Monotheistische Religionen in einer Fakultät?

"Das Kopftuch war niemals ein Thema"

Die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika.
Die Islamwissenschaftlerin Armina Omerika. © picture alliance / dpa / Hannibal Hanschke
Armina Omerika im Gespräch mit Philipp Gessler · 23.07.2017
Die Professorin Armina Omerika lehrt die Ideengeschichte des Islam. Auf einer Tagung der Katholischen Akademie reflektierte sie darüber, ob eine Fakultät möglich ist, an der unter einem Dach über die monotheistischen Religionen geforscht wird.
Philipp Gessler: Armina Omerika sieht nicht wirklich so aus, wie man sich eine Professorin für Islamische Theologie geheimhin vorstellen mag: kein Kopftuch, keine professoralen Allüren, um sich in der immer noch stark männlich geprägten akademischen Welt leichter Gehör zu verschaffen, keine hoch gezwirbelte Sprache, die nur noch Insider verstehen. Stattdessen eine schwarz gekleidete, noch ziemlich junge Wissenschaftlerin mit offenem schwarzen Haaren und gutem Witz – und noch besserer Selbstironie, die ihr enormes Wissen und ihre gedankliche Schärfe hinter schlichter Sprache fast versteckt. Sehr erfrischend! Armina Omerika war eine der rund zwei Dutzend hochkarätigen Fachleute, die am Dienstag der zu Ende gehenden Woche in der Katholischen Akademie auf Einladung der Akademie in Berlin und des Erzbistums Berlin die Möglichkeiten eines kühnen Projekts erörterten: Wie könnte es möglich sein, in der deutschen Hauptstadt eine Fakultät oder einen Campus zu etablieren, in dem die Theologien des Judentums, des Christentums und des Islams möglichst unter einem Dach forschen und lehren könnten – auch zu gemeinsamen Themen der heutigen Zeit, etwa zum Fundamentalismus in den monotheistischen Religionen? Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, etwas Geld ist da. – Deshalb habe ich Armina Omerika dazu befragt.
Meine erste Frage aber an sie war zunächst, wie sie die Entwicklung der Islamischen Theologie in Deutschland, einer erst sehr jungen Disziplin hierzulande, einschätzt und ob da vom Niveau her nicht noch einige Luft nach oben wäre.
Armina Omerika: Na ja, zunächst einmal ist das in der Tat eine sehr beachtliche Entwicklung gewesen innerhalb sehr kurzer Zeit. Also, alle sechs Standorte der islamisch-theologischen Studien in Deutschland haben sehr, sehr schnell ein … ich würde schon sagen: sehr hohes Niveau an Organisation, an Planung überhaupt, an der Etablierung oder Grundsteinlegung des Faches erreicht, das innerhalb dieser kurzen Zeit tatsächlich vielleicht auch einmalig ist für Deutschland. Wenn man sich anschaut, das ist eine sehr junge Disziplin, aber es gibt mittlerweile einen ausgebildeten akademischen Nachwuchs, und zwar einen gut ausgebildeten akademischen Nachwuchs, das Fach ist sehr beliebt unter den Studierenden. Also, an allen Standorten werden große Einschreibungszahlen verzeichnet. Es ist aber in der Tat natürlich noch ein Prozess. Und für so eine Disziplin, so eine ganz junge, vielleicht sogar die jüngste Disziplin an den deutschen Universitäten ist das in der Tat eine sehr lobenswerte Leistung. Natürlich ist es so, dass wie bei jedem neuen Fach es immer Raum nach oben gibt.
Und ich würde sagen, jetzt kommt eben eine Phase, wo man sich noch einmal viel intensiver untereinander auch unterhalten muss, was neben den praktischen Erwägungen, die bis jetzt hauptsächlich auch im Vordergrund standen, was der nächste Schritt ist in einer wissenschaftstheoretischen Bestimmung der islamischen Theologie in Deutschland. Man muss sich auch noch untereinander intensiver darüber austauschen, was denn die Zukunftsperspektiven des Fachs sind, also, welche Profile strebt man an? Und vor allem auch darüber, was die Zukunfts- und Berufsperspektiven der eigenen Studierenden sind, von denen es, wie ich bereits sagte, sehr viele gibt. Das sind also die großen Fragen, die jetzt erst diskutiert werden können, weil sich jetzt erst diese Lage auch nach dieser ersten, sehr schnellen oder, wenn Sie so wollen, sehr intensiven Aufbauzeit der Raum für solche Diskussionen überhaupt eröffnet.

