Morddrohungen gegen Journalisten in Mexiko

"In dem Moment, wo du harte Fakten lieferst, bist du tot"

Eine Mahnwache für die ermordete Reporterin Miroslava Breach.
Am 23. März wurde die Reporterin Miroslava Breach getötet - laut Reporter ohne Grenzen ist Mexiko das drittgefährlichste Land für Journalisten. © Imago / Zuma Press
Marta Durán im Gespräch mit Ellen Häring · 03.05.2017
Auf der Liste der Pressefreiheit steht Mexiko auf Platz 147. Journalisten erhalten Morddrohungen, so wie Marta Durán. Sie sagt, es gebe keinen Schutz für sie und ihre Kollegen. Und: "Es gibt Selbstzensur, weil wir Angst haben."
Ellen Häring: Wie erleben Sie konkret die Bedrohungen im Alltag?
Marta Durán: "Also, ich erzähle mal von einem Fall, den ich gut kenne, es ist nämlich mein eigener. Ich wurde zuhause angerufen, auf dem Anrufbeantworteter war eine Morddrohung. Ich hab die Aufnahme zusammen mit der registrierten Telefonnummer zur Polizei gebracht und Anzeige erstattet. Es vergingen Monate – dann kam die Polizei zu dem Ergebnis, es sei ein Kind gewesen, das gespielt habe.
Ich hatte einen Anwalt von einer Organisation, die Journalisten unterstützt, der hat um eine Stimmanalyse gebeten. Denn es war eindeutig keine Kinderstimme, die da auf meinem Anrufbeantworter war. Aber die Polizei hat eine solche Analyse abgelehnt.
Dann habe ich gesagt, okay, dann möchte ich gerne das Kind kennenlernen, das mir Morddrohungen hinterlässt. Ich hab gesagt, ich möchte mich einfach nur versichern, dass dieses Kind existiert! Und die Polizei hat mir gesagt, nein, das geht nicht, wir sind verpflichtet die Rechte der Kinder zu schützen."
Ellen Häring: Das ist absurd und ich vermute, dass dann nichts passiert ist?
Marta Durán: Ich hab gesagt, ich will das Kind ja nicht foltern, ich will ihm nicht einmal eine Ohrfeige verpassen. Nein, dabei ist es dann geblieben.
Ellen Häring: Hatten Sie Angst?

"Ich war in höchster Aufregung"

Marta Durán: Ich war in höchster Aufregung. Denn in innerhalb von zwei Monaten hatten fünf Journalisten Morddrohungen bekommen, unter anderem ich. Wir kannten uns nicht untereinander. Aber drei von den fünf wurden ermordet.
Ellen Häring: Haben Sie irgendeine Ahnung, ob es einen konkreten Grund, also einen konkreten Artikel gab, weshalb Sie auf diese Art eingeschüchtert wurden?
Marta Durán: Es gibt ja Kollegen, die wissen genau, warum sie bedroht werden, wegen irgendwelcher Artikel oder Formulierungen, aber in meinem Fall weiß ich das nicht. Ich habe zu der Zeit über Frauenmorde geschrieben, über Waffen, über Korruption…
Außerdem helfe ich anderen Journalisten, die in Gefahr sind. Ich verstecke sie in Mexiko-Stadt, ich helfe ihnen, ins Ausland zu kommen und publiziere auch ihre Fälle. Das könnte ein Grund sein. Es sind auf diese Weise auch schon verschiedene Bücher veröffentlicht worden.
Ellen Häring: Es gibt in Mexiko ein Schutzprogramm für bedrohte Journalisten, aber man hört immer wieder, es funktioniert nur mäßig und wurde in ihrem Fall zum Beispiel einfach eingestellt, weil es angeblich ja nur ein spielendes Kind war, das Sie bedrohte. Wie schützen sich Journalisten in Mexiko?

