Museen

Blick ins Ungewisse

Das undatierte Handout des Pabel-Moewig-Verlages zeigt den Comic-Weltraumhelden Perry Rhodan. Am 08.09.2011 erschien der erste Heftroman aus der gleichnamigen Science-Fiction-Serie. Inzwischen gibt es 2600 Bände, und noch immer verkauft der Verlag wöchentlich 80.000 Exemplare.
Perry Rhodan im All: Und wie sieht unsere Zukunft aus? © picture-alliance / dpa / WeltCon
Reinhold Leinfelder im Gespräch mit Andre Hatting · 01.09.2014
In Berlin soll 2017 das "Haus der Zukunft" eröffnet werden. Doch bevor überhaupt der Grundstein gelegt wurde, muss sich Gründungsdirektor Reinhold Leinfelder schon mit Vorbehalten auseinandersetzen, das Projekt könne ein PR-Instrument der Bundesregierung werden oder in seinen Ausstellungen nur das zeigen, was auch in anderen Museen zu sehen ist.
André Hatting: Das Bundesforschungsministerium will ein Haus der Zukunft. In Berlin soll es stehen, 2017 fertig sein, auf einer Fläche von der Größe zweier Eishockeyfelder will die Bundesregierung gemeinsam mit den großen deutschen Forschungseinrichtungen den Besuchern auf eine völlig neuartige Weise erfahrbar machen, wie unsere Zukunft aussehen kann, so hat es ein Sprecher des Ministeriums einmal formuliert.
Und wenn Sie jetzt sagen, aha, klingt interessant, aber auch ein bisschen vage: Uns ging es da ähnlich, sehr viel mehr haben wir bislang über das Projekt noch nicht herausbekommen. Obwohl es uns Steuerzahler immerhin 5,6 Millionen Euro im Jahr kosten soll. Deshalb haben wir jetzt jemanden eingeladen, der uns das alles besser erklären kann, Professor Reinhold Leinfelder von der FU nämlich. Ab heute beginnt seine Amtszeit als Gründungsdirektor des Hauses der Zukunft, herzlich willkommen bei uns im Studio, Herr Leinfelder!
Reinhold Leinfelder: Guten Morgen, Herr Hatting!
Hatting: Was genau erwartet denn den Besucher im Haus der Zukunft?
Leinfelder: Wir wollen vor allem erst mal Interesse wecken für die Zukunft. Denn wir haben so ein Problem: Die Zukunft ist eigentlich das, was auf uns zukommt, aber keiner weiß so genau, was da auf uns zukommt. Und wir können es natürlich nicht vorhersagen. Karl Valentin hat mal gesagt: Die Zukunft war früher auch besser! Also, wir denken gerne so ein bisschen nach hinten.
Das heißt, wir wollen Interesse wecken, wir wollen natürlich die Rolle der Wissenschaft und der Technik auch unterstreichen hier. Und wir wollen vor allem sagen: Es weiß niemand, wie die Zukunft aussieht, es kommt auf alle an. Es müssen alle sozusagen an dieser Zukunft arbeiten. Und dazu wollen wir in Installationen, in Ausstellungen, aber in ganz vielen verschiedenen Formaten, wo wir Dinge ausprobieren können, wo wir natürlich Dialogdiskurs haben, wollen wir die Möglichkeiten und die Optionen, die uns die Zukunft bietet, einfach hier diskursfähig machen.
Hatting: Und was heißt das konkret?
Leinfelder: Das heißt konkret, dass wir Ausstellungen machen, ich nenne sie mal Zukunftsausstellungen. Wir müssen die Themen definieren, die liegen auf der Hand, das sind keine Themen, die anders sind als die heutigen Themen: Was wollen wir in Zukunft essen, wie wollen wir wohnen, wie werden wir mobil sein et cetera. Wir wollen dann aber aufzeigen – ich glaube, das ist ganz besonders wichtig –, wie alles miteinander zusammenhängt.
