Monster, Mädchen und Motoren

Von Markus Metz und Georg Seeßlen · 18.08.2010
Vor 75 Jahren, am 6. Juni 1933, eröffnete in Camden/New Jersey das erste Drive-In Theatre. Das Autokino wurde schnell populär, vor allem als abenteuerlicher Ort für Teenager, voll mit Monstern, Cliquen und ersten Liebesabenteuern - zumindest in den USA aber auch als Familienort mit viel Popcorn und Träumen. Heute ist die Institution Autokino langsam am Verschwinden, während sie gleichzeitig ihren nostalgischen Reiz bewahrt. Die Entwicklung von Auto und Kino ist auseinander gelaufen, das Auto hat seinen Kultstatus verloren, die großen Brachräume für Autokinos fehlen in den Städten, die neue Technik verlangt andere Kino-Installationen und für das Rendezvous gibt es längst geeignetere Plätze.
"Der verbotene Glanz des Autokinos leuchtete weithin. Bis zu unserem Haus, bis zu unserer Wohnung, bis zu meinem Fenster mit den kleinen, selbsthaftenden Gummisternen, die es schon lange nicht mehr gibt. Es war nichts bestimmtes, kein Bild, nur ein fernes Licht. Man hatte nur schon viel davon gehört. Von schlechten Filmen und schlechten Mädchen, von Amerikanern und Gangstern, von viel zu viel Coca Cola, und alles war dunkel und ohne Aufsicht. Nur ein Auto musste man dazu haben. Wenn ich groß bin, das schwor ich mir an jedem Samstagabend, das erste, was ich dann mache, ist mir ein Auto zu kaufen und ins Autokino zu fahren."

Das Autokino ist in erster Linie ein Mythos der amerikanischen Kulturgeschichte. Es gehört zu den fünfziger Jahren wie Rock 'n' Roll, Pomade in den Haaren, Kaugummi zwischen den Zähnen, Comics und Farbe, jede Menge Farbe. Cadillacs in Pink oder mehrfarbige Cabriolets. Die goldenen Jahre von Pop und Teenager Kult.

Dabei wurde das erste amerikanische Autokino schon im Jahr 1933 in Camden, New Jersey eröffnet. Na schön, mit den späteren Drive-In-Theatres hatte das noch wenig zu tun. Richard Hollingshead Jr's erstes kleines Autokino fand zunächst wohl eher wegen seines Neuigkeitswertes Zuspruch.

Aber in der Provinz, wo Land billig war und die Bevölkerung nach billigem Entertainment lechzte, war ein Kino, in das man mit dem Auto fahren konnte und wo man nach Belieben essen, trinken und rauchen konnte, genau das Richtige.

"You'll enjoy the show more with steaming hot coffee!"

Und als 1941 kleine Lautsprecher entwickelt wurden, die in jedes einzelne Auto gehängt werden können, war auch der Filmton kein Problem mehr. Fehlte noch der Hamburger- und Popcorn-Stand - und das klassische amerikanische Drive-In-Kino war fertig.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die private Motorisierung noch einmal sprunghaft zu; der durchschnittliche Amerikaner verbrachte mehr Zeit in seinem Auto als an jedem anderen Ort, einschließlich des eigenen Betts. Und sprunghaft nahm auch die Bedeutung der Freizeit zu.

Das Kino war in den fünfziger Jahren, als das Fernsehen schon langsam das heimische Wohnzimmer zu besetzen begann, nicht mehr das kurze Vergnügen zwischen Fabrik und Wohnung oder der beste Ort einer ersten Verabredung, das Kino sollte ein Event sein. Alles sollte überlebensgroß sein, und besonders überlebensgroß wirkte es auf der Riesenleinwand eines Autokinos. Und schließlich entwickelte sich die Jugendkultur mit ihren eigenen Codes und Moden und nicht zuletzt mit eigenen Filmen, die ihren perfekten Platz fanden: Saturday Night at the Drive-In.

