Museumsdirektor Max Hollein

"Kunst abseits der Normen" muss möglich sein

Das Gemälde "Hylas und die Nymphen" (1896) von John William Waterhouse steht im Lager der Manchester Art Gallery.
Das Gemälde "Hylas und die Nymphen" (1896) von John William Waterhouse steht inzwischen im Lager der Manchester Art Gallery. © Britta Schultejans/dpa
Max Hollein im Gespräch mit Marietta Schwarz · 02.02.2018
Die Manchester Art Gallery hat das Waterhouse-Gemälde "Hylas und die Nymphen" entfernt. Max Hollein, Leiter des Fine Arts Museums in San Francisco, sieht darin "keine gelungene Kunstaktion".
"Hylas und die Nymphen" wurde in Manchester ganz bewusst abgehängt – mit dem Ziel, eine Diskussion auszulösen: Eine Diskussion über Zensur in der Kunst, die übrigens – das vergisst man ja jetzt häufig – schon länger schwelt, als der Hashtag #MeToo existiert, und die sehr emotional geführt wird.
Das eine Lager fordert "Endlich aufräumen!", das andere befürchtet eine Rückkehr zum Puritanismus, und zwar ausgerechnet an den Orten, die doch für Freiheit ud Offenheit stehen, die Orte der Kunst.
Max Hollein leitet einen solchen Ort der Kunst, er ist der Direktor des Fine Arts Museum of San Francisco und war Direktor der Schirn-Kunsthalle und des Städel-Museums in Frankfurt.
War der Akt des Abhängens in Manchester eine gelungene Kunstaktion?
"Ich sehe darin keine gelungene Kunstaktion, und ich sehe darin auch nicht eine richtige Reaktion auf die Debatte an sich."

Unterschied Kunstwerk und Künstler

Hollein plädiert für eine Unterscheidung, je nachdem, ob es um das Werk geht oder den Autor als Person.
"Das ist eine Unterscheidung, die teilweise nicht getroffen wird. Auf der einen Seite ist die grundlegende Frage, ob wir von einem Künstler erwarten, dass er die höchste moralische Instanz sein soll, auch in seiner Art, wie er das Leben führt; auf der anderen Seite auch, was wir uns wiederum von einem Kunstwerk erwarten: Dass eigentlich für uns auch ganz wesentlich ist, dass es abseits der Normen auch stattfindet."
Wenn er an Kunstwerke denke, die ihn extrem bewegt und vielleicht auch beeinflusst hätten, etwa im Filmbereich, der gerade so vehement diskutiert werde, dann stünden da etwa Pasolinis Filme, insbesondere "Die 120 Tage von Sodom" –
Max Hollein im Städel-Museum vor dem im Hintergrund unscharf zu sehenden Holbein-Gemälde "Goethe in der Campagna"
Max Hollein an alter Wirkungstätte im Frankfurter Städel-Museum. © Frank Rumpenhorst / imago
"einer der bewegendsten Filme, wahrscheinlich auch einer der grundlegendsten Filme über den Faschismus. Auf der anderen Seite, ist natürlich der Inhalt dieses Films in dem Sinne auch zutiefst unmoralisch."

Museen müssen in Debatte eintreten

Momentan werde zum Teil eben nicht diskutiert, sondern es würden rasch Meinungen geäußert, die zu Handlungen aufrufen, die an die Grundfesten der Frage gingen, was Kunst ist und was sie erreichen soll.
"Da sollen Museen nicht nur eine klare Haltung haben, sondern auch in diese Debatte relativ strukturiert eintreten."
Zur Absage der geplanten Chuck Close-Ausstellung in Washington sagte er, er glaube nicht, dass man wegen der Anschuldigungen gegen den Maler nun gerade Chuck-Close-Ausstellungen mache solle: "Aber man soll auf keinen Fall deswegen keine Chuck-Close-Ausstellung machen" – also geplante Ausstellungen absagen.
"Die Idee, dass man deswegen das Werk eines Künstlers nicht mehr zeigen kann oder soll, die halte ich für vollkommen absurd."
Im Sinne der Unterscheidung von Kunstwerk und Künstler, gibt es Kunstwerke, die man nicht mehr zeigen soll?

Die Freiheit, nicht Norm zu sein

Der Museumschef sagt, zunächst sei es wichtig, dass Kunstwerke diesen Freiraum und auch die Freiheit haben, auch abseits der moralischen Normen zu existieren und auch Abgründe der Gesellschaft und des menschlichen Handelns darstellen zu können.
"Ich glaube, Kunstwerke haben da ein Problem, wo sie gegen Menschenrechte verstoßen, wo sozusagen auch die Herstellung des Kunstwerks in diesen Bereich fällt - da ist eine Problematik oder auch eine Notwendigkeit da zu handeln."
Hollein sieht in der Debatte eine Chance, erstens weil debattiert wird, und zweitens, weil die Debatte viel Aufmerksamkeit erfährt: Man könne berichten, differenzieren, kontextualisieren.

Kunstwerke nie im Vakuum

Der 48-Jährige sieht darin eine wichtige Aufgabe für die Museen und überhaupt der Geschichtsschreibung:
"Dass man einen historischen Kontext zeigt, dass man auch sieht, dass Kunstwerke nie im Vakuum rezipiert werden oder existieren, sondern, dass sie auch in unterschiedlichen Interpretationen leben, auch in unterschiedlichen Kontexten entstehen. Ich glaube, das ist etwas, was man in einem Museum nicht nur gut kontextualisuieren kann, sondern auch kontextualisieren muss."
(mf)
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