"Sicherlich gibt es auch eine gewisse Skepsis"

Gessler: Wie sieht das aus mit der muslimischen, sagen wir mal, Community oder Minderheit in Deutschland? Ist die wirklich fasziniert von diesen theologischen Fakultäten oder gilt das irgendwie als zu modern? Ist das etwas zweifelhaft? Da laufen auch Leute rum, die vielleicht kein Kopftuch tragen et cetera. Wie ist da so die Stimmung?
Omerika: Ich glaube nicht, dass man diese Frage generell beantworten kann oder dass man da überhaupt eine Antwort drauf geben kann. Das hängt natürlich davon ab, wen Sie fragen. Wenn man sich die Studierendenzahlen anschaut und tatsächlich auch anschaut, dass sie jedes Jahr um einiges auch noch steigen, dann ist das für mich zunächst einmal klar, dass unter jungen Muslimen und Musliminnen vor allem ein großes Interesse genau darin besteht, sich halt eben auch an der Universität mit diesen Fragestellungen zu beschäftigen und praktisch eine andere Wissensordnung oder islamische Wissensordnung tatsächlich auch kennenzulernen als die, die man persönlich im eigenen Umfeld, im engen familiären oder auch Moschee-Umfeld bekommen hat. Unter den Religionsgemeinschaften sieht die Situation auch wiederum unterschiedlich aus, würde ich sagen. Kooperationen gibt es auf jeden Fall und Gespräche gibt es auch zwischen den Theologien und Religionsgemeinschaften, auch wenn manchmal der öffentliche Eindruck ein ganz anderer ist.
Aber sicherlich gibt es auch – und das ist vielleicht auch nicht so überraschend – eine gewisse Skepsis, gerade innerhalb der Reihen des organisierten Islams gegenüber vielleicht Konkurrenzmodellen, die da an den Universitäten entwickelt werden. Das ist aber nicht unbedingt eine Skepsis, die essenzieller Natur ist, sondern ich würde sagen: Sehr häufig kommt das einfach auch daher, dass man sich darunter auch nicht unbedingt viel vorstellen kann. Wenn es dann wiederum zu Kontakten kommt und wenn man dann eben auch tatsächlich transparent und auch plausibel macht, dass das, was an den Universitäten passiert … anschaulich macht, nicht eine Konkurrenzveranstaltung ist, sondern eine ganz andere Art natürlich der Reflexion der eigenen religiösen Tradition, dann nimmt das schon sehr viel von der anfänglichen Skepsis weg.
Gessler: Sie tragen jetzt kein Kopftuch. Ist das für manche muslimischen jungen Studentinnen ein Problem, dass da die Frau Professorin offensichtlich das Kopftuch, was ja ein Symbol für viele ist, nicht trägt?
Omerika: Bei Weitem bin ich nicht die einzige Hochschullehrerin in der islamischen Theologie, die kein Kopftuch trägt. Aber es ist tatsächlich so … Also, wenn das problematisch sein sollte, dann bin ich damit niemals offen konfrontiert worden. Insofern habe ich da keine schlechten Erfahrungen. Meine Erfahrungen im Gegenteil sind tatsächlich die, dass unabhängig davon, wie die Studierenden selbst aussehen und wie sie sich kleiden, im Endeffekt … Was geschätzt wird, ist ein Unterricht, der eben auf ihre Bedürfnisse eingeht, der auf die Bedingungen eingeht, die sie mitnehmen, und der letztendlich zu einem Wissenszuwachs führt. Also, zumindest kann ich das den Evaluationen entnehmen, die ich bekomme. Das Kopftuch war bis jetzt, in all diesen Jahren meiner Tätigkeit niemals ein Thema gewesen.
Gessler: Sie haben das ja auch angedeutet, dieser große Zwiespalt zwischen Schiiten und Sunniten. Wirkt der sich auch in irgendeiner Weise auf Ihre Fakultät oder auf Ihre Lehre aus? Müssen Sie vielleicht besonders vorsichtig sein bei manchen Fragen? Oder ist es am Ende sogar so, dass im Alltag die große Unterscheidung, die große Spaltung gar keine große Rolle spielt?