Das Autokino war Treffpunkt, magischer Ort, Abenteuerplatz. Das geschäftige Treiben vor der Riesenleinwand, beste Versorgung mit Snacks, Softdrinks und Süßigkeiten, die Dunkelheit ringsumher, der intime Raum des Autoinneren in aller Öffentlichkeit - das machte das Drive-In zum idealen Platz, den Übergang von der Kindheit in die Jugend zu zelebrieren. Dazu gehörte das Auto ebenso wie der Film auf der Leinwand, und dazu gehörte dieser Ort, der in manchen Provinzstädten nicht weniger als das Zentrum von Kultur und Entertainment war.

Was im Autokino der frühen Jahre zu sehen war, das waren die "guilty pleasures": Krimis mit Eddie Constantine, Horrorfilme mit Boris Karloff oder krude Science-Fiction-Phantasien. Filme für die großen Leinwände der Autokinos mussten nicht gut und nicht schön sein, nicht einmal besonders logisch oder spannend. Die Hauptsache war, dass immer irgendwas los ist.

Von 1950 bis 1958 wuchs die Anzahl der Drive In-Kinos in den USA von 1000 auf über 4000, gleichzeitig ging die Anzahl der traditionellen Filmtheater um 5000 zurück.

Die bewegliche Standheizung lockte die Zuschauer auch bei Wind und Wetter ins Drive-In, ja sogar im Winter. Neue Projektoren sorgten für schärfere Bilder. Mehr noch als der technischen Sensation und der Bequemlichkeit des Konsums aber verdankte das Autokino seine Popularität dem puritanischen Geist in Gottes eigenem Land.

Es ist nicht nur verboten, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. Genauso verpönt ist es, einfach zu zweit in einem parkenden Auto zu sitzen oder sich gar in der Öffentlichkeit zu küssen. So wurde für die amerikanischen Teenager das Autokino der perfekte Ort. Während oben auf der Leinwand Monster und Roboter ihr Unwesen trieben, hatte man Anlass und Gelegenheit, näher aneinander zu rücken oder einen Schluck aus der unter dem Sitz verborgenen Flasche zu nehmen.

Als sich die jugendlichen Subkulturen Mitte der sechziger Jahre andere, neuere und attraktivere Freiräume schufen, verloren die "Ozoner" - wie die automobilen Freiluftkinos auch genannt wurden - an Popularität. Für die Generation der Hippies und der rebellierenden Studenten war die immer noch etwas verklemmte Mischung aus Öffentlichkeit und Intimität unter dem Deckmantel eines Kinobesuches unakzeptabel. Fast unmerklich wurde das Autokino zum Relikt einer verklärten Vergangenheit in der Kultur- und Sittengeschichte Amerikas.

Die Geschichte des Autokinos in Deutschland begann verspätet aber mit großer Passion. Das erste deutsche Autokino wurde am 29. März 1960 in Gravenbruch bei Frankfurt am Main eröffnet.

Im guten wie im schlechten Sinne galt das Autokino anfangs als ein typisch amerikanisches Importgut, was vorwiegend den hier stationierten GIs das Leben versüßte und von der deutschen Bevölkerung nur zögerlich angenommen wurde. Eine unsichtbare soziale Barriere und die nicht ganz so unsichtbare Sorge von Eltern und Erziehern trennte die wilden, freien und proletarischen Jungen und Mädchen, die das Autokino besuchten, von den braven, langweiligen bürgerlichen Jungen und Mädchen, die das nicht taten.

Dass das Autokino gleichsam ein mythischer Ort der Pubertät war, machte diesen für die Europäer wohl ebenso suspekt wie seine tiefe Verbindung mit dem american way of life. Bürgerliche deutsche Familien schätzten es nicht, wenn sich der Nachwuchs an diesen Ort begab, wo auf der Leinwand mindestens ebenso sittliche Gefährdung stattfand wie im Wageninneren.

