Mozarts Frauengeschichten

Rezensiert von Maja Ellmenreich · 06.01.2006
Zwei Neuerscheinungen widmen sich nur auf den ersten Blick dem selben Thema. Während "Mozart und die Frauen" eine Biografie des Komponisten aus besonderer Perspektive darstellt, wird in "Mozarts Frauen" musiksoziologisch die Rolle der Frauen hinterfragt.
Beim Blick durchs Schlüsselloch muss man immer ein wenig in die Knie gehen. Was hat der Leser also zu erwarten von zwei neuen Büchern, die sich rechtzeitig zum Jubiläumsjahr mit Mozarts Verhältnis zu den Frauen beschäftigen? Niveaulosen Voyeurismus? Pikante Details über bislang unbekannte Romanzen? Die ultimative Wahrheit über Mozarts "Herzensweibchen" Constanze, die die meisten Biografen als faul, geldgierig und egoistisch verteufelten?

Fehlanzeige! Sowohl bei Enrik Lauer als auch bei Melanie Unseld. Keiner der beiden Autoren lupft die Bettdecke des Österreichers oder wartet mit neuen, möglicherweise ja auch seriösen Erkenntnissen auf. Können sie auch nicht, denn dafür ist das "Gesamtkunstwerk Mozart" in den vergangenen zwei Jahrhunderten bereits zu gut erforscht worden. Außerdem ist die Quellenlage gar nicht so üppig, wie man vielleicht vermuten mag. Während die Adressaten und Adressatinnen seiner Briefe die Schriftstücke meist aufbewahrt haben, sind ihre Antworten häufig nicht erhalten. Das gesamte Wissen, auf das Lauer und Unseld für ihre Bücher zurückgreifen konnten, steht so oder so ähnlich bereits in einem der früheren Mozart-Bücher.

Enrik Lauer hat dieser schier endlosen Liste denn auch eine vergleichsweise konventionelle Mozart-Biografie hinzugefügt. Er erzählt die Lebensgeschichte des Musikgenies in groben Zügen nach, und als Gerüst dienen ihm die Frauen in dessen Leben: seine Mutter Anna Maria, seine Schwester Nannerl, das "Bäsle" aus Augsburg, die erste große Liebe Aloysia Weber, die Primadonna Nancy Storace und zu guter Letzt natürlich Ehefrau Constanze. Über die Lebenswege dieser sechs Frauen erfährt der Leser soviel, wie jeweils überliefert ist. Lauer, der Philosophie in Berlin lehrt, kommt penibel-brav der Chronistenpflicht nach, aber das leider häufig in einem ausufernd-blumigen Plauderton. Er verliert sich regelmäßig dort in Mutmaßungen, wo keine Gewissheit zu finden ist, und stellt anbiedernd-peinliche Bezüge zur Gegenwart her. Wenn er Mozart ein "Fashion Victim" nennt, und bei dem Versuch, die amouröse Beziehung zum "Bäsle" zu definieren, Bill Clinton heranzieht, ist das weder erhellend noch unterhaltsam.

Während Enrik Lauer schon im Titel seines Buches ("Mozart und die Frauen") deutlich macht, dass er sich primär Mozart widmet, richtet Melanie Unseld in ihrem Buch die Aufmerksamkeit ganz auf die Frauen ("Mozarts Frauen"). Ihr stehen selbstverständlich nicht mehr Quellen zur Verfügung als Enrik Lauer; doch Melanie Unseld lässt diese Not erfinderisch werden: Sie geht musiksoziologisch an die Sache heran und fragt nach der jeweiligen gesellschaftlichen Rolle der Frauen und den Möglichkeiten, die ihnen ihr Umfeld zur Entfaltung bot. In erfrischender Knappheit und Präzision berichtet Melanie Unseld über biografische Details, fügt zum Kreis der Porträtierten Mozarts Schülerinnen, Komponisten-Kolleginnen und Primadonnen hinzu. Sie betreibt Musikwissenschaft aus der Gender-Perspektive, flüchtet sich nicht in Wortgeklingel, sondern benennt die Besonderheiten des 18. Jahrhunderts in musikgeschichtlicher und -soziologischer Hinsicht: Während die musikalische Ausbildung für den Hausgebrauch zum guten Ton in bürgerlichen und aristokratischen Kreisen gehörte, wurden professionelle Karrieren von Frauen mit Argwohn betrachtet; bestimmte Musikinstrumente galten für Frauen als unschicklich; Musikerinnen waren als Pädagoginnen gerne gesehen, als Solistinnen oder gar Komponistinnen mussten sie sich gegen Anfeindungen und üble Nachrede zur Wehr setzen.

Melanie Unseld macht in ihrem neuem Buch ganz deutlich, in welch hohem Maße der Erfolg einer Musikerkarriere im 18. Jahrhundert vom Geschlecht abhängig war. Und am Schluss der Lektüre steht die Erkenntnis, dass wir 2006 kein großes Musikjahr feiern würden, wenn Anna Maria Mozart am 27. Januar 1756 in Salzburg eine Tochter zur Welt gebracht hätte.


Enrik Lauer: Mozart und die Frauen
Gustav Lübbe Verlag, 2005
317 Seiten
19,90 Euro

Melanie Unseld: Mozarts Frauen
Begegnungen in Musik und Liebe
Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2005
192 Seiten
8,90 Euro