Aufarbeitung eines gemeinsamen Erbes

Omerika: Das Institut für Islamische Studien in Frankfurt versteht sich in erster Linie als Institut, das eine überkonfessionelle, bekenntnisorientierte und vor allem erkenntnisorientierte islamische Theologie betreibt. Und das bedeutet, dass wir uns da keineswegs in ein professionelles Korsett pressen lassen, nicht von dem Anspruch her. Dementsprechend ist auch die Studierendenschaft eigentlich sehr heterogen. Also, wir haben unter den Studierenden Angehörige fast aller Determinationen, die es im Islam gibt. Da sind Studierende mit einem schiitischen Hintergrund oder religiöser Zugehörigkeit dabei, natürlich demografisch bedingt die größte Mehrheit mit einem sunnitischen Hintergrund, aber halt eben auch die Ahmadiyya und konfessionslose Studierende oder überhaupt nicht religionsgebundene.
Also, dieser Anspruch, sich nicht von gegenwärtigen politischen Identitätsformationen, wenn Sie so wollen, Konflikten in der eigenen wissenschaftlichen Ausrichtung bestimmen zu lassen, das spiegelt sich sowohl in der Lehre in unserem eigenen Anspruch als Institut als auch in der Zusammensetzung der Studierenden. Und bis jetzt habe ich auch keine Konflikte im Alltag eigentlich erlebt. Eine solche Art der Aufteilung lässt sich auch wissenschaftshistorisch nicht aus den islamischen Wissenstraditionen heraus begründen. Das sind natürlich politische oder, wenn Sie so wollen, auch konfessionelle Einteilungen, die es ja immer gegeben hat, und die waren auch teilweise sehr wirksam und haben auch zu Konflikten geführt in der Neuzeit, und vor allem in den letzten Jahrzehnten zu besonders starken und blutigen Konflikten.
Aber wenn Sie das islamische Wissenserbe aufarbeiten wollen in bestimmten Disziplinen, dann werden Sie feststellen, dass es da diese Einteilung gar nicht in dieser starken Form gab, wie man sich das heute vorstellen würde. Und dass halt eben Exegeten aus dem Bereich der Koran-Exegese, also der Koran-Interpretation und -Deutung, unabhängig davon, welcher Schule sie selbst angehörten, tatsächlich auch auf Werke von anderen zurückgegriffen haben, die ja aus anderen Traditionen oder Konfessionen kamen. Das gilt auch für andere Disziplinen. Diesen Anspruch praktisch, Wissen und Wissenschaft auch als eine universale Angelegenheit zu betrachten und fruchtbar zu machen, ohne jetzt eine Verortung entlang von politischen oder heutigen sektiererischen Linien zu nehmen oder zu vollbringen, diesen Anspruch versuchen wir, so gut es geht zu verwirklichen.
Gessler: Nun sind wir hier in der Katholischen Akademie und es wird hier auch darüber diskutiert, ob es in irgendeiner Weise eine Art interreligiöse Fakultät geben sollte eines Tages. Die Chancen sind vielleicht nicht so schlecht oder auf jeden Fall besser, als man vielleicht früher erwartet hätte. Können Sie sich das vorstellen, eine Fakultät, in der es tatsächlich gleichzeitig islamische theologische Professorinnen und Professoren gibt und jüdische und christliche, unter einem Dach? Ist das eine Vision, die Ihnen gefällt?
Omerika: Na ja gut, das ist, wenn ich das richtig verstanden habe, eine von möglichen Optionen, die im Moment hier für Berlin ausgehandelt werden. Es gibt sicherlich viele Gründe, die dafür sprechen würden. Gerade halt eben auch ein gemeinsames Anliegen von Theologien, sich praktisch aus unterschiedlichen, natürlich, aber strukturell einer gemeinsamen Perspektive … bestimmten Problemen der heutigen Zeit halt anzunähern. Das ist der eine Punkt.
Der andere Punkt wäre natürlich auch ein gemeinsames historisches Erbe, das die meisten Religionen, die wir heute in Deutschland finden, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt teilen. Also, meines Erachtens ist die Aufarbeitung dieses gemeinsamen Erbes eine Angelegenheit, die noch weiter entwickelt werden muss, weil sie noch ungenügend stattgefunden hat, insbesondere auch im Hinblick darauf, welche Konsequenzen man halt daraus auch zieht für die eigenen, heutigen Positionierungen in der Welt.