Es war nicht die biedere Filmwelt vom "Förster vom Silberwald" oder der "Prinzessin Sissi", was die meisten Leute hierher lockte. Es war aber eine Zeit, in der man womöglich das ländliche Amerika an Prüderie noch übertreffen wollte. In den ersten Autokinos in Frankfurt, Berlin und München kam es immer wieder vor, dass besorgte Eltern zwischen den Autoreihen ihre Sprösslinge suchten, vielleicht, weil sie den Spitznamen für die Drive-Ins gehört hatten: "Knutschkino". Nicht ganz zu Unrecht. Ernst Schneider arbeitet seit 1968 als Vorführer im Autokino:

"Das interessiert uns herzlich wenig, was die Leute da hinten links und rechts in den Ecken machen. Es sei denn, dass da große Dinge passieren. Wenn da ein Pärchen kommt und im Auto herumknutscht, das war doch schon immer das Ding des Autokinos. Das hat auch zur Beliebtheit beigetragen, dieses anonyme Vertrautsein - das können Sie in einem normalen Kino gar nicht bringen, da herumknutschen oder Sex in der dritten Reihe. Das sind unsere Momente im Autokino."

Im Gegensatz zum wilden Ruf der Autokinos geht es dort recht friedlich zu.

Ernst Schneider: "Ich habe in dieser ganze Zeit, die ich im Autokino war, keine schlechten Erfahrungen mit Rowdys gemacht, die haben sich immer anständig verhalten. Und es gab auf dem Platz sehr wenig Verkehrsunfälle, die Fans waren immer sehr vorsichtig, beim Wegfahren sind die sich immer gut einig geworden. Gut, es ist mal ein Lautsprecher abgerissen worden, mal eine Säule umrasiert, aber insgesamt keine großen Probleme. Früher in der Anfangszeit haben wir oft ausverkaufte Vorstellungen gehabt mit 1000 Autos, da gab es öfters Verkehrsstaus bis zur Autobahn, da hätte man das Autokino zweimal füllen können. Und Filmriss das war immer lustig: kaum ist der Film gerissen oder der Ton war weg, da ging dann ein Riesenhupkonzert los. Und der Chef wusste es am nächsten Tag sofort, weil im Hotel nebenan die Gäste sich über den Krach beschwerten."

Das zweite deutsche Autokino wurde 1965 in Berlin eröffnet. Es war von Anbeginn für ein deutsches Publikum bestimmt und gehörte zu einem neuen urbanen Konzept, Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit miteinander zu verbinden.

Zur Premiere des Autokinos Siemensstadt auf dem Dach eines Einkaufszentrums wurde "Beim siebten Morgengrauen" gezeigt, ein Kriegsabenteuerfilm mit William Holden, der in Malaysia spielt, und von russischen Terroristen handelt, die die Briten zum Abzug zwingen wollen: ein wunderbares Spektakel zu gleichen Teilen zusammen gesetzt aus naiven Action-Elementen und der Ideologie des Kalten Krieges.

Tatsächlich konnte sich das Autokino Siemensstadt auch als weithin sichtbares Zeichen der Modernisierung sehen lassen.

Die 450m2-Leinwand bestand aus Wind und Wetter trutzenden Eternit- und Glasplatten, 22 Meter hoch. Für 1030 Autos standen Lautsprecher und im Winter Heißluftgebläse als Heizung bereit. Die Anschlusssäulen boten auch eine Ruftaste für den übrigens ebenfalls motorisierten Verpflegungsservice.

Ernst Schneider: "Das Autokino hat ja schon immer als Servicekino fungiert: Hamburger, Drinks, Pommes und Bratwurst war schon immer ein großes Zusatzverdienst zu den Eintrittskarten. Damals 1968 gab es noch weder McDonalds noch Burger King, wenn man einen Hamburger essen wollte, den gab es nur im Autokino. Da kamen alleine deshalb die Leute, denen war es egal, was auf der Bildwand lief."

Ende der sechziger Jahre hatten mehr oder weniger alle großen deutschen Städte ihre Autokinos. Autokinos waren Teil einer Verlagerung des Lebens aus den alten Zentren in die neuen, industriell geprägten Hochhaussiedlungen in den Vorstädten. Entstanden sie doch vor allem an den Rändern der Stadt, auf Flächen, die anderweitig nicht zu nutzen waren.

