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Speisegesetze im Judentum
Koscherer Gin aus Hannover

Wer sich in Deutschland koscher ernähren möchte, muss auf Alkohol zwar nicht verzichten, musste diesen bislang aber importieren. Eine kleine Destille aus Hannover will das ändern und brennt koschere Spirituosen – unter den strengen Augen eines Rabbiners.

Von Agnes Bührig | 05.03.2020
Vor einer 150l-Brennblase stehen von links nach rechts: Roland Schulze, Brennmeister der Lister Destille, Firmengründerin Katharina Simon, ein Mitarbeiter der Destille sowie Marc Simon, Mitbegründer von Simons of Hannover
In Hannover werden koschere Spirituosen gebrannt (Deutschlandradio / Agnes Bührig)
Das Land, wo Milch und Honig fließen, so wirbt Israel gerne für sich. Im Video der Whiskey-Destille M&H aus Tel Aviv ist dieses luxuriöse Leben zu sehen: entspannte Menschen an einem warmen Abend in einer Bar unter freiem Himmel, in die Gläser fließen "Milk and Honey", so der Name der Whiskey-Destille, der ersten ihrer Art in Israel. 2012 wurde sie gegründet, seit Anfang des Jahres exportiert sie ihren Single Malt nach Deutschland. Natürlich koscher produziert.
"Rohstoffe und Gefäße müssen koscher sein"
Koscher - wer mit dieser Eigenschaft werben will, braucht ein Zertifikat. Ausgestellt wird es unter anderem von Rabbinern der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland. Wie Benjamin Wolff. An Feiertagen predigt er in der orthodoxen Synagoge Chabad Lubawitsch in Hannover, werktags können ihn Firmen engagieren, die eine koschere Produktion anstreben, sagt Benjamin Wolff.
"Wenn zum Beispiel eine Firma ein Produkt machen will, das koscher sein soll. Dann machen wir einen Termin, wir sitzen zusammen, wir gucken, welche Rohstoffe da reinkommen und wie der Produktionsprozess abläuft. Und wenn die Rohstoffe koscher sind und auch die Gefäße koscher sind, dann ist das Produkt koscher – und dann kann man das zertifizieren."
Tiere müssen ausbluten, bevor sie gegessen werden, der gleichzeitige Verzehr von Milch- und Fleischprodukten ist nicht erlaubt, Meeresfrüchte sind tabu. Diese und weitere Regeln stehen in der Tora. 613 Gebote Gottes enthält die hebräische Bibel nach traditioneller Zählung, eingeteilt werden sie in drei Kategorien, sagt Benjamin Wolff. Es gebe Gebote, die logisch verständlich seien, zum Beispiel nicht zu stehlen, solche, die an ein historisches Ereignis erinnerten und jene, die sich von Menschen nicht erklären lassen. Zu letzterer Kategorie gehörten auch die Speisevorschriften, sagt der Rabbiner.
"Wir verstehen nicht, warum wir kein Schweinefleisch essen dürfen. Es gibt keine logische Erklärung, es gibt keine menschliche Erklärung. Wir sehen nicht, dass Juden, die koscher essen, gesünder sind als Juden, die nicht koscher essen. Wir glauben, dass Gott den Juden diese Gesetze gegeben hat. Er hat seinen Grund, deshalb hat er sie gegeben."
"Obstbrände sind in vielen Gemeinden populär"
Auch in der Lister Destille im Norden von Hannover kommen die jüdischen Speisevorschriften zur Anwendung. Hier lässt "Simons of Hannover" seit zwei Jahren seine Obstbrände, Liköre und drei Sorten Gin produzieren. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es damit in der niedersächsischen Landeshauptstadt wieder ein jüdisches Unternehmen, das koschere Lebensmittel produziert, sagt Marc Simon, der in der jüdischen Gemeinde von Köln groß geworden ist.