Die Welt als großes Ganzes sehen und denken
Also, alles, was ich hier etwa im Studio sehe, auch hier das Mikrofon, die Hightech, stammt ja alles aus der Natur. Wir müssen so die Welt als großes Ganzes sehen. Das wollen wir zum einen darstellen. Dann geht es natürlich auch darum: Wir wissen eigentlich doch relativ viel aus der Wissenschaft, warum machen wir so wenig? Also ein bisschen spielerisch den Spiegel uns vorhalten, auch wir selbst, wir alle ticken so ein bisschen ... Es geht also um die Frage, wie funktioniert der Mensch, auf was lässt er sich ein, auf was kann er sich nicht so ohne Weiteres einlassen.
Und dann eben ausprobieren, zum Beispiel, ich nenne es mal, in einem Supermarkt der Zukunft oder in einem Labor, wo Sie von Robotern bedient werden. Aber es geht natürlich da auch um Werte, was wollen wir in der Gesundheit zulassen, was vielleicht nicht. Also wirklich Fragen, die, glaube ich, wichtig sind, damit wir die Zukunft gestalten können. Das müssen wir.
Hatting: Kann man das vielleicht mit diesen Science Centers der USA vergleichen, wo also mit Herz und Hand so eine Art Mitmachforschung gezeigt wird?
Leinfelder: Das wird einen gewissen Anteil ausmachen, Mitmachforschung, ich nenne das gerne Reallabore. Wir können in Berlin – das ist ja eine prickelnde, kreative Stadt – wir haben hier ja eigentlich eine hervorragende Versuchsanordnung. Aber es ist nicht beschränkt auf Technik, es ist ja auch keine Konkurrenz zu Technikmuseen, zu Science Centern, zu Naturkundemuseen oder auch zu Kunstmuseen, sondern wir wollen, weil eben alles miteinander zusammenhängt, wir wollen dort Querschnitts-Themen machen und von verschiedensten Seiten beleuchten, etwas, was die einzelnen Partnerhäuser so alleine nicht können.
Hatting: Jetzt haben Sie schon einen ganz wichtigen Kritikpunkt angesprochen, nämlich, Sie seien keine Konkurrenz. Da haben Sie jetzt was vorweggenommen, was ich noch fragen wollte! Aber so, wie Sie es gerade beschrieben haben, finde ich schon, dass das auch klingt wie etwas, was man in anderen Museen, auch zum Beispiel in Berlin, durchaus auch sehen kann!
Leinfelder: Es ist sehr wichtig, dass in allen Bereichen – ein paar habe ich ja schon genannt – dass in allen Bereichen das Thema Zukunft angepackt wird! Aber wenn es generell darum geht, wie wir vorangehen, dann brauchen wir die ganze Palette von Wissenschaften, aber auch Erfahrungswissen, also nicht wissenschaftliches Wissen, Überzeugungswissen und alles. Das alles müssen wir zusammentragen hier.
Vom Thema Gesundheit zu den Ozeanen, zum Plastikmüll und wieder zurück
Und ich nenne mal ein Beispiel, Gesundheit: Da sind wir natürlich ganz schnell bei den naturkundlichen Themen, Ozeane zum Beispiel, wenn wir Fische essen, die Plastik nun gefressen haben, Plastikmüll, hat das was mit der Gesundheit zu tun? Da sind wir aber schon wieder in der Gesellschaft, da sind wir in der Wirtschaft, in der Politik, die es eben zulässt, wir alle, die es nicht verhindern, dass hier Plastik da ist.
Es geht um Robotik, es geht darum, wie wollen wir uns im hohen Alter helfen lassen. Alles das hat mit Gesundheit zu tun, wie wir arbeiten et cetera. Es ist ein so großes Themenfeld, dass es gut ist, wenn auch einzelne Häuser etwas dazu machen, aber ich glaube, es ist eine große Chance, dass wir uns alle hier zusammensetzen können wir und gemeinsam noch Dinge machen, die anderswo nicht möglich wären.
Hatting: Apropos "alle sich hier zusammensetzen": Die DFG, die größte und wichtigste Forschungseinrichtung Deutschlands will sich nicht beteiligen. Das Argument ist genau dieser Zwitter, den Sie angesprochen haben: Also einerseits Zukunftserforschung, das sei nicht Aufgabe des Ministeriums, sagt die DFG. Andererseits Innovationskraft Deutschlands herausstellen: PR sei nicht Aufgabe der Forscher.