Hinter dem Autokino, das wusste man auch aus amerikanischen Filmen und Songs, beginnt die Prärie. Und in der hintersten Reihe, in der sogenannten "lovers lane" ohne neugierige Augen von hinten, begann - zwischen dem Angriff der Marsmenschen und der nächsten Runde Cola und Pommes - die Liebe, oder jedenfalls das, was man im Autokino-Alter dafür halten mag.

In den USA waren Autokinos aber nicht nur Treffpunkt der Jugend, sondern bald auch ein Vergnügen für die ganze Familie. Ein Vergnügen, dass so sehr zum american way of life gehörte, dass man die Wurzeln dafür in der Steinzeit vermuten musste. Jedenfalls in jener Steinzeit, in der sich ein gewisser Fred Feuerstein mit seiner Familie im Dino-Drive-In, während er auf den Film wartet, so viel steinzeitliches Fast Food servieren lässt, dass sein Wagen der Last nicht mehr gewachsen ist.

"Wilmaaa!"

Um dem Desinteresse der Jugendlichen zu begegnen, richteten die Autokino-Betreiber etwa Kinderspielplätze ein, erweiterten das Angebot durch Minigolfplätze, Picknick-Feuerstellen und Spezialitätenrestaurants.

Es half nicht viel. Als in Deutschland der Boom der Autokinos gerade seinen Höhepunkt überschritt, da war im Ursprungsland USA das Sterben der Drive-In-Theatres schon in vollem Gange - vor allem wegen des ausgeprägten Hungers nach Bauland in den Suburbia-Gürteln, der Konkurrenz des Fernsehens, der Landflucht.

Was ursprünglich der große Vorteil des Autokinos gewesen war, das Empfinden draußen und unter freiem Himmel zu sein, geriet nun, als die Verhältnisse rauer wurden, zu seinem Nachteil. Das Autokino wurde von einem Ort, an dem man Bilder vom Unheimlichen genießen konnte, selber zu einem unheimlichen Ort.

Der kleine brillante Film "Targets" von Peter Bogdanovich brachte das im Jahr 1968 zum reinsten Ausdruck. Der alternde Horrorfilmstar Byron Orloc alias Boris Karloff will nach einem Werbetermin in einem Autokino, den er stoisch und mürrisch über sich ergehen lässt, der Traumfabrik Ade sagen. Er weiß, dass seine Art von Horror mit der realen Welt nichts mehr zu tun hat. Zur gleichen Zeit hat aber der eher unscheinbar wirkende Familienvater Bobby Thompson dieses Autokino als Ort seiner ziellosen Rache ausgewählt; aus sicherem Versteckt erschießt er mit seinem Präzisionsgewehr einen Besucher nach dem anderen. Bis er schließlich Orloc gegenübersteht, der ihm wie ein Gespenst aus der Leinwand entgegentritt und seinem kalten Amoklauf ein Ende bereitet.

Dass diese Begegnung zwischen dem alten und dem neuen Grauen ausgerechnet in einem Autokino stattfindet, hat sicher nicht nur dramaturgische Gründe. Im Jahr 1968 muss dieser magische Ort zu einem jener Symbole der amerikanischen Pop-Kultur gehören, die im Vietnamkrieg so gründlich verloren gehen. Der weite Himmel, der zum Mythos des Autokinos gehörte, ist in "Targets" nur noch eine Gefahr.

Wenn seitdem, jenseits von Horror oder Parodie, in amerikanischen Filmen Autokinos vorkommen, dann geht es immer um Vergangenheit, um verlorene Tage der Unschuld und der Neugier. Das Autokino war kein Zukunftsort mehr, weil beide, das Auto wie das Kino, nicht mehr von Optimismus und Weite träumen konnten.

Während in den Städten die Autokinos von den urbanen Wucherungen aufgefressen wurden, verwandelten sie sich in der Provinz in mehr oder weniger malerische Ruinen, in Monumente einer vergangenen Zeit. Kein Wunder, dass die Zeitreise den Helden von "Zurück in die Zukunft" mitten durch die Leinwand eines toten Autokinos von der Gegenwart direkt in die Traumwelt des Wilden Westens führt.

