Museen in der Krise

"Wir rollen auf eine Pleitewelle zu"

10:45 Minuten
Das geschlossene Metropolitan Museum in New York. Am Haupteingang spricht ein Museumsmitarbeiter mit Passanten.
Auch die Smithsonian National Gallery of Art in Washington sieht einer ungewissen Zukunft entgegen. © William Volco / Zuma / imago-images
Hubertus Butin im Gespräch mit Britta Bürger · 25.07.2020
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In einer Umfrage wurden 750 Museumsleitungen in den USA zur Lage in der Coronakrise befragt. Ein Drittel befürchtet, bald schließen zu müssen. Auch die deutschen Museen müssten längst Alarm schlagen, sagt der Kunsthistoriker Hubertus Butin.
Die Auswirkungen der Coronapandemie treffen auch Ausstellungshäuser mit großer Wucht. In einer Umfrage der American Alliance of Museums (AAM) wurden US-Museumsdirektorinnen und -direktoren von 750 Häusern über die aktuelle Situation befragt. Ein Drittel davon hat Angst, im Herbst oder Frühjahr für immer schließen zu müssen.
87 Prozent geben an, nur noch für ein Jahr finanzielle Rücklagen zu haben. Die AAM geht von insgesamt 12.000 gefährdeten Museen aus und warnt vor schwerwiegenden Folgen für Wirtschaft, Gemeinden und das Bildungssystem bei deren Schließung.
Hartwig Fischer, Direktor des British Museum in London, sieht die aktuelle Lage als größte Herausforderung der Museen seit dem Zweiten Weltkrieg an. Dieser Einschätzung schließt sich der Kunsthistoriker und Kurator Hubertus Butin an und betont, dass sich die Lage in den letzten Wochen zugespitzt habe, denn bei einer ähnlichen Umfrage des International Council of Museums hätten vor einigen Wochen lediglich zehn Prozent der US-Museen solche Ängste geäußert.

Angst um Arbeitsplätze in den Museen

"Das Problem der Museumsfinanzierungen in den USA hat auch eine soziale Dimension", sagt Butin. Er spüre die Angst vor Entlassungen bei Gesprächen mit US-Kollegen.
"Das Museum of Modern Art in New York hat gerade 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Das ist für diese Menschen eine Katastrophe. Die können dann oft ihre Miete und ihre Versicherungen nicht mehr zahlen, ihre Arztrechnungen nicht mehr begleichen und stehen vor ganz massiven, existenziellen Problemen."
Wenn tatsächlich jedes dritte Museum schließen müsste, wäre das sowohl für das Bildungssystem als auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine Katastrophe, denn die US-amerikanischen Museen setzten jedes Jahr 50 Milliarden Dollar um.
Die Smithsonian National Gallery of Art spiegelt sich in der Glasfassade des  Smithsonian National Air and Space Museums. Beide sind wegen Corona geschlossen. Ein Hinweisschild erläutert Details.
Auch die Smithsonian National Gallery of Art in Washington sieht einer ungewissen Zukunft entgegen. © Rod Lamkey / Zuma / imago-images
Butin kritisiert das US-System, in dem Museen überwiegend von privaten Stiftungen finanziert werden: "Wenn es darum geht, einen Neubau zu errichten, dann werden Hunderte Millionen privat zusammengetragen, das ist kein Problem. Aber wenn es darum geht, Mitarbeiter weiter zu finanzieren, das ist nicht so glamourös wie ein Neubau. Da tun sich die privaten Stifter dann doch sehr schwer."

Auch die Zukunft deutscher Häuser ist in Gefahr

Trotz der von der Bundesregierung beschlossenen Hilfspakete wundert sich Butin, dass nicht auch hierzulande die Alarmglocken der Museen klingeln. Denn er geht davon aus, dass die Verluste, die sich während der Schließungen angehäuft haben, auch nach den Wiedereröffnungen wegen ausbleibender Touristen steigen werden. Auch deswegen habe bei der obigen Umfrage des International Council of Museums jedes achte Museum in Europa Angst vor Schließung gehabt.
Die Festangestellten in deutschen Museen seien seines Wissens zwar überwiegend nicht in Kurzarbeit geschickt worden. "Aber sie müssen an die vielen freien Mitarbeiter denken, die zum Beispiel Ausstellungsführungen machen. Die haben jetzt nichts zu tun."

Das Ende der großen Ausstellungen

Man müsse wegen der Probleme mit internationalen Ausleihen aufgrund der Reisebeschränkungen davon ausgehen, dass die Zeit der Blockbuster-Austellungen vorläufig oder auch längerfristig vorbei sei, sagt Butin.
"Es kann sein, dass die Museen dann gezwungen sein werden, verstärkt aus ihren eigenen Beständen Ausstellungen zu generieren. Das kann aber nicht jedes Haus. Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt zum Beispiel macht nur Wechselausstellungen. Die braucht diese Leihgaben." Auch für viele sehr kleine Museen wäre es eine Katastrophe, nicht auf Leihgaben zurückgreifen zu können.
Die Zukunft vieler US-Museen hänge von der Großzügigkeit der privaten Stiftungen ab. "Vom Staat ist in den USA nicht allzuviel zu erwarten. In Deutschland muss es in erster Linie die öffentliche Hand richten. Es gibt zwar bereits Hilfspakete, aber wenn die Museen nicht klipp und klar sagen, wie die Situation ist, wieviel Geld sie brauchen und wie die Perspektiven sind, dann kann es passieren, dass sie überhört werden. Wir rollen im Herbst auf eine Pleitewelle zu. Und die kulturellen Institutionen dürfen in der Coronakrise nicht vergessen werden. Sonst wird sich das bitter rächen!"
(rja)
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