Gessler: Können Sie das ein bisschen konkreter sagen? Welche Situationen meinen Sie da?
Omerika: Da gibt es eine jahrhundertealte Geschichte von gegenseitigen Begegnungen, nicht immer unbedingt friedlichen Begegnungen natürlich, aber Kontakt. Der hinterlässt Spuren auch dann, wenn er nicht unbedingt friedlicher Natur ist. Insofern würde ich sagen, dass das halt eine Möglichkeit wäre, das tatsächlich aufzuarbeiten. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass für eine heutige islamische Universitätstheologie natürlich auch andere Disziplinen eine ganz, ganz wichtige Rolle spielen und dass der Austausch beziehungsweise das Gespräch mit diesen Disziplinen nicht ausbleiben darf, wenn sich das islamische Denken weiterentwickeln soll – was es meines Erachtens muss.
Eine interessante Beobachtung wäre beispielsweise zu sehen, dass gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die wichtigsten Impulse für eine Erneuerung des islamischen Denkens, die letztendlich auch zu komplett neuen Ansätzen in der Koran-Exegese oder in der Offenbarungstheologie geführt haben, aus der Literaturwissenschaft und aus der Philosophie kamen und nicht aus den klassischen Disziplinen der islamischen Theologie. Und diese Wechselwirkungen, wenn Sie wollen, also wissenschaftlichen oder ideengeschichtlichen Wechselwirkungen, sind nicht alleine im Rahmen von, sagen wir mal, fest oder essentialistisch gedachten theologischen Disziplinen zu denken, wie sich das manch einer vielleicht heute vorstellt, sondern gehen weit darüber hinaus.

"Wir reden hier von Kriegen"

Gessler: Noch eine Frage hätte ich, die vielleicht ein bisschen groß ist: Es gibt ja immer wieder diese Hoffnung, dass sich hier in Europa, vielleicht auch hier in Deutschland gerade durch diese Förderung in den letzten Jahren der islamischen Theologie etwas wirklich Neues entwickelt, eine irgendwie liberale, moderne Theologie. Jetzt nach sechs Jahren, wo man Erfahrung gesammelt hat, glauben Sie, diese Hoffnung ist gerechtfertigt, entsteht da etwas wirklich Neues?
Omerika: Also, mit Begriffen wie liberale Theologie und moderne Theologie wäre ich tatsächlich vorsichtig, weil sie in ihrem ganzen Spektrum auch theologische Ausrichtungen mit einschließen, die sich nicht unbedingt immer einer wissenschaftlichen Fundierung erfreuen und die auch nicht unbedingt, gerade wenn wir von modernen Theologien sprechen, nur halt eben eine friedfertige oder friedvolle islamische Ausrichtung meinen. Fundamentalistische Islam-Deutungen des 20. Jahrhunderts sind in vielerlei Hinsicht gerade halt Ergebnisse der historischen Moderne und Auseinandersetzung damit … damit auch entstanden.
Also, zunächst einmal wäre ich in dieser Hinsicht, was die Begrifflichkeiten angeht, vorsichtig. Andererseits würde ich aber sagen, dass sich tatsächlich das, was im Moment an den deutschen Universitäten entsteht, vielleicht in dieser Form einmalig auch im islamischen Bereich oder auch auf globalem Level … abspielt oder zum ersten Mal abspielt. Worum handelt es sich da? Es handelt sich um eine Verortung einer islamischen Wissensordnung in der Sphäre der modernen Universität des 21. Jahrhunderts. Und das bedeutet auch, dass sich zum ersten Mal, wenn Sie so wollen, in der modernen Wissenschaftsgeschichte eine islamische Universitätstheologie offen Anfragen von anderen Disziplinen stellen muss und sich mit ihnen auseinandersetzen muss, die in dieser Form bis jetzt gerade in der islamischen Welt nicht stattgefunden haben, also wo Sie theologische Fakultäten haben, die zwar an einer Universität angesiedelt sind, aber nicht unbedingt in einem Austausch, interdisziplinären Austausch mit anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen stehen.