"Ich konnte es kaum glauben. Ich war im Autokino! Hinter den Fahrersitz gekauert; ich glaube, die Kartenverkäuferin, bei der später mein Bruder unsere drei Colas holte, hat mich gesehen. Aber sie hat nichts gesagt. Ich liebe sie noch heute. Geknutscht wurde nicht in unserem Auto, vielleicht lag das an mir. Nebenan wurde schon geknutscht. Aber ich wollte ja den Film sehen. Als die Lichter ausgingen, fingen alle an wie wild zu hupen. Ich dachte, jetzt muss etwas ganz schreckliches passiert sein. Aber die Freundin meines Bruders lachte und sagte, das macht man hier immer so. Und dann kam Steve McQueen und fuhr Autorennen und sagte coole Sachen und schaute, als wenn ihn alles nichts anging. Wenn ich groß bin, werde ich wie Steve McQueen, soviel ist sicher."

Walter Jann, geschäftsführender Gesellschafter der "Jann Werbe- und Filmbetriebs-GmbH: "Meine Firma kann sich zurecht als Retter der Autokinos bezeichnen, denn wir haben 1970 die Idee von privaten Gebrauchtwagenmärkten in die Autokinos gebracht. Das heißt Privatleute und Händler können gegen eine Gebühr ihre Autos zum Kauf anbieten. Ich habe mich damals an die Autokino-Besitzer gewandt und gefragt, ob sie uns an Wochenenden ihre Flächen zur Verfügung stellen. Ohne diese Nebengeschäfte wie inzwischen auch Trödelmärkte gäbe es in Deutschland keine Autokinos mehr."

Walter Jann übernahm dann Mitte der 80er Jahre gleich den größten Teil der deutschen Autokinos und schaffte es in zähen Verhandlungen mit den Filmverleihern, dass seine Autokinos auch die Spitzenfilme zur Erstaufführung bekamen.

Während das Autokino, was das Programm anbetraf, mit den City-Kinos und Multiplexen durchaus konkurrieren konnte, verbesserte sich auch noch einmal die Tontechnologie.

Ernst Schneider: ""Erst war der Lautsprecher mit 3 Watt, die hatten einen ganz guten Klang, wenn sie neu waren, aber die hingen ja immer im Freien, und die Witterung hat ihnen nicht so gut getan. Dann kam eine Phase mit Tonkassette, die war zwar noch mit Kabel verbunden, das war eine Kupplungskassette, Tonkopf auf Tonkopf, so ist dann die Frequenz geflossen. Das war auch eine Verbesserung gegenüber dem Lautsprecher, aber es war noch nicht in Stereo."

Heute wird der Ton per UKW-Frequenz direkt an die Autoradios übertragen. So ist ein Autokino auch ein idealer Ort, um Freunden oder Freundin zu demonstrieren, welche Power man in seiner Autostereo-Anlage hat!

Aber weder große Erfolgsfilme noch technischen Innovationen konnten die Krise der Autokinos in Deutschland aufhalten. Sie begann in den späten siebziger Jahren und erreichte ihren Höhepunkt Anfang der achtziger Jahre.

Jann: "Der Einbruch der Autokinos kam durch drei Gründe: zum einen die Einführung der Sommerzeit, das Tageslicht hat sich um eine Stunde verschoben; das zweite war die aufkommende Videowelle, dass Sie zuhause Filme anschauen konnten; und das dritte war die Zunahme von Filmsendungen im Fernsehen. Damals in 60er/70er Jahren hatten wir bis zu 500.000 Besucher pro Autokino, heute zwischen 50.000 und 100.000 Besucher."

Walter Jann ist heute Mr. Autokino Deutschland. Auch wenn von seinen ursprünglich 11 Autokinos in den alten Bundesländern nur noch fünf übrig sind.

Immerhin! Ist doch das Autokino im übrigen Europa eine ausgestorbene Spezies. Nur in Deutschland konnte ein kleiner Bestand gerettet werden.

