Monet, neu besichtigt

Von Kathrin Hondl · 21.09.2010
Rekordverdächtig ist diese Monet-Retrospektive schon, bevor sie überhaupt fürs Publikum geöffnet ist: Mehr als 83.000 Tickets waren schon eine gute Woche vor der Eröffnung verkauft - mindestens eine halbe Million Besucher erwartet man insgesamt im Grand Palais. Monet sells - das haben auch viele Verlage erkannt und zur Ausstellung im Grand Palais eine ganze Reihe von Monetbüchern auf den Markt gebracht.
Eine Monet-Retrospektive ist eine sichere Sache - schließlich strömen auch sonst schon jeden Tag viele viele Besucher wegen und für Monet in die Pariser Museen - von der Orangerie über das Musée d'Orsay bis ins Musée Marmottan. Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade, weil jeder meint, Monet in- und auswendig zu kennen, war es Zeit für eine umfassende Neubesichtigung meint Guy Cogeval, Direktor des Musée d'Orsay und Chefkurator der Retrospektive.

"Es scheint vielleicht, als ob da offene Türen eingerannt werden. Aber viele Leihgeber zum Beispiel waren sehr glücklich, uns Bilder zu überlassen, weil sie auch meinten, dass in Frankreich die Zeit reif war für eine feierliche Hommage an Monet. Und viele der Bilder hier hat man noch nie in Frankreich gesehen. Die Retrospektive ist also eine Gelegenheit, die Rolle Monets zu hinterfragen - seine Bedeutung für den Impressionismus. Vor 30 Jahren galt Renoir als DER große Impressionist - heute gibt's da gar keine Diskussion mehr: Monet ist wirklich der größte Impressionist. Vor allem aber ist er der, der seinen Stil im Laufe der Zeit am meisten erneuert hat."

Und das ist jetzt auch im Grand Palais zu sehen. Mit 180 Bildern - nach Themen gehängt - bietet die Ausstellung einen großen Überblick - und auch einige Überraschungen. So ist ein ganzer Raum den Stillleben gewidmet, die Monet in den ersten 20 Jahren seiner Karriere immer wieder gemalt hat. Darunter zum Beispiel ein Bild aus dem Jahr 1862 mit dem Titel "Jagdtrophäen": Gewehr, Jägertasche und ein Haufen toter Vögel, im Vordergrund der Jagdhund - ein fast altmeisterlich wirkendes Gemälde in Brauntönen, - man mag es kaum glauben, aber auch das ist ein echter Monet. Genauso wie die Figurenbilder und Portraits aus der Zeit des Zweiten Kaiserreichs. Guy Cogeval:

"Monet ist nicht deshalb größer als alle anderen, weil er ein Vorläufer der Abstraktion ist. Monet hat auch im 19. Jahrhundert einen wichtigen Platz. Er hätte zum Beispiel ein großer mondäner Maler sein können - das zeigen Bilder wie das 'Déjeuner sur l'herbe', das 'Frühstück im Grünen' nach Manet oder das verrückt-elegante Portrait seiner Frau Camille.""

Doch dann ist da auf einmal auch das Portrait der sterbenden Camille Monet auf ihrem Totenbett. Gesicht, Bett, Laken - alles scheint zu verschwimmen in einem Bad von hellblauen Pinselstrichen. Da ist Monet schon ganz Impressionist - Camille auf dem Totenbett ist ein Vorbote späterer Bilder, wo Figuren und Menschen dann völlig verschwunden sind. Etwa auf einer zehn Jahre später entstandenen Ansicht des Creuse-Tals: "Le vieil arbre au confluent" aus der Sammlung des Art Institute in Chicago - eine Leihgabe, über die Guy Cogeval besonders glücklich ist:

"Das ist das Meisterwerk der Ausstellung, für mich das schönste Geschenk - das Tal der Creuse im Licht des frühen Morgens, das das Grün der Vegetation in der Landschaft völlig wegrasiert und violett werden lässt, dieses rosa-lila farbene Bild ist extrem beeindruckend - Monet ist der einzige Maler der Geschichte, der diesen Augenblick des Morgens einfangen kann - diesen kurzen Moment, in dem die Natur überwältigend ist."

Mit einem anderen Sonnenaufgangsbild, "Impression, soleil levant" von 1872, hatte Monet Kunstgeschichte geschrieben und dem Impressionismus zu seinem Namen verholfen. Ein nicht nachvollziehbarer Kleinkrieg zwischen Pariser Museen hat dazu geführt, dass ausgerechnet dieses emblematische Bild im Grand Palais jetzt nicht zu sehen ist. Das Musée Marmottan wollte keine Leihgaben aus seiner großen Monet-Sammlung für die Retrospektive zur Verfügung stellen, ein Manko, das sich vor allem am Ende der Ausstellung bemerkbar macht. Die Meisterwerke aus dem Marmottan-Museum fehlen im letzten Saal, der den Seerosen-Bildern gewidmet ist, die Monet in seinen letzten Lebensjahren wie besessen malte.

Das ist ein bisschen schade, wird aber mehr als wettgemacht durch die aus aller Welt unglaublich reich bestückten anderen Bilderserien Monets - von den Heuschober-Bildern zum Beispiel, die später Kandinsky so entscheidend beeinflussen sollten, sind gleich fünf zu sehen: Heuschober im Morgenlicht aus dem Musée d'Orsay, in der Mittagssone aus der National Gallery von Australien, im Schnee aus dem Museum of fine Arts in Boston, unter Eis aus Schottland, dann wieder ein Heuschober in der Sonne aus dem Kunsthaus Zürich. Außerdem fünf Bilder der Kathedrale von Rouen, acht Ansichten von Vétheuil, fünf Variationen des Parlaments in London, mehrere Bilder der Pappeln in Giverny und und und ...

Die aus der ganzen Welt zusammen getragenen Bilder-Serien hat man so noch nie gesehen - sie sind schlicht atemberaubend. "Alles verändert sich, sogar der Stein", sagte Monet - diese revolutionäre Erkenntnis ist jetzt im Grand Palais wieder neu zu entdecken.