Mütter als Glaubenslehrerinnen

Von Kirsten Dietrich · 07.05.2011
Am 8. Mai ist Muttertag. Unbeschadet aller feministischen Kritik, Frauen auf ihre Rolle als Mütter zu reduzieren, halten die Religionen die Mutterrolle hoch. Doch wenn man genauer hinschaut, tun sich auch dort Widersprüche auf.
Die Kinder liegen am Ende eines langen Tages satt, sauber und müde in ihren Betten, die Mutter sitzt an der Bettkante und spricht das Abendgebet. Und auch wenn sie danach den Raum verlässt, so bleibt doch die Kombination aus Glaube und Mutterliebe das sichere Fundament für das Leben ihrer Kinder. So die Urszene des gutbürgerlich-christlichen Haushaltes, mehr Ideal als Realität inzwischen. Die Hausfrau ist heute meist berufstätig, hat auch mal abends Termine, nimmt den Vater in die Pflicht oder auch den Babysitter und lebt längst nicht mehr so selbstverständlich innerhalb ihrer religiösen Tradition.

"Kinder, die ohne frühe Erfahrung mit Religion aufgewachsen sind, das heißt, dass in der Familie die Mutter Geschichten erzählt hat, da kann man feststellen, dass diese Kinder durchaus Fragen nach Gott stellen, aber dass sie andere Fragen stellen."

Ulrike Elsdörfer, Theologin und Lehrbeauftragte in Frankfurt.

"Sie haben nicht das magische Empfinden, das vielleicht durch ein Gebet und eine Geschichte abends vorm Schlafengehen und solche Dinge in der Vergangenheit geschaffen worden ist, es fehlt das Verhältnis zu Segensvorstellungen und Schutz Gottes und die Wirkung von Liedern, Ritualen und einem irgendwie gearteten Gemeinschaftserleben."

Die Familie bleibt ein entscheidender Ort für die Weitergabe von Glauben. Offen ist aber, welche Rolle dabei heute der Mutter zukommt.

"Die Mutter hat auf jeden Fall – man kann darüber diskutieren, ob bis drei, bis fünf oder bis sechs – das Alleinerziehungsrecht. Und das heißt, sie hat das Kind in diesen ersten prägenden Jahren jüdisch vorzubereiten."

Wer eine jüdische Mutter hat, ist selbst Jude oder Jüdin. So war es seit den Zeiten der Tora, so ist es heute. Auch wenn die jüdischen Gemeinden in Deutschland zunehmend Mitglieder aus der ehemaligen Sowjetunion haben, bei denen diese Tradition unter staatlichem Druck zum Teil nicht weitergetragen wurde. Das Gebot besteht weiter, sagt Jael Botsch-Fitterling.

"Die Frau hat auf jeden Fall die Pflicht, den Schabbat einzuleiten, dass eine Schabbatstimmung ist, dass wirklich Essen, Feierlichkeit und alles gegeben ist, und sie zündet die Kerzen an. Sie hat die Pflicht, auf ihre Ehe zu achten, und sie hat die Pflicht, auf die Reinheit zu achten."

Jael Botsch-Fitterling hat zwei Söhne und inzwischen fünf Enkel. Alle bewusst in die jüdischen Traditionen hineinerzogen, auch wenn das für eine Jüdin aus Israel in Deutschland gar nicht so einfach war. Vor allem, weil Jael Botsch-Fitterling immer auch als Lehrerin gearbeitet hat.

"Auch eine jüdische Frau, die sehr viel arbeitet, legt großen Wert drauf, dass sie Gebäck zu Feiertagen backt, dass sie den Schabbattisch vorbereitet, dass sie selber kocht und dass sie Kinder auch soweit erzieherisch versorgt, dass sie diese Werte zu leben verstehen."

"Das Paradies ist unter dem Fuß der Mutter, heißt es. Auf der Fußsohle der Mutter. Wenn man den Fuß der Mutter küsst, küsst man das Paradies. So hochgeschätzt oder wertgeschätzt wird die Mutter im Islam."