Gegründet hat er die Firma zusammen mit seiner Frau Katharina, ebenfalls Jüdin, die in Tschechien aufgewachsen ist. In ihrer Jugend in Prag gehörte Hochprozentiges bei Festen dazu, denn Alkohol ist im Judentum nicht verboten. Am jüdischen Fest Purim ist es sogar eine Art religiöse Pflicht, sich zu betrinken, sagt Katharina Simon:
"In vielen jüdischen Gemeinden ist das sehr populär und beliebt, Obstbrände zu trinken, weil sehr viele Familien kamen aus Osteuropa, und in Osteuropa ist eine Tradition generell, Obstbrände zu trinken, besonders Sorten wie Kirschbrand oder Zwetschgen, die Slibowitz. Und die Familien, die wohnen jetzt auch in Israel, Amerika, überall in der Welt, bis jetzt, die kennen die Tradition von den Opas oder Omas. Deswegen ist das bis jetzt sehr beliebt."
Auf die Quelle kommt es an
Zusammen mit Brennmeister Roland Schulze hat Katharina Simon ihre Idee einer koscheren Alkoholproduktion in die Tat umgesetzt. In einer 150-Liter-Brennblase, einem aus Kupfer gefertigten Kessel, wird eine Maische aus Kirschen gerührt und so auf konstanter Temperatur gehalten. Nach mehrfacher Destillation kommt die Flüssigkeit in ein Fass aus Weißeiche. Darin darf vorher kein Inhalt gewesen sein, der nicht koscher war, sagt Roland Schulze.
"Ja, es muss auf jeden Fall neu sein, das ist eine Sache, und dann natürlich so das Übliche, dass da keine Fleisch- oder tierischen Bestandteile in irgendeiner Form, vielleicht für Konservierung, damit in Berührung gekommen sind."
Alkoholflaschen stehen aufgereiht auf Regalen in einer Bar.
Spirituosen sind im Judentum nicht verboten - koscher sind die meisten aber nicht (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
Schulze selbst ist kein Jude, stellt seine Destille aber gern zur Verfügung. Dass die Regeln für koschere Produkte dort eingehalten werden, das überprüft Rabbiner Benjamin Wolff bei regelmäßigen Besuchen. Der blaue Farbstoff Sepia, der aus Tintenfischen gewonnen wird, ist zum Beispiel tabu – er ist nicht nur tierisch, sondern auch noch eine im Judentum verbotene Meeresfrucht. Und auch andere Stoffe, die tierischen Ursprungs sind, dürfen nicht verwendet werden, sagt Benjamin Wolff.
"Zum Beispiel: Manchmal wird Gelatine benutzt, um die Getränke mehr klar zu machen, und Gelatine kommt manchmal auch aus Fleisch oder aus tierischen Quellen. Das muss kontrolliert werden: Gibt es Gelatine oder nicht? Wenn es Gelatine gibt - kommt sie aus tierischer Quelle oder aus natürlicher Quelle? Zum Beispiel Agar Agar, das ist eine Art von Gelatine, die koscher ist, weil sie aus natürlicher Quelle kommt, nicht aus der Lebensquelle, das ist koscher."
"Positive Erfahrungen mit dem Judentum erzeugen"
Pflanzen sind so eine zulässige natürliche Quelle. Doch ob ein Obstbrand oder ein Gin koscher sind, das lässt sich am Ende nicht rausschmecken. Für Marc Simon geht es aber auch um mehr als den Geschmack. Für den gläubigen Juden steht ein koscherer Obstbrand auch für die jüdische Kultur, wie ein Raki für die türkische oder ein Ouzu für die griechische Lebensart.
"Es geht um die deutsch-jüdische Symbiose, es geht um das gemeinsame Feiern, positive Erfahrungen auch mit dem Judentum sozusagen zu erzeugen. Ganz normale Bürgerinnen und Bürger, die in die Supermärkte gehen und unsere Flaschen kaufen, die tragen ein bisschen dazu bei, auch Toleranz und Verständnis für das Judentum in die Gesellschaft zu bringen, aber auch generell ist das ein Zeichen für Weltmännischkeit, wenn man einen koscheren Brand oder einen koscheren Gin konsumiert."
Marc Simon gießt ein Schlückchen "Ginger Red" in ein Glas, den neusten Ingwerlikör seiner Firma. Ein bisschen sei das ja auch wie Bio: keine Farbstoffe, keine Zusatzstoffe und die rote Farbe komme allein aus 100 Prozent Kirschsaft. Na dann: Prost! Oder: Le Chaim! – auf das Leben!