Morrissey fordert Fans heraus

Antiautoritäre Revolte, auch mit 60

08:57 Minuten
Morrissey steht bei einem Live-Auftritt auf der Bühne.
Morrissey bein einem Auftritt auf dem Firefly Music Festival. © Getty Images North America / Ilya S. Savenok
Andrian Kreye im Gespräch mit Andreas Müller · 22.05.2019
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Morrissey hatte schon immer ein Gespür für den Zeitgeist – das gelte nun auch für den Rechtspopulismus, sagt Andrian Kreye. Der "SZ"-Feuilletonchef berichtet vom Broadway-Konzert des Sängers und sucht nach Erklärungsmustern für dessen rechte Haltung.
Andrian Kreye, Leiter des Feuilletons der "Süddeutschen Zeitung", ist nicht schon in den 80er-Jahren mit der Band "The Smiths", sondern erst in den 90ern mit Morrisseys Musik in Kontakt gekommen. "Ich mochte seine Solosachen fast lieber als das, was er mit den Smiths gemacht hat", sagt er im Deutschlandfunk Kultur. Nun reiste Kreye nach New York, um ein Konzert des britischen Musikers am Broadway zu besuchen.
Dort war der frühere "The Smiths"-Frontman eingeladen, zehn Vorstellungen zu geben, unmittelbar nachdem Bruce Springsteen dort ein Jahr lang auf der Bühne gestanden hatte. "Es ist ein Versuch, in den Kulturkanon einzugehen, und zwar nicht nur als Rockstar", so beschreibt Andrian Kreye die Motivation für die Musiker, dort aufzutreten.

Immer nah am Zeitgeist

"Morrissey schafft es in den Texten immer wieder, über so eine Lakonie ein Lebensgefühl festzumachen, das zwischen Ironie und innerem Rückzug steht", das fasziniert Andrian Kreye an dem Künstler. Dabei sei der Sänger immer nah am Zeitgeist gewesen, in den 90ern und auch heute noch. "Leider ist er auch mit dem Rechtpopulismus beim Zeitgeist, allerdings nicht mehr bei dem seiner Fans", meint der "SZ"-Redakteur.
In einem "Spiegel"-Interview aus dem Jahr 2017 äußerte sich Morrissey pöbelnd über MeToo-Opfer und bejubelte den Brexit als Befreiungsschlag. Seit einiger Zeit unterstützt der Sänger zudem die rechte Splitterpartei "For Britain" und bewegt sich im Liedtext zu seinem Song "Spend the Day in Bed" in Richtung Lügenpresse-Theorien.
Morrissey habe sich selbst immer zum Wutbürgertum bekannt. Das stamme wohl aus einer "prinzipiellen antiautoritären Haltung, die in den 80er-Jahren immer sehr viel unideologischer wenn nicht sogar Ideologie-feindlich gewesen ist", sagt Kreye. "Es gibt mehrere Figuren, die von links weit nach rechts gerutscht sind – bei ihm ist es sehr extrem." Kreye beobachtete, dass seine Fans in Amerika regelrecht erleichtert waren, dass er sich auf der Broadway-Bühne nicht politisch geäußert hat.

Morrisseys Haltung für Fans schwer zu ertragen

Auf seiner neuen Platte "California Sun" covert Morrissey Songs von Bob Dylan und Phil Ochs, "was ja", so Kreye, "auch eine linke Tradition in der Popmusik ist." Für ihn betreibe Morrissey hier "kalifornisches Biedermeier, weil es der Rückzug ins ganz Private ist." Unter Umständen sei dies auch eine Reaktion darauf, dass er von den Debatten inzwischen sehr erschöpft sei. Allerdings sei er bei seinem letzten Fernsehauftritt wieder mit einem "For Britain"-Anstecker aufgetreten. "Dieses Antiautoritäre hat ihn einfach weit nach rechts gerückt – und da beharrt er jetzt auch drauf."
Andrian Kreye beschreibt dies als Zeitgeist, der noch etwas unterbelichtet sei, "weil natürlich in diesem Rechtspopulistischen ein revolutionäres Moment steckt, das man sehr viel lieber links sehen würde – gerade in der Popkultur. Aber da steckt natürlich auch eine Kraft drin." Auch die Kapitalismuskritik habe die Rechte in den letzten Jahren verstärkt an sich gerissen, auch in England, "und da entstehen neue Brüche, die interessant sind, aber auch sehr unangenehm und für die wirklichen Fans schwer zu ertragen."
(cdr)
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