Canan Ceran, Muslimin, Mutter eines fünfjährigen Sohnes, Ärztin.

"Ich bin überzeugt vom Islam, für mich ist das halt die richtige Glaubensrichtung, es bringt mir auch viel, es ist für mich wie eine Medizin für Körper und Seele, sag ich mal. Und ich möchte das meinem Kind nicht vorenthalten."

Canan Cerans Familie stammt aus der Türkei. Sie selbst ist im westfälischen Hamm großgeworden. Sie lebt mit ihrer Familie in zwei Welten, wie viele Muslime in Deutschland: ein vom Islam bestimmtes Leben zuhause, ein weitgehend weltliches in der christlich geprägten und zunehmend säkularen Welt außerhalb der Familie. Ihre Aufgabe als Mutter: zu vermitteln.

"Ein Muslim muss ja fünfmal am Tag beten, das versuche ich, konsequent einzuhalten, mein Sohn sieht das natürlich auch, mein Mann macht das ja auch, dann betet er einfach mit. Man öffnet die Hände, und man betet zu Gott, kann man richtig Allah ansprechen und seine Wünsche äußern, das machen wir dann gemeinsam. Manchmal will mein Sohn dann auch selber Wünsche äußern, dann sage ich ihm: ja, mach, wenn du was wünschst, dann sag das Gott, und er wird es dir erfüllen, wenn du das dann wirklich willst."

Canan Ceran versucht, für ihren Sohn ein religiöses Umfeld auch außerhalb der Familie zu finden. Für die Moschee ist er noch zu jung, findet sie, der Kindergarten ist nicht religiös, bleiben also Bücher, die den Koran und verwandte Überlieferungen für Kinder erzählen.

"Ich will ihm natürlich nicht das andere vorenthalten, er geht in die Schule, da wird er auch andere Sachen sehen und kennenlernen. Aber hauptsächlich möchte ich, dass mein Kind als ein Muslim erzogen wird."

"Ich denke, eine gewisse Sicherheit im Umgang mit diesen religiösen Geschichten ist wichtig, zum einen, weil es zu unserem Glauben gehört, aber auch zu unserer Kultur. Es ist nicht meine Aufgabe, dass sie ihn teilen. Sie damit bekanntzumachen, ja."

Gwendolyn Mertz, Protestantin, Mutter zweier Töchter.

"Wie sie sich im Glauben weiterentwickeln, das kann ich nur begrenzt beeinflussen, aber mir ist wichtig, gerade vielleicht, weil ich selber Literaturwissenschaftlerin bin, dass sie die Geschichten kennen, um sie in der Literatur wiederzufinden, um in der Malerei was zu verstehen, welche Symbole sind da, das gibt eine gewisse Sicherheit – ja, da bin ich so bürgerlich, das ist mir wichtig."

Auch wenn Gwendolyn Mertz ihre Töchter in Übereinstimmung mit der prägenden Kultur und Religion der Gesellschaft erzieht: als Mutter stellten sich ihr ganz neue Herausforderungen.

"Ich hab festgestellt, als ich Mutter wurde, dass meine eigene religiöse Sprachfähigkeit eigentlich unterirdisch entwickelt ist, dass ich das mit mir abmache und mit meinem Gott abmache, aber das mit meinen Kindern zu teilen, sie da hinzuführen, schwierig finde, und erst lernen musste, überhaupt auf Fragen zu antworten, ja, mich ernst zu nehmen."

"Ich glaube, dass religiöse Erziehung viel früher anfängt als in dem Moment, wo man explizit sich mit dem Kind über Gott unterhält."

Simone Marienfeld, Familienberaterin in Berlin.