Und das ist eben der eine Punkt, wo man auf der einen Seite sagt: Wir wollen das islamische Wissenserbe so weit es geht … Es ist natürlich ein sehr großes Unterfangen und das wird man nicht leicht und nicht schnell hinkriegen können, aber auf der einen Seite möchte man diese Wissenstraditionen, die ja sehr reich sind, die ja sehr interessant sind, fruchtbar machen für die heutige Zeit, aber man arbeitet natürlich in einer Umgebung, wo das wissenschaftlich, also theoretisch, methodologisch kontrolliert passieren muss, wo man natürlich auch die eigenen epistemologischen Prämissen hinterfragen muss, und nicht nur die eigenen, sondern auch die epistemologischen Prämissen von Gelehrten aus der Vergangenheit. Und diese Art von Tiefenbohrung, wenn Sie so wollen, oder einer kritischen Tiefenbohrung bei gleichzeitiger Wertschätzung, bei gleichzeitiger Selbstverortung, gerade in diesem Spektrum, würde ich sagen, ist eine Sache, die zum ersten Mal in dieser Form hier in Deutschland an den Universitäten stattfindet. Und das ist eine sehr, sehr große Chance für eine akademische Selbstreflexion des Islam, die auch zukunftsweisend ist und, vor allem, die auch Antworten auf die Fragen nicht nur der Gegenwart, sondern auch auf die Fragen der Zukunft durch Muslime und durch Nicht-Muslime liefern kann.
Gessler: Und glauben Sie, dass das ausstrahlen wird, auch in andere Länder, in andere islamische Kulturen, in andere wissenschaftliche Traditionen? Oder ist das eher dann doch etwas, was in unseren Breiten bleibt?
Omerika: Die Ausstrahlungskraft wird sich zum einen Teil auch der Überzeugungskraft der neuen islamischen Theologie an den Universitäten verdanken. Das heißt, sind wir tatsächlich in der Lage, mit Kollegen und Kolleginnen aus anderen Kontexten so ins Gespräch zu treten und etwas anzubieten, was tatsächlich auch überzeugt? Also, das ist aber leider nicht nur der einzige Faktor. Also, die Überzeugungskraft hängt ja nicht nur von der Argumentationsstärke oder von der akademischen Qualität, sondern natürlich von eine ganze Reihe von anderen Faktoren, die außerwissenschaftlich sind, ab. Und da sieht die Situation natürlich im Moment etwas schwierig aus, da sich halt eben auch sehr viele mehrheitlich muslimische Länder mit einer Reihe von ganz anderen Problemen auseinanderzusetzen haben als nur mit rein akademischen. Wir reden hier von Kriegen, wir reden hier von politischen Konflikten, wir reden hier von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, wir reden hier von einer Atmosphäre, in der wissenschaftliche wie auch viele andere Freiheiten überhaupt kein Thema sind oder sehr stark unterdrückt werden.
Und das ist natürlich … Eine freie Umgebung ist zunächst mal eine notwendige Voraussetzung für ein freies Denken. Es ist aber trotzdem nicht so, dass es da nicht Austausch gibt. Also, es gibt Austausch durch Einzelprojekte, durch Einzelkooperationen. Wissenschaft ist halt auch deshalb so schön, weil sie diese Art von Austausch und Kooperation ja jenseits von allen anderen Faktoren oder Bedenken ermöglicht. Insofern, das ist eine Sache, die man jetzt nicht voraussagen kann, aber es bleibt auf jeden Fall spannend abzuwarten. Es ist jetzt auch nicht so, dass das, was an den deutschen Universitäten, in den islamischen Studien passiert, irgendwie ein neuer Islam ist oder ein deutscher Islam. Wir schulden natürlich auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den muslimischen Mehrheitsgesellschaften oder islamischen Ländern, wie auch immer Sie das bezeichnen wollen, und deren Arbeiten auch sehr viel. Also, es ist jetzt nicht so, dass da gar nichts passiert. Da gibt es auch Standorte, Einrichtungen und so weiter, wo halt eben auch sehr, sehr interessante neue Ansätze ausprobiert werden beziehungsweise eingesetzt werden, entwickeln können, ohne halt da die Entwicklungen im globalen Islam mit zu berücksichtigen und diese Impulse, diese Anregungen aufzunehmen und eventuell hier weiterzuentwickeln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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