"Schreib nie über einen Drogenboss, der lebt"

Marta Durán: Wir können uns nur gegenseitig schützen und uns an bestimmte Ratschläge halten, die uns von Organisationen wie Reporter ohne Grenzen gegeben werden. Und an die Erfahrungen der eigenen Kollegen. Zum Beispiel: Schreib nie über einen Drogenboss, der lebt und in Freiheit ist. Schreibe über jemanden, der tot ist oder im Knast sitzt. Das ist ein Kriterium.
Ellen Häring: Aber das ist ja auch eine Form der Zensur…
Marta Durán: Ja, natürlich, aber es gilt immer noch, dass keine Reportage ein Leben wert ist. Und hier in diesem Land gibt es keine leeren Drohungen, hier werden Drohungen wahr gemacht.
Aber es stimmt, es gibt Selbstzensur, weil wir Angst haben. Und es gibt auch Selbstzensur, weil Journalisten korrupt sind: Ich halte die Klappe oder ich wasche den Präsidenten rein, weil ich dann gewisse Privilegien habe, weil ich Geld dafür kriege - das gibt es auch.
Aber es gibt eben auch Umstände, da weißt du etwas und schweigst. Weil es nicht nur dein Leben ist, es ist auch das Leben deiner Familie. Es werden ja nicht immer nur die Journalisten umgebracht, sie töten auch deren Familien, und wenn es ganz schlimm kommt, ermorden sie dein Kind.
Ellen Häring: Muss man über bestimmte Themen schreiben, um derart bedroht zu sein und auf die schwarze Liste dieser Mörder zu kommen?
Marta Durán: Normalerweise bringen sie dich um, wenn du über die Verquickung von Politik und organisierter Kriminalität schreibst. Und wenn du dann noch konkrete Namen nennst, dann kann dich das dein Leben kosten. Wenn du aber allgemein über Korruption schreibst, keine Namen und keine Zahlen nennst, dann geht das. Aber in dem Moment, wo du harte Fakten lieferst, bist du tot.
Ellen Häring: Es ist ein ungeheurer Druck, der da auf diesen Kollegen lastet. Gibt es eigentlich Unterschiede oder werden alle gleichermaßen bedroht?

Bekanntheit kann ein wenig Schutz bieten

Marta Durán: Wenn du eine bekannte Journalistin bist, die Preise gewinnt und überall anerkannt ist, und wenn du zum Beispiel den Schutz gewisser europäischer Botschaften hier genießt, dann kann man dich nicht so einfach um die Ecke bringen. Es wäre zu auffällig.
Aber dann werden die Gesetze so lange gedreht und gewendet, bis für dich das Leben und Arbeiten unmöglich wird. Da werden Gerüchte gestreut, üble Behauptungen in die Welt gesetzt, man versucht, eine solche Journalistin zu diskreditieren und sie finanziell zu ruinieren, indem man sie mit Gerichtsprozessen überzieht, die absurd und an den Haaren herbeigezogen sind.
Aber wenn du als Journalist in der tiefen Provinz arbeitest und unbekannt bist – dann bringen sie dich um. Sie foltern dich. Und nicht nur das: Sie machen Hackfleisch aus dir. Sie schmeißen dich in Stücken in den Abwasserkanal oder legen deinen abgeschnittenen Kopf vor die Eingangstür der Zeitung, für die du geschrieben hast. So ist es kürzlich im Bundesstaat Tamaulipas geschehen.
Ellen Häring: Das ist Terror, kann man nicht anders sagen. Wie ist denn Ihr Fall eigentlich ausgegangen? Sie haben gesagt, dass die Polizei keine weiteren Untersuchungen veranlasst hat, weil es ja angeblich ein Kind war, das die Morddrohungen auf den Anrufbeantworter gesprochen hat. Gab es weitere Drohungen?
Marta Durán: Ich hab einen Aufstand gemacht. Es sind Artikel in mexikanischen und internationalen Zeitungen erschienen. Dann haben vier große Organisationen, die Journalisten schützen - darunter auch "Reporter ohne Grenzen" - auf den Fall aufmerksam gemacht. Danach hat mich nie wieder jemand angerufen oder belästigt. Es gab keine weiteren Drohungen mehr.
Und das interpretiere ich so: Ich glaube, das war jemand, der mich einschüchtern wollte, und zwar ein politischer Amtsträger. Er wollte mich mundtot machen, aber nachdem ich so einen Aufstand gemacht habe, war er selbst eingeschüchtert. So erkläre ich mir das.
Warum? Die organisierte Kriminalität geht nicht so vor, die drohen nicht, die töten.
Ellen Häring: Danke Marta Durán, freie und mutige Journalistin aus Mexiko, über ihre eigenen Erfahrungen mit der Pressefreiheit und die Arbeitssituation für Reporter in ihrem Land.
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