Jann: "Wir haben selber versucht, in Rom und Paris Fuß zu fassen, das ist uns nicht gelungen. Es ist eine spezielle deutsche Mentalität, die zum einen die Autokinos noch leben lässt und zum anderen dafür sorgt, dass die Nebengeschäfte ein Erfolg sind. Heute ist es so, dass Zusatzgeschäfte im Autokino 80-90 Prozent des Ertrages bringen und Kino die restlichen 10-20 Prozent. Der Bestand der jetzigen fünf Autokinos ist gesichert, weil meistens auf den Grundstücken nichts anderes gebaut werden kann. Ich tue alles, um dafür zu sorgen, dass dieses Kultkino in den alten Bundesländern noch eine Weile existiert."

Eine ökonomisch tragfähige und kulturell bedeutende Renaissance des Autokinos wird es wohl nicht geben. Dass die cineastischen Kultstätten überleben, hat zum einen mit Nostalgie und erfolgreichen Gebrauchtwagenmärkten zu tun.

Zum anderen vielleicht auch mit Ostalgie. Aus den Ländern der ehemaligen DDR nämlich kommt eine ganz andere, bescheidenere und spontanere Tradition des Autokinos, das Drive-In als Sommervergnügen ohne viel technologischen Aufwand, aber mit viel Passion für das gemeinsame Event.

Jann: "Die Autokinos in den neuen Bundesländern sind nicht zu vergleichen mit alten: dort mietet man Parkplätze von Badeanstalten oder anderen Freizeiteinrichtungen, stellt dort große Lautsprecher auf und baut eine Leinwand von vielleicht 200m2 auf. Die westdeutschen Kinos haben Platz für 1000 Autos und Leinwände von 540 m2. Es ist also nicht unbedingt vergleichbar."

Wenn heute in den USA ausnahmsweise mal ein Drive In-Kino neu oder wiedereröffnet wird, freuen sich die Zuschauer wie über die Rückkehr eines alten Bekannten.

Das Autokino hat sich verwandelt von einem utopischen Ort der medialen, automobilen und sozialen Zukunft in einen Ort des nostalgischen Kults, eine Reise zurück in die Zeit an einen Ort, wo das alles noch geholfen hat: Jung sein, automobil sein, träumen können und über sich nichts als den weiten Himmel zu haben.

Jann: "Autokinos gehören eigentlich unter Denkmalschutz gestellt, deswegen sprechen wir von Kultkinos."

Es ist eine besondere Ironie der Kulturgeschichte, dass ausgerechnet jenes Land, dass sich bei der Einführung der neuen automobilen Traumfabriken am schwersten tat, nun das einzige ist, dass diese Relikte des american way of life noch pflegt. Autokino, Drive-In, Cineparco, Autocine, Le Drive-In, Inrijbioscoop - ein verlorener Traumort unserer Kulturgeschichte?

Eine Sehnsucht nach diesem ein bisschen unmöglichen Ort der Kommunikation und der Träume gibt es hier wie dort. In den Internet-Foren kann man begeisterte Kommentare von Leuten lesen, die entweder zum ersten Mal oder seit langen Jahren wieder ins Autokino gegangen - nein, natürlich gefahren sind.

"Autokino ist eine Mischung aus Heimkino und Echt-Kino. Chips und Bier und Partner bringt man selber mit, die Lautstärke regelt man selbst, ich kann mich unterhalten, wie ich will. Gleichzeitig sitzt man im Publikum, sieht, wie sich die Leute im Auto die Zigaretten anzünden, kommentiert die Einparkversuche der Fahranfänger. Die Kommunikationswissenschaft sollte dafür den Begriff des semidispersen Publikums einführen. Ach ja, und einen Film gab's ja auch noch. Indiana Jones. Hält genau, was er verspricht."

