Motorradgottesdienst

Mit Gott unterm Helm

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Ein Motorradfahrer beim traditionellen Motorradgottesdienstes im Hamburger Michel. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Brigitte Schulz · 24.08.2014
Seit Jahrzehnten fahren viele Biker zu Gottesdiensten, selbst einen Motorradfahrer-Psalm gibt es. 40 Jahre "christliche Motorradarbeit" wird in drei Wochen gefeiert - denn, warum sollen nicht auch Männer und Frauen, die gern Motorrad fahren, Christen sein?
"Wir haben einen Flyer gesehen und da wir evangelisch sind und Motorradfahrer sind wir einfach mal dazugestoßen, um einen Gottesdienst zu hören."
"Ein Gottesdienst, einfach, um den Segen zu bekommen für die gute Fahrt, das ist doch ganz wichtig, weil Gott an meiner Seite sein soll bei jeder Fahrt."
"Unsere Leidenschaft ist das Motorradfahren und unsere Überzeugung ist christlicher Natur, und deswegen auch ganz klare Verbindung zwischen mir als Menschen mit meinen Eigenschaften als Christ und meiner Leidenschaft als Motorradfahrer."
Etwa 150 Motorradbegeisterte haben sich vor der Dorfkirche in Großziehthen bei Berlin versammelt; ihre schweren Maschinen parken an der Friedhofsmauer. Gleich werden ein katholischer und ein evangelischer Pfarrer die Predigt halten. Die Lesung aus dem Evangelium, Fürbitten und Gebete - all das übernehmen die Biker:
Psalm des Motorradfahrers:
"Ich will dich loben, du Gott des Himmels und der Erde.
Ich will dich loben, der du die Berge und die Seen meinem Auge zeigst.
Herr, wenn ich den Fahrtwind im Gesicht spüre, fühle ich deine erfrischende Gunst."
Organisiert wurde dieser Gottesdienst von der Gruppe Christ und Motorrad sowie dem evangelischen Pfarrer Bernd Schade. Seit 22 Jahren ist er ihr Seelsorger und bei den meisten Fahrten mit seiner Maschine dabei. Der Bikerpfarrer, wie ihn jeder hier nennt, ist Beauftragter für die kirchliche Arbeit mit Motorradfahrern der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg:

"Ich unterstütze meine Motorrad fahrenden Kollegen bei der der Durchführung von Gottesdiensten, dann werde ich gerne angesprochen zu Bikerhochzeiten und Motorradfahrer-Beerdigungen. Da sind wir zu recht kompetent, weil wir mit dem Ritus umgehen, ich bin sehr offen auch für Leute da zu sein, die eben nicht in der Kirche sind, aber Gott hat mich ja an alle Menschen gewiesen, das ist eben auch mein Auftrag und ich nehme den an und ernst in der seelsorgerischen Begleitung im Gespräch mit Menschen."
Jeden Dienstagabend trifft sich die Gruppe Christ und Motorrad: Sie plant die Aktivitäten der nächsten Woche, diskutiert über wichtige Lebensfragen oder feiert einen Gottesdienst. Manchmal geht man auch nur zusammen ein Eis essen oder spielt Mini-Golf. Im Mittelpunkt jedoch steht das Motorrad - ein besonderer Spaß sind die gemeinsamen Kochfahrten:

"Es gab mal so ein Buch, hast du Moped kannst du kochen. Ein Auspuff ist ja auf Betriebstemperatur heiß, man muss die Nahrung eben auch dran befestigend, dass die gegart werden kann. Dazu nimmt man sehr kräftiges Alupapier, und mit einem bisschen Bindedraht kann man das um den Auspuff wickeln, es kommen ja keine Gase ran, es ist ja sauberer als grillen und dann wird das da gebrutzelt innerhalb des Alupapiers. Und da gibt es halt bestimmte Regeln: 60 Kilometer bei Tempo Landstraße, dann sind die Kartoffeln durch und 40 Kilometer, dann ist das Steak auf den Punkt gebraten, das macht Laune und ist nichts Schlimmes. Und wenn es auch mit einer Danksagung genossen wird, ist es eine feine gemeinschaftsbildende Geschichte - wir machen dann auch eine kleine Andacht dazu."
Alle sozialen Schichten vertreten
Letztes Jahr unternahm die Gruppe Christ und Motorrad eine Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela, davor ging die Reise nach St. Petersburg. Regelmäßig bietet sie auch Sicherheitstrainings an, geleitet von Ehrenamtlichen, was das Ganze auch für finanziell nicht so gut Gestellte bezahlbar macht. Denn vom Arzt bis zum Hilfsarbeiter sind alle sozialen Schichten vertreten. Dass man hier gleichzeitig Freiheit und Geborgenheit findet, macht die Gruppe für viele besonders:
"Dieses relativ lockere Miteinander, nicht jeden Dienstag herkommen zu müssen ohne gleich abgemahnt zu werden, und dass bestimmte Leute sich gegenseitig tragen und jeder, der Hilfe braucht in irgendeiner Form, der hat auch immer jemanden, der ihn mitträgt das sind immer wieder andre, die den einen oder anderen mal mit auffangen und das eben auch schon über Jahrzehnte jetzt."
An diesem Dienstagabend wird diskutiert, wie man die Mahn- und Gedenkfahrt für die tödlich verunglückten Motorradfahrer am 14. September organisieren und bekannt machen wird: Es ist ein besonderer Tag, denn mit dem ersten Trauerkorso vor 40 Jahren begann die kirchliche Arbeit mit Motorradfahrern in Deutschland:
"Weil ein Motorradfahrer auf dem Kudamm tödlich verunglückte und der Pfarrer Bernd Jürgen Hamann damals sagte, Mensch, da können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen und müssen auch sehen, dass die Trauer der Motorradfahrer einen Ort hat. Und er fand zum Kudamm passend die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und organisierte dann dort einen ersten Trauerkorso mit Gedenkgottesdienst, da haben 300 Leute dran teilgenommen. Die Menschen, mit denen er dorthin fuhr, das waren auch Leute aus der Rockerarbeit, Bernd Jürgen Hamann war ein Rockerpfarrer, der gemeint hat, man müsste diese Randgruppe eben auch erreichen mit dem Evangelium und auch für ein Straftaten freies Leben."
Motorradgottesdienste haben sich mittlerweile in ganz Deutschland etabliert, doch mit der Rockerszene haben die meisten kirchlichen Motorradgruppen heute wenig zu - das gilt auch für die Gruppe Christ und Motorrad:
"Ich muss nicht alles gutheißen"
"Die Rocker haben eine eigene strenge Hierarchie, das passt nicht hier in die Gruppe , wir haben ein anderes Ordnungsprinzip, was jeweils auch veränderbar ist. Mit den neuen Menschen, die reinkommen, kommen natürlich auch Veränderungen und neue Ideen. Ja klar, ich hab ein bisschen Kontakte zu den Bandidos oder ein bisschen Kontakte zu anderen wie den Rolling Wheels oder so, und diese Leute sind auch immer bei den Mahn- und Gedenkfahrten mit dabei, allerdings nicht kenntlich durch Kutte, sondern eben zivil in Anführungszeichen.Ich kann als Seelsorger alles verstehen, aber ich muss nicht alles gutheißen, das ist ein Unterschied."
Und wie sehen die Rocker die christlichen Motorradfahrer?
"Die schmunzeln über uns. Wir sind nicht so hart wie die, wir fahren auch keine Harleys in der Regel, kann mir gar keine Harley leisten."
Trotzdem kommen auch Rocker zu den großen Gottesdiensten und der Mahn- und Gedenkfahrt - auch, wenn die meisten mit Kirche nichts zu tun haben und viele nicht gerade nach christlichen Prinzipien leben. Bernd Schade wundert das nicht:
"Ich denke, die wissen um ihre Sterblichkeit, vermutlich auch um die Vergeblichkeit all unseres Tuns, denn wer als junger Mensch dicke Lederweste trug und sich gerne mal prügelte, merkt, wenn er 50 ist, dass er das nicht mehr so kann. Da kommen dann eben auch mal ne Krebserkrankung als Erfahrung hinzu, da kommen auch gescheiterte Ehen oder eben Probleme mit Kindern dazu, so ganz alltägliche Sachen, die uns wiederum darauf hinweisen, dass das Leben vergänglich ist und dass wir einer höheren Gnade ausgeliefert sind. Und an solchen Punkten wie gerade dem Tod und das Gedenken das Bewusst werden der eigenen Sterblichkeit sind sie anwesend und öffnen sich der Transzendenz."
Um die 25.000 Biker kamen diesen Sommer zum Motorradgottesdienst in Hamburg, zur Berliner Mahn- und Gedenkfahrt im September erwartet man 4000. Doch die Zahl der Teilnehmer geht in beiden Großstädten zurück.
"Dafür erleben wir aber ein Aufblühen der regionalen Gottesdienste, also in Orten wie Fliegenberg oder in Teterow oder in kleinen Ortschaften gibt es plötzlich einen Motorradgottesdienst mit 100, mit 300 oder mit 3000 Leuten und ganz viel, und der Bedarf, der von uns erwartet wird, macht doch mal einen Gottesdienst, der ist so große, dass wir überlegen wie wir das alles in der Saison noch unterbringen können."