Leinfelder: Es ist weder PR noch Forschung, was wir hier machen. Sondern ich möchte es mal so sagen: Wir wollen etwas wie einen Gesellschaftsvertrag für die Zukunft übungsweise nun mal ausprobieren und umsetzen.
Dieser Begriff kommt vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung, dem ich auch fünf Jahre angehört habe, und der sagt: Die Politik allein wird die Zukunft nicht gestalten können, die Wissenschaft alleine auch nicht, die Wirtschaft auch nicht, es kommt auf alle an. Und genau diese Metapher, diesen Gesellschaftsvertrag, um den geht es hier und den wollen wir ausprobieren. Das hat nichts mit PR zu tun sondern mit verhandeln, was wollen wir eigentlich?
Das Haus der Zukunft soll etwas "völlig Neues" werden
Es gibt Wahrscheinlichkeiten, wie die Zukunft aussieht, wenn wir nichts machen, wenn wir was machen. Es gibt Möglichkeiten, wie wir sie gestalten können, und es gibt vielleicht Wünschenswertes. Und das alles geht nicht ohne die Gesellschaft. Und es ist kein Ausstellungsmuseum etwa der Wissenschaftspolitik der Bundesregierung oder auch der einzelnen Forschungsinstitutionen, es ist keine PR, sondern es wird sich aus diesem interdisziplinären und transdisziplinären Feld etwas völlig Neues ergeben.
Und das versuche ich klarzumachen, und da bin ich doch recht zuversichtlich, dass ich da auch bald mit der DFG noch ins Gespräch komme. Denn es ist klar, dass das Konzept sich eben verändert hat oder auch dass es Missverständnisse vielleicht gab über das Konzept. Und ich freue mich, dass ich jetzt die Möglichkeit habe, dieses Konzept hier so auszugestalten, dass es wirklich einen Zusatzwert hat und keine Konkurrenz.
Hatting: Und vielleicht – das haben Sie ja schon angesprochen – bekommen Sie die DFG doch noch ins Boot. Denn meine nächste Frage wäre jetzt gewesen: Was nützt ein Forschung ohne die DFG?
Leinfelder: Deutschland ist ja so aufgestellt, dass wir Universitäten und große außeruniversitäre Forschungseinrichtungen haben, und die sind alle mit im Boot. Genauso wie Stiftungen, genauso wie Akademien. Und ja, ich wünsche mir durchaus, und ich werde mich anstrengen, auch die DFG zu überzeugen, dass wir uns noch vergrößern. Das Haus wird von sogenannten Gesellschaftern getragen und auch das ist eine offene Struktur, die vergrößert werden kann jederzeit.
Hatting: Braucht Berlin eigentlich noch ein Haus der Zukunft, wo doch das Humboldt-Forum ganz ähnlich gestaltet werden soll?
Leinfelder: Wir werden hier eng zusammenarbeiten. Das Humboldt-Forum hat diese großen Sammlungen und es wird für die Zukunft auch ganz wichtig sein, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Denn wir verstehen die Gegenwart nur als Prozess, als Ergebnis, was wir an Vergangenem eben hatten ...
Hatting: Also das Humboldt-Forum dann für das Vergangene, das Haus der Zukunft für die Zukunft?
Leinfelder: So würde ich es nicht sagen, es sind unterschiedliche Ansätze. Wir kommen mehr von der systemischen Seite, von der ganzheitlichen, wenn ich das so sagen darf, wie hängt alles miteinander zusammen. Und das Humboldt-Forum wird einen starken Schwerpunkt auf der kulturellen Evolution haben, auch auf der Diversifizierung dieser Evolution. Und auch da wird es ganz viele Querschnitts-Themen geben, auch da sind wir schon im Gespräch.
Hatting: Ich bin ganz ehrlich, so ganz habe ich es noch nicht verstanden, wie man einen Gesellschaftsvertrag dann in einem Museum darstellen kann, aber ich bin sehr neugierig darauf! Ab 2017 wird man das im Haus der Zukunft in Berlin sehen können und bei uns zu Gast im Studio war Reinhold Leinfelder, der Gründungsdirektor dieses Hauses der Zukunft. Im nächsten Jahr soll der Grundstein gelegt werden. Vielen Dank für den Besuch hier im "Studio 9" und viel Erfolg mit dem Haus der Zukunft!
Leinfelder: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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