Nach der Definition des Kommunikationswissenschaftlers Gerhard Maletzke aus dem Jahr 1963 ist das disperse Publikum eines, das im Gegensatz zum Publikum von Theater, Kino oder öffentlicher Versammlung räumlich und unter Umständen auch zeitlich voneinander geschieden und daher ohne direkte Kommunikation zueinander ist. Fernsehzuschauer etwa kennen einander zwar nicht, sie wissen aber, dass die anderen existieren, die genau wie sie selbst an keinerlei Vorschriften und Sitten gebunden sind. Tatsächlich ist das Publikum in einem Autokino in der privilegierten Lage, selber zu entscheiden, ob und wie dispers oder gemeinschaftlich man sich verhalten will.

Man kann sich hier zugleich fühlen wie vor dem heimischen Bildschirm und wie in einem traditionellen Kino: Man ist eine verschworene Gemeinde, die durchaus gewisse Rituale kennt wie den Gebrauch der Hupe und die konkrete Kommunikation wie die Treffen an der Snackbar oder die bewundernden Blicke auf die aufgemotzten Automobile der Nachbarn. Gleichzeitig bietet diese Situation aber auch die Möglichkeit, sich vollkommenen zurückzuziehen in eine Privatsphäre für kulinarische oder erotische Sorglosigkeit. Ein Schnittpunkt der Kommunikationsfreiheit, wenn man so will.

Das Autokino ist daher zwar einerseits eine nostalgische Erinnerung an eine automobile, optimistische und vergnügte Gesellschaft vor Energiekrise und Satelliten-Fernsehen. Es ist andrerseits aber auch das lebende Museum für einen missing link in der Kommunikationsgeschichte der Gesellschaft des Spektakels.

Die beiden bedeutendsten Medien der Welt-Erfahrung des zwanzigsten Jahrhunderts, das Auto und das Kino, treffen sich hier noch einmal. Und dass sie nicht mehr von einer großen Zukunft der inneren und äußeren Bewegung erzählen, sondern von vergangenen Abenteuern, das passt zu einer Sehnsucht nach einer materiellen Welt.

Viel schneller und effektiver ist man heute im Internet unterwegs, wo man sich ebenso bequem einen Film herunterladen wie seine Fast Food-Ration bestellen kann. Aber Autos in langen Reihen, eine gemeinsame Riesenleinwand, Pausen im Film, in denen sich mehr oder weniger alle zu einem kurzen Aufenthalt an der Snackbar treffen - das ist noch etwas Anderes, etwas Reales. Genau wie oben auf der Leinwand, wo Indiana Jones, auch nicht mehr der Jüngste, noch einmal sein Peitsche schwingt. Vielleicht als letzter in einer langen Kette der Autokino-Helden.

"Ich fühlte mich wie in einer verdoppelten Welt. Ich konnte gar nicht mehr unterscheiden, was realer und was verrückter war: das was auf der Leinwand geschah, die Lichter und Schatten ringsumher oder das trauliche, verschworene Miteinander im Auto drinnen. Vielleicht kann man sich ja daran gewöhnen, dachte ich, so cool wie mein Bruder und seine Freundin mit all den Attraktionen und Geheimnissen umgingen. Für mich aber war es nach dem ersten Weihnachtsbaum mit seinen brennenden Kerzen das größte Wunder meines Lebens. Und verboten war es außerdem. Jeder Blick, auf die Leinwand, auf die Schatten da draußen und im Wagen herum war eine Beute. Und dann hat Steve McQueen auch noch das entscheidende Rennen gewonnen."

Kein Wunder, dass dieser Ort, der in der Wirklichkeit unserer Städte einen so schweren Stand hat, seine Magie nicht ganz verliert. Das Autokino ist einer der letzten realen Orte in einer zunehmend virtuellen Welt, ein nostalgischer Ort, an dem man aber nichts vermissen muss, was die aktuelle Medienwelt an Attraktionen hergibt.

Nicht dass Autokinos heute noch für den Bestand der audiovisuellen wie der automobilen Kultur von grundsätzlicher Bedeutung wären. Aber vielleicht verhält es sich wie mit allen Dingen, die beinahe verschwinden, weil sich Politik und Profit anders bewegen als Traum und Sehnsucht. Es wäre schön, wenn es Autokinos noch gäbe, so lange es Autos und so lange es das Kino noch gibt.