Museums-Leiter Raphael Gross über seine Pläne

Wie das DHM politischer werden soll

Raphael Gross, Historiker
Steht vor großen Aufgaben: Der neue Leiter des DHM, Raphael Gross © picture alliance/dpa/Foto: Britta Pedersen
Von Christiane Habermalz · 06.11.2017
Die Erwartungen an den neuen Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin sind groß. Im April dieses Jahres hat Raphael Gross seinen Posten angetreten - und nun erstmals über seine konkreten Pläne für das DHM gesprochen.
Raphael Gross ist ein genauer und zurückhaltender Mensch. Er weiß um die Befindlichkeiten im Haus und um die Klippen, an denen sein Vorgänger scheiterte. Er hat sich lange umgeschaut im DHM, zahllose Gespräche geführt, sogar interimsmäßig zusätzlich zu seinem Direktorenjob die Leitung der Sammlung übernommen, um die Objekte im Depot und die Dauerausstellung möglichst gut kennen zu lernen. 250 Mitarbeiter hat das Haus, es verfügt über eine Million Objekte, von denen nur ein Bruchteil in der Dauerausstellung zu sehen ist. Er ist nicht der Typ, der alles Bestehende beiseite wischt.
"Auch wenn ich jetzt angetreten bin, ohne so eine Vorstellung von: Ja, wir müssen jetzt Revolution machen und alles wird jetzt ganz anders, sondern, dass ich eben jetzt immer denke, man muss zuerst ziemlich genau zuhören und versuchen dann schrittweise zu gucken, dass man jeden Tag irgendwas verändert, irgendwas verbessert, also dass es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser ist."

Drei große Ausstellungsprojekte ab 2019

Doch dass sich etwas ändern soll, auch inhaltlich an der Ausrichtung des Hauses, daran lässt er keinen Zweifel. Zuviel steht auf dem Spiel. Jetzt hat er erstmals über seine konkreten Pläne gesprochen: In drei großen Ausstellungsprojekten will er ab 2019 programmatisch zeigen, wie er sich eine Neuausrichtung des Hauses vorstellt, das zuletzt auch inhaltlich in einer Krise steckte. Gross will weg von den chronologischen Überblicksausstellungen zu historischen Großereignissen oder Geschichtsjubiläen. Geschichte, sagt er, müsse von der Gegenwart her betrachtet werden, solle dazu dienen, unsere historische Urteilskraft zu stärken, ein Begriff, den Hannah Ahrendt geprägt hat. Ihr will er auch 2019 die erste große eigene Ausstellung widmen.
"Es ist eine Ausstellung, die gewissermaßen über das 20. Jahrhundert ist, aber nicht eine Überblicksausstellung, sondern eine, wo immer der subjektive Blick von Hannah Ahrendt vor unseren Objekten, die wir in der Sammlung haben, über ihre Themen: Totalitarismus, Nationalsozialismus, Flüchtlingskrise, kalter Krieg, Eichmannprozess, Zionismus, moderne Massengesellschaft, aber auch Feminismus, Studentenbewegung, all diese Themen sind ja bei Ahrendt da."
Zwei weitere programmatische Ausstellungen sollen folgen: 2020 eine über die Rolle der Massenmedien für die politischen Umwälzungen in der Geschichte.
"Ohne Buchdruck können Sie sich die Reformation schwer vorstellen. Ohne Lautsprecher können Sie sich Massenveranstaltungen im Freien, wie sie die Nazis gemacht haben, nicht vorstellen."

Eine große Ausstellung über die Documenta geplant

Und auch hier legt Gross Wert auf den Bezug zur Aktualität, in der sich Massenmedien mit einer Schnelligkeit verändern, die wir kaum noch überblicken können – welche politischen Veränderungen und Krisen der Öffentlichkeit gehen damit einher? Die dritte große DHM-Ausstellung wird sich 2021 der Geschichte der Documenta widmen.
"Das scheint vielleicht zuerst überraschend. Aber die Documenta versucht ja zum einen immer auf die Zeit zu reagieren mit ästhetisch-künstlerischen Mitteln, darum hat sie auch schon diesen Titel. Sie ist in einer Zeit entstanden, wo man in Deutschland versucht hat, sich neu zu orientieren in der Welt gegenüber Kaltem Krieg, gegenüber der sozialistischen Kunst, gegenüber der 'Entarteten Kunst'-Verdammung durch den Nationalsozialismus."
Für die Documenta-Schau, zeitlich platziert ein Jahr vor der Eröffnung der neuen Kunstausstellung in Kassel, will Gross versuchen, möglichst viele der Original-Kunst-Installationen zu bekommen und in Bezug zu setzen zu den Objekten des Museums, die die Zeitphänomene illustrieren, auf die sich die Kunst bezieht. Drei Ausstellungen, mit denen Gross Akzente für einen Neuanfang am DHM setzen will - bereits in Planung befand sich dagegen die Ausstellung "Sparen – Geschichte einer deutschen Tugend", die im kommenden März gezeigt wird. Hier seien nur noch Korrekturen in seinem Sinne möglich gewesen, sagt Gross. Doch sie genügten, um aus einer Planung aus Anlass von 200 Jahre deutsche Sparkassen ein Thema mit hohem Aktualitätsbezug zu machen – und den Bogen von der schwäbischen Hausfrau zur Griechenland– und Austeritätspolitik zu schlagen. Interessanterweise, sagt Gross, sei das Sparverhalten der Deutschen immer gleich geblieben.
"Auch bei der verrücktesten Hyperinflation haben die Deutschen immer die gleichen Prozente ihres Vermögens gespart, auch wenn es vollkommen sinnlos war, wie ja auch heute das Sparen sinnlos ist und wir es offensichtlich alle noch tun oder mehrheitlich tun, und man sich auch fragt, woher kommt das eigentlich, das hat noch eine andere Dimension als das eigentlich Ökonomische."

Es sollen auch zwei Provenienz-Stellen geschaffen werden

Doch Gross steht noch vor weiteren großen Aufgaben. In den Depots besteht bei vielen Objekten Restaurierungsbedarf. Die Neugestaltung der zum Teil veralteten und mit Ausstellungstücken überfrachteten Dauerausstellung im historischen Zeughaus werde noch mindestens fünf Jahre dauern, kündigte Gross an. Erst vor kurzem hat er seinen früheren Stellvertreter aus dem Jüdischen Museum, den Mediävisten Fritz Backhaus, zum neuen Sammlungsleiter bestellt.
Zunächst muss jedoch noch der Schlüterhof im Zeughaus saniert werden – umfangreiche Baumaßnahmen stehen an. Und das DHM hat ein Provenienzproblem. Für eine Reihe von Objekten gibt es Rückgabeforderungen, auch aus Namibia. Es werde Tagungen zu dem Thema geben, kündigte Gross an – und ab 2018 wird es erstmals zwei Stellen für die Provenienzforschung geben.
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