"Dass es bestimmte Grundbausteine gibt, da zum Beispiel in der Anfangszeit ist die Bindung was ganz Wichtiges, gerade in diesen ersten Jahren oder dem ersten Jahr, die Bindung, die sich zwischen der Bezugsperson und dem Kind aufbaut hat dann auch Einfluss darauf, mit welchem Vertrauen Kinder in diese Welt starten können, hat dann auch einen Einfluss darauf, wie Gottesbilder aussehen können. Ob das eher eine vertrauensvolle Beziehung sein kann oder nicht, das geht da alles mit rein. Da ist jeweils noch gar nicht von Gott oder von Glaube die Rede, aber das sind die Grundvoraussetzungen dafür, dass ein Kind dahin kommen kann, dass es dann auch zu diesen großen Fragen vordringen kann."

Simone Marienfeld berät Eltern, die die Beziehung zu ihren Kindern verbessern wollen. Sie trifft nicht auf die großen Katastrophen und zerstörten Beziehungen, mehr auf das sehr ernsthafte Bemühen, alles oder doch möglichst viel richtig machen zu wollen.

"Das war einfach so eine Beobachtung, dass viele Eltern gerade in dem Bereich der religiösen Erziehung sehr verunsichert sind. Weil man für sich selber diesen Bereich gar nicht mehr unbedingt im Leben hat, dem im Alltag gar nicht mehr unbedingt eine Wichtigkeit, einen Raum gibt, einfach darüber, dass unsere Gesellschaft so sehr vielfältig geworden ist, glaube ich, oft eine Orientierung gesucht wird."

Viele Mütter entdecken dabei die Rituale der eigenen Kindheit neu.

"Zum Beispiel das Segnen des Brotes, bevor es angeschnitten wird. Oder wenn Kinder aus dem Haus gehen, ihnen ein Kreuzzeichen auf die Stirn zu machen."

Ein Zurück zur Selbstverständlichkeit früherer Generationen gibt es dabei allerdings für die wenigsten Mütter. Um sich überhaupt in die Rolle der Glaubensvermittlerin zu finden, suchen viele Unterstützung in ihren Religionsgemeinschaften, bei den Profis für religiöse Bildung:

"Also einen gescheiten Kindergottesdienst, bei dem man als Eltern sagt: ja, das ist was Sinnvolles, und wo die Kinder gern hingehen."

"Es gibt hier auch Moscheen, wo die Kinder in den Ferien zum Beispiel hingehen können, für ein paar Stunden, und den Islam lernen können, es gibt so richtige Lehrer, die das können und die das den Kindern beibringen, da kann man sich auch einen zusätzlichen Freundeskreis anschaffen."

Wobei eine Diskrepanz sich durch die Religionen zieht: die Geistlichkeit schätzt und preist die Rolle der Familien und speziell der Mütter für die Weitergabe des Glaubens. Niederschlag in der offziellen Theologie oder Politik der Religionsgemeinschaft findet sie fast nie, sagt die Theologin Ulrike Elsdörfer:

"Auf der einen Seite ist natürlich das sich kümmern um Familie, Kindergottesdienst, den Kirchen ein ganz wichtiger Bereich, drei Viertel aller Arbeit in den Kirchengemeinden ist diesem Zweck gewidmet, man sagt auch inoffiziell, das rekrutiert die Nachfolger, also dass die Mütter, wenn sie erst mal 45 sind, dass sie dann in den Gremien der Kirchen mitarbeiten, andererseits ist in der öffentlichen Präsenz von Kirchen das nicht das große Thema, sondern da geht es dann politische Themen, aber auch sehr viele finanzielle Fragen im Moment."

Das kann man beklagen – oder sich diese Schieflage auf eine fast trotzige Art zu eigen machen. Jael Botsch-Fitterling hält es so und klärt dabei für sich auch die Frage, wie wichtig Mütter nicht nur für den Kinderglauben sind.

"Ich sag mir manchmal, das Erlebnis, Mutter zu sein, können uns die Männer nicht nehmen, sicher zu sein, dass dieses Kind wirklich mein volles Produkt ist. Ich glaub, das ist sehr jüdisch, das zu sagen. Wenn ich meine erwachsenen Söhne sehe und sage, das ist mir nicht zu nehmen, das ist meins."
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