Museum der Woche

Von Georg Gruber · 09.03.2007
Der Einschlag eines Gedankenblitzes oder das Fell eines Bonsai-Hirschs: Das sind Dinge, die Roland Albrecht in Berlin ausstellt. Sein Museum der Unerhörten Dinge ist ein ganz besonderes, skurriles Museum. Albrecht ist kein Sammler - er ist ein Finder. Und das ist ein großer Unterschied: Er findet Dinge, die ihm Geschichten erzählen und von denen unsereiner zum Teil noch nie gehört hat.
Roland Albrecht: "Da vorn ist der Einschlag eines Gedankenblitzes."

Roland Albrecht, der Direktor des Museums der Unerhörten Dinge, zeigt auf ein Blatt Papier, mit einem Loch in der Mitte, das Brandspuren aufweist.

"Und anhand dieses Einschlages, mit dem Loch, das dieser Blitz erzeugte und den Schmauchspuren, konnte der Dr Tröv, zumindest so berichtet er, konnte er erklären, was diese Menschen gedacht haben. Er war ein Nervenarzt um 1900 und hat das Gerät nachher später zum Patent angemeldet, hat sich dann aber in der Nervenheilkunde nicht durchgesetzt."

Das Museum, das in einer Seitenstraße in Berlin Schöneberg liegt, ist klein, 20 Quadratmeter groß der Ausstellungsraum. Rechts und links an den Wänden die Exponate, darunter hängen die dazugehörigen Geschichten, zum Nachlesen. Wenn man wissen will, was es etwa mit dem mehr als faustgroßen Stein auf sich hat – er gehörte Thomas Mann, Verweise finden sich in seinen Schriften. Gegenüber ein kleines Stück Fell, handflächengroß:

"Das Bonsai-Hirschfell, das waren Zen-Mönche, die Bäume klein gezüchtet haben, so haben sie Hirsche klein gezüchtet, in 12 Zentimeter Größe, sind in einer Art Schaugärten zwischen den Bonsaibäumen spazieren gegangen und zweimal im Jahr wurden die Gärten geöffnet für die Bevölkerung. Und es war ein großes Staunen über das Wunder der Natur, was die Mönche da gemacht haben, 1912 ist der letzte Hirsch gestorben. Wie die des gemacht haben, ist bis heute unbekannt."

Seit fünf Jahren zeigt Roland Albrecht seine eigenartigen Fundstücke, die es in keinem anderen Museum zu sehen gibt: Innerschnecken, aus den Mägen der Dinosaurier, versteinertes Eis, Zahnräder der Schreibmaschine, auf der Walter Benjamin seinen berühmten Essay "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" schrieb.

Das Museum ist ein besonderer Ort, irgendwo zwischen Realität und Fiktion, wer sich auf die Dinge und ihre Geschichten eingelassen hat, wird sie nicht so schnell wieder vergessen. In der Mitte des Raumes vier gut hüfthohe Stelen, auf einer liegt Schlacke aus einem schwedischen Hochofen.

"Das vorne ist auf einer roten Fläche ein roter Knopf, und wenn man da drauf drückt, - ahoi, ahoi – das ist das ahoi, und da wird die Geschichte erzählt, wie das ahoi zur Seefahrt kam."

Aus Böhmen, wie das passierte, das ist eine lange Geschichte.

"Dann gibt es das Museumsdepot."

Vielleicht 15 Quadratmeter groß, mit Regalen an den Wänden.

"Und hier in dem Museumsdepot lagern noch dreihundert Unerhörte Dinge, die sind aber alle nummeriert, fotografiert und auch gewogen, wie es in einem richtigen Archiv üblich ist. Das sind Dinge, wo es auch einen Bezug gibt zu mir, ich weiß wo ich sie gefunden habe, sie haben halt die erste Bewährungsprobe in ein Museum aufgenommen zu werden, aber sie haben noch nicht eine Geschichte, die museumswert ist. Ich will ja keine Geschichte des privaten Museums machen, sondern es soll ja objektiv sein."

Die Dinge erzählen ihm ihre Geschichte, Roland Albrecht hört zu, protokolliert, recherchiert und überprüft sie auf ihre Plausibilität – erst dann haben die Gegenstände eine Chance, ausgestellt zu werden. Ein Prozess, der nicht immer einfach ist:

"Manchmal gibt es, ich finde einen Gegenstand, in dem Moment ist mir schon klar was es ist, was es bedeutet, was damit werden kann. Manchmal passiert auch gar nichts, die Dinge können auch lang schweigen oder verstockt mal ein bisschen flüstern, und dann wieder nichts mehr sagen, ja eigentlich ist es wie bei jeder Beziehung, einmal geht’s schneller, einmal geht’s langsamer."

In dem Depot lagern auch Stücke aus seiner eigenen Geschichte, ein Fernglas aus seiner Kindheit, daneben ein Luftröhrentubus, zur künstlichen Beatmung, denn Roland Albrecht war viele Jahre Anästhesiepfleger und Reanimateur, bis er sich dann ganz für die Kunst entschied.

Geboren und aufgewachsen ist er in Memmingen im Allgäu und wenn es nach seinen Eltern gegangen wäre, wäre er heute, mit Mitte 50, noch immer dort, hätte den elterlichen Betrieb übernommen, ein kleines Geschäft für Betten und Aussteuerwaren. Doch er ging schon in den 70er Jahren nach Berlin, raus aus der Enge. Er schrieb und fotografierte, reiste viel, besonders gern hinter den Eisernen Vorhang. Immer mit dem Fotoapparat:

"Kurz nach der Wende hab ich eine ganz große Serie gemacht von Fahrradständern der DDR, da hab ich hunderte aufgenommen, weil jede LPG hat ihren Fahrradständer gemacht und das war für mich als Westler faszinierend, diese Formen."

Die Faszination für Dinge, die andere als alltäglich ansehen oder gar nicht bewusst wahrnehmen, ist ihm bis heute geblieben. Er sei kein Sammler, sondern ein Finder, sagt er – und so hat ihn irgendwie auch das Museum gefunden, das ursprünglich gar nicht als Dauereinrichtung geplant war, sondern nur als Zwischennutzung eines leer stehenden Lagerraumes. Inzwischen hat er einen lebenslangen Mietvertrag, er wird zu Vorträgen geladen, zeigt seine unerhörten Dinge, denen er zugehört hat, in anderen Städten: Das Bonsaihirschfell, den roten Faden, der durchs Leben führt, den Einschlag eines Gedankenblitzes.

"Ich werde oft gefragt: Stimmen Ihre Geschichten? Dann sag ich immer: Sie könnten doch, es könnte doch sein, ich bin nicht berufen, da eine Antwort zu geben. Sie könnten wahr sein, und so wie viele Geschichten wahr sein könnten. Ich finde, dass meine Geschichten sehr viel eher stimmen als das, was ich jeden Tag in der Zeitung lese, da kommen mir viele Sachen noch einiges unwahrscheinlicher vor."