklung vollziehe sich jedoch in Polen, erklärt Irmgard Zündorf, wo man an die Idee des 19. Jahrhunderts anknüpft: "Mit dem Hintergrund: Wir müssen uns eine eigene Geschichte wieder schaffen und die möglichst positiv darstellen, um zu begründen, dass wir als nationaler Staat bestehen - und weiter bestehen sollen."
Ganz anders ist die Entwicklung in den USA, wo es zwar ein Nationalmuseum gibt, aber auch Museen für die Afroamerikaner oder die Indianer. Irmgard Zündorf verweist darauf, dass es diese Entwicklung in Ansätzen auch in Deutschland gibt:
"Wir haben das Deutsche Historische Museum, und wir haben ein Jüdisches Museum. Ich würde aber nicht sagen, dass wir dieses amerikanische Vorbild nachmachen müssten, dass wir jetzt für bestimmte Gruppen jeweils eigene Museen entwickeln müssen."

Aufsplitterung der Museumslandschaft in den USA

In den USA ist die Entwicklung der Museumslandschaft ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung: Eine gemeinsame Geschichte zu präsentieren, wird dort immer schwieriger. Stattdessen steigt die Zahl der Museen, die Einzelgeschichten erzählen. Der Effekt: Es gibt mehr und weitere Perspektiven auf die Geschichte der USA, wie Arndt Peltner dort beobachten konnte.
Lori Fogarty ist Direktorin des Oakland Museum of California für sie markiert das Jahr 2004 die Wende in der amerikanischen Museumslandschaft: "Ein deutliches Signal dafür, dass eine andere Geschichte erzählt werden muss, war die Eröffnung des Smithsonian Museums für die "American Indians" - und das aus der Perspektive der indianischen Völker. Und kürzlich dann auch mit dem Smithsonian Museum für afroamerikanische Kultur und Geschichte.
Für jemanden wie mich, der selbst Einwanderer in den USA ist, verkörpert das Oakland Museum - quasi vor meiner Haustür – den Geist der neuen Zeit in der US-Museumslandschaft. Hier wird nicht versucht, nur die eine bekannte Geschichte zu erzählen, die Geschichte des Weißen Mannes.
Ein Poster, gestaltet von Emory Douglas, hängt in einer Ausstellung im Oakland Museum of California.
Ein Poster für die Zeitung der Black Panther Party in der Ausstellung "All Power to the People" im Oakland Museum of California© picture alliance / AP / Eric Risberg
Stattdessen thematisiert dieses Museum auch die anderen Geschichten: die der "Black Panthers" etwa, oder des "Queer California" oder auch eine andere Sicht auf den Bau der transkontinentalen Eisenbahn: "Pushing West", Fotografien.

Vielen Perspektiven auf die Geschichte

Bislang, so Fogarty, ging es bei dieser Geschichte immer nur um die Eroberer, die technischen Herausforderung, das große Ziel vor Augen. Doch in Oakland werden neben diesen Bildern auch Fotos vom brutalen Vorgehen gegen die Indianer gezeigt und was der Landraub für die "Native Americans" bedeutete.
"Es ist eine Herausforderung, nur eine amerikanische Geschichte zu erzählen", betont Lori Fogarty. "Ich glaube auch nicht, dass es nur die eine gibt. Es geht aber nicht darum, diese veraltete amerikanische Geschichte als falsch und ungenau darzustellen, sondern zu sagen, es gibt viele Geschichten."
Ich selbst lebe schon fast die Hälfte meines Lebens in den USA, aber ich habe die Erfahrung gemacht: Es ist alles andere als leicht, ein Amerikaner zu werden. Was mich immer störte an diesem Land, ist, dass man die geschichtlichen Erfolge feiert, die dunklen Seiten der eigenen Historie jedoch oftmals unter den musealen Teppich kehrt.

Blick auf Minderheiten, Einwanderer und regionale Themen

Das scheint sich nun zu ändern, denn im ganzen Land werden Museen und Ausstellungen eröffnet, die sich mit der Geschichte von Minderheiten, Einwanderern, regionalen Themen befassen. Und die sind nicht als Gegengeschichte zur herkömmlichen zu sehen, sondern als Erweiterung der amerikanischen Geschichtserzählung, meint die Museumsleiterin in Oakland, Lori Fogarty, die Museumsarbeit heute als große Herausforderung ansieht:
"Was das alles schwierig für eine Museumsdirektorin macht, ist, dass man dennoch bei seiner Arbeit sorgfältig und genau sein muss. Manchmal hüte ich mich davor zu sagen, wir präsentieren viele Geschichten, denn das klingt nach 'Fake News'. Oder danach, dass es Fakten und Wahrheiten gibt, die man hinterfragen kann. Ich spreche daher lieber nicht von den vielen Geschichten, sondern den vielen Perspektiven auf die Geschichte und, dass es unsere Aufgabe als Museum ist, absolut glaubwürdig und sorgfältig das zu präsentieren, was wir tun. Da wir Inhalte präsentieren, die nicht so bekannt sind oder bislang kaum erzählt wurden."
Dass Fogarty die Sorgfalt so sehr betont, ist nicht nur Ausdruck ihres professionellen Selbstverständnisses als Museumsdirektorin. Es ist auch ein Indiz, wie heftig um die Neuausrichtung der Museen in den USA gestritten wird. Auch in den Museen bilden sich die wachsenden Gegensätze in der US-Gesellschaft ab.
Mehr zum Thema