Mursi ein Opfer? - Von wegen

Von Cornelia Wegerhoff · 06.07.2013
Die Absetzung von Ägyptens Präsident Mohamed Mursis sei ein "schwerer Rückschlag für die Demokratie", so Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Cornelia Wegerhoff widerspricht: Die Ägypter haben einen Präsidenten in die Wüste geschickt, der versucht hat, ihnen ihre Freiheit zu nehmen.
"Das Volk hat gesiegt.” In leuchtendem Rot prangt dieser Satz am Donnerstag in geschwungenen arabischen Lettern auf der Titelseite der ägyptischen Tageszeitung "Al Tahrir”, zu Deutsch "Befreiung”. Das passt. Die Ägypter haben es tatsächlich ein zweites Mal geschafft. Man muss Respekt haben vor diesem Volk: Es hat wieder einen Präsidenten in die Wüste geschickt, der versucht hat, den Ägyptern ihre Freiheit zu nehmen.

Aber dieses Mal ist etwas anders, auch auf der Zeitungs-Titelseite: Ganz oben steht nämlich ausnahmsweise noch eine englischsprachige Schlagzeile: "It´s a revolution… not a coup, Mr. Obama!” "Es ist eine Revolution und kein Putsch”, so die Botschaft an den US-Präsidenten, der den Begriff selbst bislang tunlichst nicht in den Mund genommen hat. Schließlich bekommt Ägypten aus Washington milliardenschwere Militärhilfe.

Doch Präsident Mursi war noch nicht offiziell von Armeechef Sissi für abgesetzt erklärt, als es in Amerika und auch in Deutschland bereits hieß, da hätten sich am Nil die Generäle an die Macht geputscht. Ich muss zugeben: Das sieht auch danach aus, wenn ein Mann in Uniform den Staatspräsidenten absetzt. Aber warum saßen neben den Generälen so viele Leute in zivil, darunter Mohamed ElBaradei? Kein Irgendwer, sondern ein Friedensnobelpreisträger.

Und auf den Stühlen daneben, in langen Gewändern saßen noch andere Unverdächtige: der Großscheich der Al-Azhar-Universität und der koptische Papst. Alles Beteiligte an einem Komplott, den die Ägypter seit drei Tagen auch noch als Sieg des Volkes feiern? Wohl kaum. Da hat ein Teil der westlichen Welt irgendetwas missverstanden, die Ereignisse werden nicht richtig interpretiert.

"Das Volk hat das Militär darum gebeten, zu intervenieren”, versucht Baradei zurechtzurücken. Die Alternative sei ein Bürgerkrieg gewesen.
Natürlich, die innige Verbundenheit der Ägypter zu ihren Soldaten ist uns fremd. Und 2011, als nach dem Sturz Mubaraks der Oberste Militärrat die Macht übernahm, wurde ihr Vertrauen prompt missbraucht. Zuvor bunt angemalte Panzer überrollten plötzlich Demonstranten. Da fragt man sich im Westen jetzt: Mann, wie können die Ägypter nur zweimal so naiv sein? Gegenfrage: Sind wir da nicht zum zweiten Mal arrogant?

Sehr lange hat die deutsche Bundesregierung bei der Revolution 2011 abgewartet, bis sie sich offiziell auf die Seite der Demokratiebewegung stellte. Mubarak war zwar ein Diktator, doch garantierte er uns einigermaßen friedliche Verhältnisse in der so heiklen Region um Israel. Die Ägypter haben dieses Zögern wahrgenommen. Erst als Bundeskanzlerin Merkel Präsident Mursi im Januar beim Staatsbesuch in Berlin abblitzen ließ und ihm keine Millionen mit nach Hause gab, wurden wir Deutschen in Ägypten gefeiert. Die Bundesrepublik verlangte hochoffiziell mehr Demokratie, mehr Rücksicht auf die Menschenrechte. Dafür haben mir viele Leute mitten in Kairo auf der Straße gratuliert. Und jetzt erklärt Bundesaußenminister Guido Westerwelle doch tatsächlich, der Sturz Mursis sei ein "schwerer Rückschlag für die Demokratie” in Ägypten. Für welche Demokratie, bitte?

Der Moslembruder Mohamed Mursi wurde zwar demokratisch gewählt. Aber er ist im Amt kein Demokrat gewesen. Er hat sich per Dekret über die Gewaltenteilung hinweggesetzt, sich über die Justiz erhoben, die staatlichen Medien zu Propaganda-Zwecken missbraucht und Kritiker vor Gericht stellen lassen. Seine Moslembrüder benutzten die gleichen miesen Methoden wie Mubarak, der sie selbst verfolgt hatte. Aus den Opfern wurden Täter. Um den Sturz Mursis zu verhindern, erschossen sie vor einer Woche aus den Gebäuden ihrer Partei heraus Demonstranten.

Das ist nicht demokratisch, Herr Westerwelle. Mursi ist kein armes Opfer. Wir sollten den scheinheiligen Muslimbrüdern nicht in die Hände arbeiten, wenn sie sich als Verteidiger demokratischer Werte aufspielen. Bei den brutalen Gewaltübergriffen gestern Abend haben sie ihr wahres Gesicht gezeigt. Daran ist jetzt nichts mehr falsch zu deuten.
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