Müll als kreatives Material

Von Mirko Heinemann · 31.01.2008
Im Herbst 2007 hat eine Gruppe deutscher und palästinensischer Künstler an einer außergewöhnlichen Installation gearbeitet: Sie besteht im Wesentlichen aus Müll, gesammelt auf Deponien in den palästinensischen Gebieten. Die Ausstellung mit dem Titel "Transform Orchestra" wurde bereits in Ramallah, Gaza und Jerusalem gezeigt. Jetzt ist sie auf dem Berliner Kunstfestival "transmediale" zu sehen.
Auf der Deponie von Nablus im Westjordanland ist eine Ladung Müll eingetroffen. Während der Transporter die stinkende Fracht auskippt, warten die Umstehenden bereits auf verwertbare Reste; die meisten der hier Arbeitenden sind noch Kinder. Begehrt sind alte Sofas und Matratzen. Die Kinder verbrennen sie, um an die Stahlfedern im Innern heran zu kommen. Metall ist wertvoll.

Mitten durch den Unrat wandern rund ein Dutzend deutsche und palästinensische Künstler auf der Suche nach Material. Sie sammeln Abfall, sie fotografieren, sie führen Gespräche. Es ist das erste Mal, dass die Künstler eine Mülldeponie besuchen.

"Ich habe mich auf der Deponie sehr schlecht gefühlt. Die Kinder haben Cola aus Flaschen getrunken, die sie auf dem Müll gefunden haben. Unglaublich. Mir kamen die Tränen, als ich das gesehen habe."

Imam al Hasnya war nicht der einzige, der zunächst kein Verständnis für das Projekt aufbrachte. Kunst und Müll - diese Kombination war den palästinensischen Künstlern fremd. Die Idee, Abfall als kreatives Material einzusetzen, stammte vom Goethe-Institut und von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Die deutschen Förderer wollten auf diese Weise aber auch auf das Müllproblem aufmerksam machen.

"Man setzt sich leicht dem Vorwurf aus, dass man Kunst missbraucht, um politische oder in dem Fall entwicklungspolitische Inhalte zu transportieren, sprich: Bewusstsein schaffen, mit Umwelt umzugehen. Wir haben das Projekt aber bewusst so offen gehalten, dass die Künstler alle Freiheiten haben. Der einzige Ausgangspunkt war: Es muss irgendwie mit Abfall zu tun haben, mit Müll und Abfall."

Farid Majari leitet das Goethe-Institut in Ramallah. Er hatte die Idee, die Palästinenser mit der deutschen Künstlergruppe Blackhole Factory zusammenzubringen, die bereits länger mit Reststoffen arbeitet. In vielen Debatten haben die deutschen und palästinensischen Künstler versucht herauszufinden, welche Möglichkeiten in dem Material stecken. Manche bauen aus dem Abfall Objekte, andere untersuchen ihn mit einem Mikroskop. Auch Majdi Hadid hat seinen Zugang gefunden.

"Auf der Mülldeponie habe ich es als sehr berührend empfunden, wie viele Erinnerungen da weggeworfen werden. Ich habe einen Koffer gefunden, der aus Sao Paulo in Brasilien stammt. Aus irgendwelchen Gründen ist der Koffer in Palästina gelandet. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, seinen Weg nachzuvollziehen, dann bin ich überzeugt davon, dass eine spannende Geschichte herauskäme."

Solche und andere Objekte zeigt die Installation, außerdem Fotos, Malerei und interaktive Medien. Der Besucher kann sich zum Beispiel per Mausklick an den Checkpoint Kalandia zwischen Ramallah und Jerusalem zoomen, wo sich die Mauer bis zum Horizont erstreckt.

In Kalandia warten auf palästinensischer Seite in langen Reihen Reisende vor den vergitterten Drehtüren. Die Künstlerin Diana Mardi hält ein Mikrofon durch eines der Gitter und nimmt Geräusche auf. Nach dem Friedensabkommen von Oslo wurde das Westjordanland in drei Zonen unterteilt. Sie sind durch Checkpoints voneinander getrennt. Das Reisen ist für Palästinenser mühselig geworden. Diana Mardi hat den Begriff Müll für ihre Arbeit abstrahiert.

"Für die Palästinenser gibt es keine klar definierte Zeit. Man kann keine Abmachungen treffen, man kann sich nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt verabreden. Zeit wird verschwendet, man vergeudet so viele Stunden an diesen Grenzübergängen. Ich fühle, wie Stunde um Stunde jeden Tag verlorengeht, und am Ende landen ganze Jahre auf dem Müll."

Kunst ist auch Politik. Die deutschen Partner waren überrascht, wie stark die Arbeit ihrer palästinensischen Kollegen durch politische Inhalte geprägt ist. Doch ganz besonders haben sie die Begegnungen mit den Menschen beeindruckt, erzählt Elke Utermöhlen von Blackhole Factory.

"Man steht da zusammen im Dreck und erlebt sehr erschreckende und sehr beeindruckende Dinge. Und wenn man dann wieder hier in diesem Studio sitzt und sich die Teile, die man gesammelt hat, anguckt, fühlt man sich auf eine Art verbunden, die man mit anderen Leuten vielleicht gar nicht so teilen kann."